Männer in Kostümen auf der Bühne. Hamilton reckt entschieden den Arm in die Luft
  • Foto aus einer Probe wenige Tage vor der Premiere: Hamilton (Benet Monteiro, vorne) und seine Mitstreiter
  • Foto: Johan Persson

„Arschbombe ins Konfetti“: Wie ein Rapper den Musical-Hype „Hamilton“ übersetzte

Mit „Hamilton“ hat der New Yorker Komponist und Schauspieler Lin-Manuel Miranda (42) einen Welt-Erfolg gelandet. Seit der Premiere 2015 ist das Stück am Broadway immer ausverkauft, Fans zahlen für Tickets auf dem Schwarzmarkt Tausende Dollars. Eine Musical-Revolution – auch, weil in „Hamilton“ nicht nur gesungen, sondern auch gerappt wird. Und das oft: Knapp 25.000 Wörter zählt das Stück (zum Vergleich: „Frozen“ hat etwa 15.000). Jetzt feiert die erste nicht-englischsprachige Version ihre Uraufführung: Ab dem 6. Oktober gibt’s das vielfach preisgekrönte Reimemonster auch auf Deutsch – im Operettenhaus in Hamburg. Der Berliner Rapper und Songschreiber Sera Finale (46) hat „Hamilton“ hat die 30 Songs übersetzt. Ein Gespräch über Wahnsinn, Swag und Vorurteile.

MOPO: Wenn man sich mit Menschen über „Hamilton“ unterhält, kommen immer dieselben drei Fragen auf. Vorurteile vielleicht? Erstens: Ist die Geschichte rund um die amerikanischen Gründerväter nicht viel zu weit weg fürs deutsche Publikum?

Sera Finale: Mit der Logik müsstest du auch sagen, du kannst dir „Titanic“ nur dann im Kino angucken, wenn du schon mal vor Grönland über Bord gegangen bist und weißt, wie kalt das Wasser da ist, sonst kannst du nicht mitfühlen. Es ist ziemlich einfach, sich hinzustellen und zu sagen „Hamilton“ kann in Deutschland ja gar nicht funktionieren. Und es ist auch falsch, denn erst einmal wird die Geschichte eines Mannes erzählt, der aus dem Nichts kommt und sich nach oben arbeitet. Was macht das mit ihm, mit seinem Leben und Lieben? Das ist eine universale Geschichte. Aber ich verstehe den Punkt. Und ja, wir haben das historisch ein bisschen ausgedünnt. In der US-Geschichte komplett firm zu sein, das kann man vom Publikum nicht erwarten. Ich finde, es funktioniert hervorragend. Das Teil fährt wie mit Servolenkung und frischen Sommerreifen.

Musical-Sensation ab 6. Oktober in Hamburg

Okay, zweitens: Wie soll ein Rap-Musical ein Publikum ansprechen, das sonst in „Der König der Löwen“ geht?

Ich glaube, alle werden sich das ansehen und es auch gut finden: das Musical-Publikum, aber auch Leute aus der Rap-Community. Das Stück ist für Musical-Fans ja alleine schon wegen des unfassbaren Erfolges der End-Hype, da will man mitreden. Und dann wird dir da so viel gutes Zeug um die Ohren geballert, da hast du gar keine Zeit, irgendwas doof zu finden. Das Musical ist wie ein guter Vertreter: Der stellt einmal kurz den Fuß in die Tür – und plötzlich sitzt du da mit einem neuen Staubsauger, nem Farbfernsehgerät, nem Haartrockner und noch ein paar anderen Sachen und fühlst dich super. Man darf ja auch nicht vergessen, dass viele Menschen, die mit Rap großgeworden sind, inzwischen 40, 50 Jahre alt sind. Klar werden die sich das ansehen. 

Dritter Punkt: Wie sollen Musical-Darstellerinnen und -Darsteller, die bisher nichts mit HipHop am Hut hatten, das mit dem Rappen hinbekommen? Sprechgesang ist etwas völlig anderes als Musical-Gesang.

Erst einmal nicht verkehrt, natürlich. Auf der Musical-Bühne musst du immer extrem on point sein, in jeder Szene, immer da, immer klar, große Geste. Im Rap ist es das Gegenteil: Du bist total laid back, superentspannt. Wenn du richtig cool sein willst als Rapper, dann pennst du fast hinter dem Beat ein. Das sind einfach komplett andere Herangehensweisen, völlig andere musikalische Dimensionen. Wer nur Rap hört und sich irgendwann mal ein Musical ansieht, denkt sicher so etwas wie: Na, mit den Stöcken, die die im Arsch haben, könntest du ein Lagerfeuer machen. Aber man kann das sehr, sehr gut fusionieren. Gerade auch bei dem Stück, in dem ja nicht nur gerappt, sondern auch gesungen wird. Und beim Cast wurde total drauf geachtet, dass das Leute sind, die Swag haben.


Darum geht’s in „Hamilton“

Alexander Hamilton (1757-1804), ein Einwanderer aus der Karibik, ist einer der Gründerväter der USA, erster Finanzminister des Landes und Co-Autor der Verfassung. Das Musical erzählt von seinem rasanten Aufstieg – und seinem Fall: Sowohl sein Familienleben als auch seine politische Karriere geraten durch sein Temperament immer wieder in Gefahr. Er stirbt mit nur 47 Jahren – nach einem Duell mit seinem ehemals besten Freund und politischem Gegner Aaron Burr. Der New Yorker Lin-Manuel Miranda (42, dieses Jahr Oscar-nominiert für „Encanto“) schrieb „Hamilton“ als Rap-Musical und besetzte (fast) alle Rollen mit BIPoC – kurz für „Black, Indigenous and People of Color“ (nicht-weiße Menschen). Für die bahnbrechende Inszenierung wurde er 2016 unter anderem mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet.


Sie haben die Texte mit Kevin Schroeder, einem absoluten Musical-Profi, übersetzt. Wie kam das zusammen?

Zuerst habe ich das alleine gemacht. Als Battle-Rapper gehst du ja in so eine Situation rein und sagst dir: Cool, dann kannst du in der Szene auch alle wegfegen. Mit diesem Approach bin ich an die Arbeit und habe die ersten drei Songs übersetzt. Die Rückmeldung war: Meine Übersetzung war die freiste von allen.

War das gut oder schlecht?

Na ja, einerseits war das nicht gewollt. Andererseits hat meine Herangehensweise dem Team aber auch imponiert, weil sie nicht so assimiliert war. Und dann hatte die Leute von Stage-Entertainment die superschlaue Idee, mich mit dem King der Musical-Szene zusammenzubringen.

Treffen in New York im Mai dieses Jahres: „Hamilton“-Erfinder Lin-Manuel Miranda (v. l.), Kevin Schroeder und Sera Finale Andy Hernderson
Die drei Männer sitzen auf Stühlen und schauen sich an
Treffen in New York im Mai dieses Jahres: „Hamilton“-Erfinder Lin-Manuel Miranda (v. l.), Kevin Schroeder und Sera Finale

Von Kevin Schroeder sind unter anderem die Texte von „Aladdin“, „Sister Act“ und „Fack ju Göhte“. Wie war die Zusammenarbeit?

(lacht) Er war der Kindergärtner und ich war der kleine Junge, der die ganze Zeit losgerannt ist und irgendeinen Unsinn machen wollte. Ich bin der Typ, der komplett Arschbombe ins Konfetti macht – und er war die Stimme der Vernunft: Wir müssen dies beachten, wir müssen da auf die Querverweise aufpassen … Das war superkrass, richtig gut.

Haben Sie sich das Stück auch zusammen angesehen?

Ja, ganz zu Beginn sind wir nach London. Da wurde mir erst so richtig klar, auf was ich mich einlasse. Ich hatte ja keine Ahnung! All die vielen Wörter! All die Bedeutungsebenen! Ich habe mir das angesehen und angehört und dachte: Bin ich bescheuert? Warum mache ich das? Vorher hatte ich gedacht, dass ich damit ein halbes Jahr Arbeit habe – aber danach wusste ich, was auf mich zukommt.

Die Arbeit an der Übersetzung dauerte drei Jahre

Am Ende haben Sie ein bisschen mehr als drei Jahre daran gesessen.

Mit Unterbrechungen, ja. Im Nachhinein betrachtet, ist es das größte Projekt, das ich jemals gemacht habe. Und es erfüllt mich sehr, weil ich weiß, dass es über eine reine Übersetzung hinausgeht.

 „Hamilton“ ist textlich unfassbar dicht und wahnsinnig schnell, selbst für Rapper. War das Arbeiten daran nicht irrwitzig anstrengend?

Der Arbeitsspeicher hat geglüht, auf jeden Fall. Du musst den Flow haben, die Wörter, die Bedeutung, den Inhalt, den Humor, die Metrik, die Semantik – so viele Sachen gleichzeitig. Die ganzen Querverweise, die Binnenreime noch und nöcher. Das muss auf so vielen Ebenen gleichzeitig funktionieren, wenn man die Freiheit nicht hätte, würde man einfach den Löffel abgeben. 


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Sie sind auch nach New York geflogen, um Ihre Arbeit Lin-Manuel Miranda zu pitchen. Wer hatte die Hosen da voller? Sie als rappender Übersetzer? Oder er, weil das sein Baby ist, das er jetzt zum ersten Mal komplett aus der Hand gegeben hat und in einer anderen Sprache hört?

Das gab sich nicht viel. Man hat gemerkt, wie aufgeregt er war. Er war so nervös, dass er ein Glas Wasser mit Eiswürfeln umgeschmissen hat. Ich habe gelacht und gesagt: Okay, jetzt ist das Eis gebrochen, jetzt können wir starten. Da war er gleich entspannter. Und weil er so ein richtig smarter Typ ist, hatte er Cousinen seiner Frau (Vanessa Nadal ist Halbösterreicherin, Anm. d. Red.) eingeladen: Österreicherinnen, die natürlich jedes Wort verstanden haben. Er wollte wohl sichergehen, dass ich nicht nur Kochrezepte rappe.

Kam offensichtlich gut an. Haben Sie ein Beispiel, das zeigt, wie das mit dem Übersetzen lief?

Es gibt da diese Szene kurz vor Hamiltons Duell mit Aaron Burr. Da sagt Hamilton: „I imagine death so much it feels more like a memory“. Wörtlich  übersetzt wäre das „Manchmal kommt es mir so vor als wär der Tod nichts anderes als eine Erinnerung“. Aber das hätte im Deutschen mit den Reimen nicht funktioniert, also hab ich draus gemacht: „Täglich schreibt der Tod zwischen den Zeilen in mein Tagebuch.“ Lin hat sich das zurückübersetzen lassen – er fand‘s supergeil.

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Klingt doch nach einem smoothen Ritt.

Ja, denkste! Zum Schluss, nachdem wir alles hatten, kam Kurt Crowley aus New York zu uns. Lin hatte ihn extra beauftragt, Deutsch zu lernen, damit er auch versteht, was wir machen. Der hörte sich das alles an und sagte dann: Momentchen mal, es gibt ja auch eine Choreografie auf der Bühne!

Und das bedeutete was?

Na ja, alles wieder auf Anfang! Nee, Quatsch. Aber wir mussten an einiges nochmal ran. Ein großer Teil der Bewegungen in der Show spiegelt ja die Wörter und Sätze, die gesagt werden. Mit manchen Übersetzungen ergaben plötzlich die Bewegungen auf der Bühne keinen Sinn mehr. Wenn im Original über einen „großen Raum“ gerappt wird, wir daraus aber was mit „hinter verschlossenen Türen“ machen – dann passen die feststehenden Bewegungen nicht. Das hatten wir nicht bedacht. War aber nur eins von mehreren Problemen über die Zeit.

„Hamilton“ feiert Premiere im Operettenhaus

Hat was, das einen in den Wahnsinn treiben kann, oder?

Ja, ich kann dir sagen. Wir hatten manchmal Songs fertig und haben uns ein bisschen dafür gefeiert – Beckerfaust und yes! – und dann bist du zwei Takte weiter und stellst fest, dass das da aber schon nicht mehr mit der Übersetzung hinhaut, weil da plötzlich ein Querverweis mit drin ist, auf den das nicht passt. Das ist als hättest du auf einer Baustelle die Kabel falsch verlegt. Also Straße wieder aufreißen und von vorne anfangen. Du musst das ganze Ding einmal durchübersetzen, um dann zu gucken, ob das alles zusammenpasst. Richtige Juweliersarbeit! Da sitzt du mit Schweißtropfen auf der Nase und musst mit so einer kleinen Lupe gucken, welche Qualität der Brilli hat – und den musst du dann auch noch richtig schick schleifen. Das hat im Großen und Ganzen unfassbar viel Spaß gemacht.

Was sagen eigentlich Ihre Rap-Kollegen dazu, dass Sie das erfolgreichste Musical der Welt übersetzt haben?

Die, die cool genug sind, das Musical zu kennen, feiern das total: Ey, Sera, jetzt hast du bei mir endgültig Heldenstatus und so. Dabei habe ich mir am Anfang gar nichts gedacht! Mein Lieblingsspruch ist: „Alle sagten, es geht nicht, dann kam einer, der hat das nicht gewusst und es einfach gemacht.“ Ich bin einfach nur irgendein Atze aus Kreuzberg, der größenwahnsinnig und blind genug sein kann zu sagen: Ja, okay, übersetz ick, mach ick. Und das habe ich gemacht.

Operettenhaus: ab 6.10., diverse Zeiten, ab 59,90 Euro

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