Berauschende Geschichte: „Orlando“ am Schauspielhaus
Im Schauspielhaus stellt Regisseur Jossi Wieler den genderfluiden Roman „Orlando“ auf der Bühne aus – mit vielen Worten und wenig Action.
Die Erzählerin von „Orlando“ ist ganz vernarrt in ihre Titelfigur. So hübsch, so elegant, so verzaubernd! Gerade dieser Zauber zieht sich durch den ganzen Roman von Virginia Woolf: Orlandos Reise beginnt in den 1580er Jahren, führt über Konstantinopel zurück in die Londoner Gesellschaft, um nach Stationen in den folgenden Jahrhunderten in der Gegenwart anzukommen: Mehr als 300 Jahre sind vergangen, Orlando ist noch immer knackig. Aber auf dem Weg ist aus dem jungen Mann eine Frau geworden.
Mit Sogwirkung: „Orlando“ von Virginia Woolf in Hamburg
Königinnen, Paläste, Partys, Liebhaber:innen, exotische Schauplätze – um die Handlung in ihrer ganzen Pracht abzubilden, bräuchte es eine Ausstattungsorgie oder eine besonders pfiffige Inszenierungsidee. Regisseur Jossi Wieler versucht erst gar nicht, der Vorlage mit bildlichen Mitteln gerecht zu werden. Stattdessen erzählen fünf Schauspielerinnen die berauschende Geschichte als Gruppe. Sie stricken die Sätze gemeinsam weiter, ergänzen sich und manchmal, ganz selten, führen sie einen Dialog. Im Laufe der eindreiviertel Stunden wird also viel geredet und wenig gespielt. Währenddessen dreht sich in der Mitte eine große gefällte Eiche, an der zwei Personen die ganze Zeit herumgärtnern.
Auf der Bühne liegt eine große gefällte Eiche
Als Theaterstück ist dieser „Orlando“ ziemlich lau. Als Wortkunstwerk entwickelt der Abend trotzdem einen reizvollen Sog, was vor allem dem großartigen Frauen-Quintett (Sandra Gerling, Linn Reusse, Hildegard Schmahl, Bettina Stucky, Julia Wieninger) zu verdanken ist. Man sollte aber wissen, worauf man sich einlässt: einen literarischen Abend nämlich, dem vielleicht eine andere Bühne als der größte Saal im Lande besser zu Gesicht gestanden hätte.
Schauspielhaus: 4./10./28.2., diverse Uhrzeiten, 11-64 Euro, Tel. 24 87 13