Böhmermanns göttliche Show – auch zwei Hamburger Gast-Stars begeistern die Fans
Bevor Gott spricht, erklingen erst mal die Berliner Punkrock-Band ZSK („Alle meine Freunde hassen die AfD“) und Ton, Steine, Scherben („Macht kaputt, was euch kaputt macht“), auch Hildegard Knef singt im „Vorprogramm“, das Jan Böhmermann selbst zusammengestellt hat. Der Vorhang, auf dem groß „Böhmermann ist schuld!“ prangt, er ist natürlich noch geschlossen, Rio Reiser & Co. kommen vom Band. Und auch Gott schaut nicht persönlich vorbei, das aber ändert nichts daran, dass der größte, deutsche Polit-Entertainer in Hamburg eine himmlische Show zelebriert.
Das Timing hätte besser nicht sein können. Böhmermanns Auftritt in der fast ausverkauften Barclays Arena fällt auf den Freitag, an dem in Hamburg mehr als 20.000 Menschen gegen die AfD auf die Straße gegangen sind und an dem CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz im Bundestag für seinen Tabubruch, gemeinsame Sache mit den Rechtsradikalen zu machen, abgestraft worden ist.
Jan Böhmermann punktet mit göttlichem Beistand
Dass Gott sich „angesichts der angespannten Weltlage“ mal kurz persönlich in die manchmal eher seelenlose Multifunktionsarena im Volkspark dazuschaltet, durfte daher also nicht groß überraschen. „Ihr habt es leider verkackt“, spricht Gott nun also, „mal wieder. Doch seid getrost und unverzagt, fürchtet euch nicht, denn heute ist D-Day. Jan Böhmermann und das Rundfunktanzorchester Ehrenfeld sind gekommen, um vor euren Augen in die offene Feldschlacht zu ziehen und die Ablaufpyramide des Wahnsinns in ein Oktaeder der guten Laune zu verwandeln.“
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Diese Woche u.a. mit diesen Themen:
- Hamburgs geheimer XXL-Bunker: Wo 5000 Menschen Schutz finden sollten
- Tabubruch: CDU-Chef Merz nutzt AfD-Stimmen für seinen Migrations-Antrag. Ein Pro und Kontra zu einem höchst umstrittenen Vorgang
- Nedderfeld: Automeile in der Krise
- Krebs-Praxen läuft das Personal weg
- Große Rätselbeilage: Knobelspaß für jeden Tag
- 20 Seiten Sport: Die Gründe für das St. Pauli-Hoch
- 20 Seiten Plan7: Bloody brilliant! 50 Jahre „Rocky Horror Show” – und jetzt wieder in Hamburg. Außerdem: Ausgehtipps für jeden Tag
Ein großer Plan, den Gott da ankündigt. Ein Plan, der aufgeht. „Faschismus is back“ ist der erste leider so treffende Song, den das Multifunktionstalent Böhmermann auf die Bühne bringt. Neben den 15 Mitgliedern des grandiosen Runfunktanzorchesters Ehrenfeld und den beiden Backgroundsängerinnen ist der 43-Jährige vielleicht der am wenigsten begnadete Musiker auf der Bühne, aber das bedeutet wenig, denn Böhmermann ist trotzdem auch in diesem Metier richtig gut. Auch weil er wandelbar ist, weil er so vieles kann. Vom Chanson bis zum Rap – alles klappt.
Böhmermann schwebt im Tutu unter der Hallendecke
Das Orchester sorgt für die großen, musikalischen Highlights, Böhmermann punktet mit seinen sozialkritischen Texten. Er kündigt einen „politischen Liederabend in stürmischer Zeit“ an und gibt ein „Dienstleistungsversprechen“ ab: „Es ist für jeden etwas dabei.“ Was wie ein Motto einer vergilbten Samstagabend-Show klingt, geht voll auf. Und es ist ein genialer Plan.
Denn Böhmermanns Fans sind sich natürlich einig in der Ablehnung von Faschismus, ansonsten ist es aber keine musikalisch total homogene Gruppe. Da steht im Innenraum der junge Typ mit der Slipknot-Kutte neben dem Mittfünfziger im Hawaii-Hemd. Sie alle aber werden von Böhmermann in ihren Bann gezogen, wenn der in einem albernen Tutu plötzlich unter der Hallendecke schwebt – oder wenn er seine herausragenden Überraschungsgäste auf die Bühne holt.
Merlin Sandmeyer und Dendemann entern die Bühne
Nach rund 45 Minuten kommt Merlin Sandmeyer alias Jonas Schulze auf die Bühne. Der Schauspieler hat mit „Die Discounter“ (Amazon Prime) einen gigantischen Erfolg gefeiert, spielte sich in die Herzen von Millionen Fans und rappt in seiner Paraderolle inzwischen auch. „Party in Billstedt“ bringt die Menge im Volkspark zum Kochen. Der Song wurde tagesaktuell noch ein wenig umgedichtet, sodass auch „Fritze Merz, der Asi“ seinen Platz findet.
Kurz danach kommt Dendemann. Der Hamburger Hip-Hop-Großmeister, der in den späten 1990ern mit „Eins Zwo“ große Erfolge feierte, war schon vor zehn Jahren eine Art musikalischer Sidekick von Böhmermann in dessen TV-Sendung „Magazin Royale“. Auf der Bühne ist er noch immer eine Naturgewalt.
„Kunst und Kultur können Dinge, die die Politik nicht kann“
Die Kunst und die Kultur seien die ersten, die dran glauben müssen, wenn Autokraten und rechte Spinner an die Macht kommen, macht Böhmermann in einem ebenso eindringlichen wie wichtigen Statement an seinem „politischen Liederabend“ deutlich. „Kunst und Kultur sind gefährlich. Denn Kunst und Kultur können Dinge, die die Politik nicht kann. Kunst und Kultur können Welten bauen“, sagt Böhmermann, so könne man in dunklen Zeiten „Leuchttürme errichten, auf die man schauen kann“.
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Böhmermann selbst ist ein solcher Leuchtturm. Mehr als zwei Stunden dauert seine Show, die nach vielen legendären und witzigen Nummern wie seiner Ode an Claus Weselsky mit der Hymne auf seine Heimat „Vegesack“ schließt. Dort geht es seit Jahren bergab. In Kürze soll auch noch die Buchhandlung „Otto & Sohn“ dichtmachen. Nach 98 Jahren. Böhmermann kämpft dagegen an, will nicht zulassen, dass immer und überall große Konzerne kleine Läden zerstören. Höchste Zeit, dass sich Gott auch hier mal meldet.
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