Der Wahnsinn hat Methode: „Der Prozess“ am Thalia-Theater
Splitterfasernackt steht Josef K. (Merlin Sandmeyer) auf der Bühne des Thalia Theaters, schutzlos und ausgeliefert: eine bloße Existenz. Dann gerät er in die Fänge einer verschachtelten und bedrohlichen Bürokratie. Er wird verhaftet, muss sich mit Wächtern, Untersuchungsrichtern, Anwälten und weiteren seltsamen Leuten herumschlagen. Er steckt in einer Todesmaschine, die ihn zermalmt. Völlig kafkaesk!
Mit seinem unvollendeten und erst posthum veröffentlichten Buch „Der Prozess“ schrieb Franz Kafka einen rätselhaften, düsteren und pessimistischen Roman – und fand damit einen treffenden Ausdruck für viele Verwerfungen des 20. Jahrhunderts. Kafka erschafft mit klaren Worten und nüchternen Sätzen eine völlig verrückte Welt, die in sich jedoch stimmig ist: Der Irrsinn hat hier Methode.
Merlin Sandmeyer spielt Josef K. mit vollem Körpereinsatz
Um diesen Stoff auf die Bühne zu bringen, muss der Regisseur Stimme und Stimmung finden. Michael Thalheimer hat sich dafür entschieden, das Groteske an der Geschichte zu betonen: Die Figuren sind oftmals hysterisch, sie sind laut und schräg, sie tragen comichafte Fratzen. Ihre (fantastischen) Kostüme verstärken diese Effekt, genauso wie die Verrenkungen der Darsteller:innen.
Auf der geteilten Drehbühne werden die – aber nicht alle – Kapitel der Vorlage nacheinander ausgestellt und ausgeleuchtet, immer in Zweier- oder Dreierkonstellationen. Außer Sandmeyer spielt das starke Ensemble sämtlich Mehrfachrollen, und alle bekommen einen längeren Monolog (besonders Christiane von Poelnitz als Advokat ist umwerfend). Die Inszenierung gewinnt im Laufe der zwei Stunden an Spannung, hat aber doch manche Länge (etwa in der berühmten Türhüter-Szene). Vor allem konzentriert sie sich auf die Hauptsache: Josef K. und die Abgründe in seinem Kopf. (KAM)