Jetzt im Kino: So gut ist der Film über die Reemtsma-Entführung
Die Geschichte rund um die Entführung und Freilassung des Hamburgers Jan Philipp Reemtsma nach 33 bangen Tagen hat 1996 viele Millionen Menschen in ihren Bann gezogen. „Wir sind dann wohl die Angehörigen“ zeigt nun, wie sein damals 13 Jahre alter Sohn Johann Scheerer die Wartezeit erlebt hat. Der Film startet diesen Donnerstag in den Kinos.
Der durchdringende Ton des Faxgerätes geht durch Mark und Bein. Nicht nur, weil er so hoch ist. Sondern, weil er im Haus der reichen Hamburger Intellektuellen-Familie Reemtsma plötzlich für Angst steht – und für den schmalen Grat zwischen Leben und Tod. Mit diesem Geräusch startet die Literaturverfilmung des autobiografischen Romans „Wir sind dann wohl die Angehörigen“ von Johann Scheerer. Die dreht sich um die Entführung seines Vaters – des Millionen-Erben und Gründers des Hamburger Instituts für Sozialforschung, Jan Philipp Reemtsma. 33 Tage lang war er in den Händen der Entführer. Aus der Sicht des damals 13 Jahre alten Sohnes wird die Geschichte leise und eindringlich erzählt.
Der Millionär wurde im März 1996 entführt
Es ist ein schnörkelloses und gleichsam faszinierendes Werk, das Regisseur Hans-Christian Schmid da auf die Leinwand gebracht hat. Eins, das vor allem von den beiden Hauptdarstellern Claude Heinrich („Dark“) als Johann und Adina Vetter („Frau Jordan stellt gleich“) als dessen Mutter Ann Kathrin Scheerer lebt. Den beiden gelingt es auf eine wunderbar unaufdringliche Art, die Gefühlswelten zu zeigen, die zwischen Hoffnung, Bangen, Langweile, Sorge, Ungewissheit, Überforderung, stoischem Hinnehmen und Aktionismus wechseln.
Reemtsma wird im März 1996 aus seinem Arbeitshaus in Laufnähe zum Wohnhaus der Familie in Blankenese entführt. An der Treppe findet Ann Kathrin Scheerer einen Brief – er liegt unter einer Handgranate. 20 Millionen D-Mark fordern die Entführer. Die Familie und Johann Schwenn, der Familienanwalt (Justus von Dohnányi), binden die Polizei mit ein.
Und damit rollt über die Mutter und den Sohn quasi das Angehörigen-Programm, das im Falle von Entführungen von der Polizei abgespult wird. Das Haus wird zur Einsatzzentrale und die Angehörigenbetreuer ziehen mit eigener Schlafausrüstung ein. Auch Schwenn und Christian (Hans Löw), ein enger Freund der Familie, werden zu Dauergästen und damit Teil der Schicksalsgemeinschaft. Alle sitzen zusammen am Esstisch. Es gibt Smalltalk über vorherige Einsätze. Die Walze walzt pietätlos.
Gleichzeitig ist die Stimmung enorm ambivalent. Die Angehörigenbetreuer spielen mit den Angehörigen Tischtennis, der Sohn geht mit ihnen auf den Jahrmarkt und das Suchen der am Abend von Mama und der Polizei im Garten versteckten Ostereier fällt natürlich auch nicht aus. Alles schwankt zwischen zwanghafter Normalität und extremer Ausnahmesituation.
Geschichte aus Sicht des 13-jährigen Sohnes
Die Mutter lässt das und die Fehler der Polizei zunächst weitgehend geschehen, in der Hoffnung auf eine schnelle Rückkehr ihres Mannes. Der Sohn beobachtet mit Abstand und beinahe geräuschlos das Drama seiner Familie und der schlampigen Polizeiarbeit. Mindestens zwei von der Polizei organisierte Geldübergaben scheitern, vermutlich weil die Entführer misstrauisch sind. Schließlich organisiert die – nun endlich doch einmal wütend gewordene – Mutter gemeinsam mit einem Pfarrer und anderen eine eigene Geldübergabe.
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Von einem Action-Plot ist der Film weit entfernt. Die Entführung selbst oder die Zeit Reemtsmas in den Händen der Entführer spielen kaum eine Rolle. Und doch fesselt der Film, der vielmehr einem Kammerspiel gleicht, von der ersten bis zur letzten Minute. Alles wird vor allem aus der Perspektive des Sohnes erzählt. Und damit schaffen Scheerer mit seinem 2018 erschienenen Buch und Schmid in der Verfilmung des Romans eine Eindringlichkeit, die nachhallt.
„Wir sind dann wohl die Angehörigen“: 118 Minuten, ab 12 Jahren; Abaton, Blankeneser Kino, Koralle, Zeise-Kino