Spektakel „Barocco“ im Thalia: Da hält das Publikum den Atem an
Am Thalia-Theater fand der verfolgte russische Regisseur Kirill Serebrennikov eine künstlerische Heimat. Dort feierte mit „Barocco“ am Donnerstagabend sein jüngstes und persönlichstes Stück Premiere. Es ist nichts, was in eine existierende Theaterschublade passt, dafür ein beeindruckendes Spektakel aus Gesang, Konzert, Tanz, Trick- und Dokumentar-Film, Schauspiel, Demo, Vortrag, Puppenspiel und Pyrotechnik.
„Wir töten uns selbst und die Natur. Irgendwas stimmt mit uns nicht!“ Für diese Behauptung findet der Regisseur jede Menge beispielhafte Beweise aus der Vergangenheit – und auch die Erklärung: „Der Mann ist an allem schuld“, er sei ein biologischer Unfall, ein „Dildo auf zwei Beinen“ und verantwortlich für die Gewalt in der Welt. Symbolisch durchzieht die zerstörerische Kraft des Feuers als Motiv und roter Faden den gesamten Abend.
„Barocco“: Premiere am Thalia-Theater in Hamburg
Nicht nur als Explosion in projizierten Filmausschnitten auf der Bühnenrückwand, sondern insbesondere am Beispiel von Selbstverbrennungen, mit denen Menschen gegen unerträgliche Lebensbedingungen protestierten. So wie der tschechoslowakische Student Jan Palach, der sich 1969 öffentlich verbrannte, um ein Zeichen zu setzen gegen die brutale Niederschlagung des Prager Frühlings durch die damalige Sowjetunion.
Auch Serebrennikov hat ein politisches Sendungsbewusstsein. „Barocco“ widmet er allen Menschen, die von despotischen Herrschern unterdrückt werden. Dabei ist es für ihn kein Widerspruch, sein Anliegen in poetischen Bildern zu vermitteln, die mitunter den Kitsch streifen. Oder durch witzige Wortspiele, wie beispielsweise „Proletarier aller Länder, vergnügt euch!“ Zusammengehalten wird der Abend durch ausgewählte Musik aus dem Barock, einer Ära, in der das Leben zum Fest erklärt wurde.
Berührende Szenen: Viel Applaus und Standing Ovations
Besonders berührt folgende Szene: Der musikalische Leiter Daniil Orlov wird aus dem Zuschauerraum in Handschellen auf die Bühne geführt, nimmt am Flügel Platz, im Hintergrund schlagen Flammen empor. Während er mit seiner linken Hand virtuos in die Tasten greift, steckt die rechte in Handschellen, gefesselt an einen schwarz vermummten, gelangweilt rauchenden Polizisten. Klarer ist die willkürliche Unterdrückung der Kunst durch einen Staat bildlich kaum darstellbar – das Publikum hält den Atem an.
„Barocco“ überrascht mit einigen solcher Atemstock-Momenten. Nach 135 pausenlosen Minuten entlädt sich die aufgebaute Spannung in großem Applaus mit Standing Ovations.
Thalia-Theater: bis 27.6., diverse Uhrzeiten, 16-79 Euro