Eric Pfeil präsentiert seinen Bestseller: Sein Herz schlägt für Italien!
„Ciao amore, ciao: Mit 100 neuen und alten Songs durch Italien“ heißt der Bestseller von Autor Eric Pfeil, der jetzt für eine musikalische Lesung nach Hamburg kommt. Im Interview spricht er über die übergroße Rolle, die Musik in dem Land spielt, und sein Dolmetscher-Dasein.
MOPO: Herr Pfeil, über die Arbeit zu Ihrem zweiten Buch haben Sie selbst wieder zur Musik gefunden: Ihre aktuelle Single heißt „Sanremo“ – weshalb?
Eric Pfeil: Für mich ist das „Festival di Sanremo“ der Ort, wo Italien das Fieber gemessen wird. Hier erfährt man an fünf langen Abenden, wie es dem Land geht. Es hat fast etwas Mythisches für mich, wie vor einem Millionenpublikum über Gedeih und Verderb von Karrieren entschieden wird. Das ganze Land schaut zu, selbst die, die angeblich nicht zuschauen.
Auch der neue Buchtitel ist mit dem berühmten Festival verknüpft, allerdings mit einer tragischen Figur.
Stimmt. Der große Liedermacher Luigi Tenco sang dort 1967 sein „Ciao amore, ciao“. Nachdem er nicht in die Endauswahl gekommen war, ging er auf sein Hotelzimmer und erschoss sich. Die Geschichte ist das große Trauma der italienischen Musik und das wohl extremste Beispiel dafür, wie wichtig die Popmusik in Italien schon in den 60ern genommen wurde.
Inwiefern ist das Stück repräsentativ für Ihr Buch?
Weil in der italienischen Musik das Leichte und das Schwere ganz nah beieinander sind. Die Stücke klingen oft wie eine Brise an einem viel zu heißen Tag, verhandeln aber nicht selten gewichtige Themen wie den Nord-Süd-Konflikt, die Rolle der Frau oder soziale Fragen.
Sie greifen diesmal auch inner-italienische Konflikte auf wie die Berlusconisierung, Patriarchat, Migrationsbewegungen, Kirche und Mafia. Was sind die bemerkenswertesten Songs für diese kritischen Themen?
Da sind erst mal die Stücke einiger Frauen zu nennen, die mit sehr leichtfüßig daherkommenden Songs gesellschaftliche Umbrüche ausgelöst oder beschleunigt haben. Die große Primadonna Mina sang als erste Frau von Sexualität in „Il cielo in una stanza“, Caterina Caselli sang 1966 „Nessuno mi può giudicare“ (übersetzt: Niemand kann mich beurteilen), was als Hymne weiblicher Selbstermächtigung gelesen wurde. Da gibt es zahllose Beispiele. Am rührendsten – und wichtigsten – sind vermutlich einige Stücke von Raffaella Carrà, in denen sie ein extrem selbstbewusstes und sex-positives Frauenbild etabliert hat. Die Autoren dieser Lieder waren oft Männer, aber in den weiblichen Interpretationen entwickelten die Stücke wirklich Sprengkraft. Es war nicht allein entscheidend, was sie sangen, sondern wie sie es taten: sehr selbstbewusst und mit vollem Körpereinsatz.
Sie stellen die These auf, dass Raffaella Carrà mit dem Tuca-Tuca-Tanz von 1977 die italienische Frau befreit hat.
Sie hat in ihrer TV-Show „Canzonissima“ in einem unschuldigen Tänzchen Knie, Hüfte, Schultern und Stirn ihres männlichen Tanzpartners berührt, woraufhin dieser dasselbe wiederholte. Halb Italien bebte daraufhin – vor allem der Vatikan und die Verantwortlichen beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen waren gar nicht amüsiert, man wollte sie zensieren. Sie hat den Tanz aber immer weiter aufgeführt – mit wechselnden männlichen Promi-Partnern. Ich will mit der These von der Bedeutung dieser Darbietung keineswegs die Leistungen italienischer Feministinnen schmälern. Es geht darum, wie etwas, was akademisch verhandelt wird, durch eine so lustvoll-fröhliche Darbietung popularisiert wird und auch konservative Nonnas im Süden Italiens erreichen konnte. Frau Carrà war da oft eine ganz entscheidende Kraft.
Und wer hat sich bei den Männern hervorgetan?
Da ist Rino Gaetano hervorzuheben, eigentlich ein Proto-Rapper. Der hat sich mit höchster Wortkunst über sein gesamtes Land lustig gemacht. „Nuntereggae più“ (übersetzt: Ich kann euch nicht mehr ertragen) aus meinem Buch ist ein gutes Beispiel: ein sehr expliziter früher Fall von Diss-Rap! Er zählt lauter Wirtschaftsbosse, Showstars und Politiker auf, die er nicht mehr ertragen kann. Ein Fall für sich ist mal wieder Adriano Celentano. Als konservativer Revolutionär, der er ist, hat er nahezu jedes gesellschaftlich relevante Thema adressiert: Er hat schon 1970 in Sanremo über Streik gesungen in „Chi non lavora non fa l’amore“ (übersetzt: Wer nicht arbeitet, macht keine Liebe). Andere Themen waren Inflation, Umweltzerstörung, das Hochziehen anonymer Trabantenstädte und die Verbrechen der Lebensmittelindustrie.
Gibt es etwas, worin uns die Italiener gesellschaftlich voraus sind?
Der Blick nach Italien lohnt für uns Deutsche immer. In Italien kennt man die Krise schon lange, man erlebt sie dort als Dauerzustand. Man reagiert mit einer Mischung aus Leichtigkeit und Fatalismus. Ersteres könnte man hierzulande als anregend empfinden, zweiteres ist zu meiden. „Die Lage ist aussichtslos, aber nicht ernst“, schrieb der Autor Ennio Flaiano schon vor vielen Jahrzehnten. Man neigt – auch wenn wir uns hier ins flache Planschwasser der Klischees begeben – außerdem dazu, dem vermeintlich Unwichtigen den Vorrang zu gewähren, was meinem Temperament durchaus entspricht. Sehr negativ aber erklärbar ist die Politikverdrossenheit, die letztlich die rechte Regierung erst ermöglicht hat. Wenn man wissen will, was Rechte tun, wenn sie an die Macht kommen, lohnt der Blick nach Italien: Sie legen die Axt bei der Kultur an – und beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Zivilgesellschaft und die Presse wehren sich aber aufs Beste.
Haben wir Deutschen eigentlich Glück oder Pech, wenn wir die italienischen Texte nicht verstehen können?
Großes Pech! Italienerinnen und Italiener texten mutiger und poetischer. Aber deswegen habe ich das Buch ja geschrieben, um hier gewissermaßen als Dolmetscher zu wirken. Es gibt Zeilen bei Leuten wie Paolo Conte oder Lucio Dalla, die sollte man dringend überall hinsprayen – was man in Italien durchaus auch tut. Dalla etwa hat mal gesungen: „Das Zimmer ist voller Tiere, die wie Mücken scheinen, die groß sind wie Hunde – aber wenigstens können Hunde nicht fliegen“. Paolo Conte wiederum wünscht seiner Angesungenen in einem Lied „die Intelligenz der Elektriker, dann hast du wenigstens immer Licht“.
Muss man sich schämen, wenn man Al Bano & Romina Power gerne hört?
Niemals! Ich mache bei meinen Lesungen durchaus Witze darüber, dass die Deutschen Al Bano & Romina Power für den Inbegriff italienischer Musik halten, das ist ja auch sehr lustig und eine Steilvorlage. Die Musik der beiden ist ja quasi das Touristenmenü des italienischen Pop. Ich sage aber zugleich: Es gibt auch so etwas Erhabenes, Gottgleiches wie Lucio Battisti. So jemanden gibt es nur einmal. Ein vollendetes Genie. Aber: Nichts gegen Al Bano. Der Mann hat Würde. Das ist ein apulischer Bauernsohn mit einer großen Stimme, der sich im norditalienischen Showgeschäft nach oben gearbeitet hat. Ich bin der Sohn eines Alleinunterhalters: Al Bano und Romina Power genießen von daher meinen vollen Respekt.
Wie reagieren eigentlich ItalienerInnen auf Ihre Ausführungen?
Ich erlebe viel Freude über mein Bemühen, ein differenzierteres Italien-Bild zu zeichnen. Für viele Deutsche ist Italien Pasta, Pizza, Dolce Vita, ein vermeintliches Phantasialand mit vielen alten Baulichkeiten. Welche Nöte das Land prägen, welche auch für uns relevanten Debatten dort schon vor vielen Jahrzehnten ausgetragen wurden, interessiert viele nicht. Mir sagen viele ItalienerInnen, die zu meinen Lesungen kommen, dass sie sich freuen, dass ich auch über andere Aspekte rede. Den ItalienerInnen selbst muss man nichts erzählen. Das Letzte, was die brauchen, ist so ein schlaumeierischer Deutscher, der ihnen ihr Land erklärt. Ich spiele durchaus mit den Klischees, aber ich unterlaufe sie, wann immer es geht.
Nochtspeicher: 27.5., 20 Uhr, 18 Euro
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