Hommage an Ausnahmekünstlerin: Intensiv berührende Kunst im Ernst-Barlach-Haus
Wütend sieht sie auf dem Selbstporträt aus: Elfriede Lohse-Wächtler malte es 1931 und gab ihm den Titel „Die Zigarettenpause“. Betrachtende scheint sie zu fragen: Was zum Teufel wollt ihr von mir?
Am 4. Dezember 2024 wäre die Ausnahmekünstlerin 125 Jahre geworden. Den Geburtstag nimmt das Ernst-Barlach-Haus zum Anlass für eine Retrospektive mit rund 100 Werken aus 25 öffentlichen und privaten Sammlungen. „Ich als Irrwisch“ heißt die Hommage.
Ausstellung „Ich als Irrwisch“ im Ernst-Barlach-Haus
Als Anna Frieda Wächtler kommt sie 1899 in Dresden zur Welt, sie selbst nennt sich später jedoch lieber Elfriede. Mit 16 zieht sie zu Hause aus – eine Flucht vor dem prügelnden Vater, der ihr das Kunststudium verbieten will.
Trotzdem nimmt sie Unterricht. Als „Nikolaus Wächtler“ ist sie Teil der Dresdener Künstler-Avantgarde und gehört bald zum Kreis um Otto Dix. Der stellt ihr eines Tages den Maler und Opernsänger Kurt Lohse vor – die beiden verlieben sich und heiraten 1921. Ab 1925 lebt das Paar in Hamburg. Doch die Ehe ist unglücklich, er betrügt sie. 1929 erleidet sie einen Nervenzusammenbruch.
- Stiftung Historische Museen Hamburg Ein Tässchen mit Musik: Szene aus einem „Kaffeehaus“ (1931).
- Privatbesitz Szenen von der sündigen Meile: „Das Vergnügen von St. Pauli“ (1930)
- bpk/E. Walford Ernst, mit markanten Gesichtszügen und starrem Blick: „Selbstbildnis“ (1931)
Nach der endgültigen Trennung von ihrem Mann erlebt sie ihre kreativste Phase. In Hamburg entstehen Milieustudien: Sie hält Arbeiter, Prostituierte und Szenen aus St. Pauli fest, auch ihre schonungslosen Selbstbildnisse malt sie in jener Zeit.
Materielle Not zwingt sie, 1931 zu ihren Eltern zurückzuziehen – eine fatale Entscheidung. Ihr seelischer Zustand verschlechtert sich, und wenig später lässt ihr Vater sie in eine Heil- und Pflegeanstalt einweisen. Diagnose: Schizophrenie.
Lohse-Wächtler gehört zu den wichtigen Kreativen nach dem Ersten Weltkrieg
Doch selbst in der Klinik zeichnet sie Mitpatienten. Erst nach der Scheidung von Lohse und der von den Nationalsozialisten angeordneten Entmündigung wegen „unheilbarer Geisteskrankheit“ verliert sie ihren Mut; die 1935 durchgeführte Zwangssterilisation bricht ihre Schaffenskraft endgültig.
Unter dem Namen „Aktion T4“ ermordeten die Nazis Menschen mit psychischen Erkrankungen und geistigen Behinderungen in der berüchtigten Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein. Dort stirbt Elfriede Lohse-Wächtler im Juli 1940. Talentiert, selbstbewusst, unangepasst nannten Freunde die Künstlerin, die zu den wichtigen Kreativen nach dem Ersten Weltkrieg zählt. War sie wirklich krank? Vielleicht behauptete sie sich nur zu gut in Männerdomänen.
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1937 beschlagnahmten und vernichteten die Nazis einige ihrer Bilder als „Entartete Kunst“. Sie geriet in Vergessenheit. In Hamburg tragen eine Straße und der Rosengarten der Schön-Klinik in Eilbek ihren Namen. In dieser Ausstellung kann sie erneut entdeckt werden.
Ernst-Barlach-Haus: bis 9.2., Di-So 11-18 Uhr, 9/6 Euro, Tel. 826085, barlach-haus.de
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