Feldweg in Dithmarschen
  • Blick von Norddeich in Richtung Wesselburen
  • Foto: Tourismusverein Wesselburen/hfr

Piraten! Mit dem Fahrrad den historischen Freibeutern auf der Spur

Piraterie, Verrat, Blutrache – an der Nordsee lebte vor fast 600 Jahren ein Mann, der Hamburger totschlug und Dithmarschen in Aufruhr versetzte. Bis in die Elbmündung sorgten die Überfälle für Unruhe, über den Mord und Totschlag hinaus. Glaubt man den historischen Berichten, gab es in Dithmarschen einen ziemlich wilden Gesellen. Sein Name: Ralves Carsten*. Herkunft und Heimat: Norddeich bei Wesselburen.  Anfang des 15. Jahrhunderts, so berichten es alte Chroniken, beging wohl auch er Überfälle auf küstennahe Handelsschifffahrt mit seiner Bande.

Ruth Arnold ist Gästeführerin aus Wesselburen und mit ihr geht es auf Spurensuche; sie erzählt von Geschichte und Geschichten. Wichtig zu wissen ist: „Die Küste lag vor hunderten Jahren anders als heute“, berichtet sie, „sie lag weit im heutigen Hinterland. Im Laufe der Jahrhunderte rückten die Deiche immer weiter westwärts. Orte, die heute von der Küste entfernt liegen hatten einen Hafen – Meldorf, Schülpersiel beispielsweise oder Norddeich.“  Verbunden mit der offenen See durch enge Priele, die sich durch das platte Land wanden. Versteckte Häfen wie der in Norddeich. Einem Ort, gelegen nordwestlich von Wesselburen. Den Hafen gibt es nicht mehr.

Stadtführerin Ruth Arnold in einer Tracht Tourismusverein Wesselburen/hfr
Stadtführerin Ruth Arnold in Dithmarscher Trach
Stadtführerin Ruth Arnold in einer Tracht

Carsten tötete Hamburger Soldaten

Es geht vorbei an der mittelalterlichen Kirche von Wesselburen, an historischen Häusern aus Ziegelstein, über Straßenpflaster und durch enge Gassen. Würden die Laternen ihr spärliches Licht jetzt in Nebel werfen – es sähe gewiss nicht viel anders aus als zu der Zeit, als Ralves Carsten sein Unwesen trieb. Er war ein notorischer Unruhestifter. Hielt sich wohl an nichts, wenn es dem eigenen Vorteil diente. Ein Friedensbrecher wohl oft genug. Er tötete Hamburger Soldaten an Dithmarschens Küste trotz Zusagen freien Geleits, um deren Schiffe zu rauben, so wird berichtet. Eine umstrittene Person gewiss, glaubt man den alten Chroniken, aber eben auch eine Namhafte der Geschichte dieser Region.

Radeln auf Ralves Carstens Spuren gen Norddeich

Wind rauscht in den mächtigen Eschen, man spürt die nahe See mehr als dass man sie sieht oder hört. Das hier ist altes, reiches Bauernland. Und trotzdem rotteten sich hier Seeräuber zusammen? „Anfang des 15. Jahrhunderts trafen sich einige Bewohner mit den Vitalienbrüdern; bekannten und berüchtigten Seeräubern“, erklärt Ruth Arnold. Genannt wurden sie auch Likedeeler, also diejenigen, die gleich teilen; allenfalls jedoch unter sich und die Anführer, da sei man sich gewiss, bekamen das Meiste. „Das waren keine Robin Hoods, die die Beute mit den Armen teilten. Ralves Carsten war auch kein politisch motivierter Freibeuter, der für eine höhere Sache, wie bürgerliche Freiheit oder die Unabhängigkeit Dithmarschens, kämpfte.“ In erster Linie war er Bauer und eine Art Häuptling.

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Er fuhr vermutlich los zur See, wenn er Lust dazu hatte und Beute witterte. Scharte seine Mannen um sich, wie es gerade nötig war; er hatte die Macht dazu, die Waffen. Die Bevölkerung wollte wohl eigentlich nichts damit zu tun haben. Sie mussten ihre Felder bestellen und wollten ihre Ruhe. Aber Ralves Carsten war der Anführer hier, ein Tyrann laut alter Chronik. Und hatte Schiffe: kleine Boote eher, mit Segeln und flachem Rumpf, in der Lage sich trockenfallen zu lassen und wie geschaffen für diese widrigen Gewässer voller Untiefen und schmaler Fahrwasser.

Hamburger Schiffe versprachen reiche Beute

Denn die Beute hatte Ralves Carsten vor seiner Nase. Hamburg war schon damals eine reiche Handelsstadt, über die nahe Elbmündung fuhren die Kaufmannsschiffe vollbeladen mit allen Erdenklichen (und in der Regel unbewaffnet) aus und ein. In Reichweite. Wie verlockend! Und niemand konnte die Seeräuber verfolgen über die verschlungenen Wasserwege, durch die wohl nur sie selbst gut navigieren konnten. Mann für Mann verschwand nach der Tat im Nirgendwo des Hinterlandes. Noch heute liegt vor der Elbmündung ein sich ewig veränderndes Labyrinth aus Sänden und Sandbänken, Untiefen und Lagunen, Wasserläufe verschieben sich ständig. Dithmarscher Seeräuber kannten sich da aus, dort lagen sie vermutlich auf Lauer. Auch ein anderer Dithmarscher war bei den Überfällen dabei – Abel Reimer. Den nahmen die Hamburger gefangen und richteten ihn hin.

Norddeich begrüßt seine Gäste Ulf Jacobsen/hfr
Ortschild von Norddeich
Norddeich begrüßt seine Gäste

„Dadurch entstand eine lange und anhaltende Fehde zwischen Dithmarschen und Hamburg“, berichtet Ruth Arnold. Ralves Carsten hatte durchaus etwas zu sagen. „Er war der Ansicht, dass die Hamburger mit der Hinrichtung Reimers in Dithmarscher Belange eingegriffen hätten  – nach dem Gesetz hätte der Seeräuber der heimischen Gerichtsbarkeit ausgeliefert werden müssen.“  Er plante einen mutmaßlichen Raubzug als Rache: Carsten rüstete eine Flotte und überfiel im September 1429 eine vor Norddeich liegende Hamburger Flotte, tötete mehr als hundert Mann.

Die Hamburger rächten sich und überfielen Büsum, das damals eine Insel war, brannten alles nieder und plünderten, was sie tragen konnten. „Daraufhin rüstete Ralves Carsten abermals auf. Ihm unterstanden auch die Kirchspiele Wesselburen, Wöhrden und Neuenkirchen. Er hatte also eine große Flotte und eine starke Streitmacht, die mächtig und mutig genug war, um die zu Hamburg gehörende Inselfestung Neuwerk anzugreifen.“ Die dortige Besatzung wurde massakriert, die Burg – das Neue Werk – zerstört. Ralves Carsten fuhr heim mit reicher Beute.

Schiffe wurden aufgerüstet

Aus Furcht vor neuen Überfällen rüsteten die Hamburger ihre Handelsflotte mit Hundertschaften an Soldaten aus. Trotz eines Nichtangriffsbefehles raubten und brandschatzten die Hamburger Konvoi-Soldaten vermutlich in Dithmarschen doch: „Als ihr Admiral Martin Swartekopp am 31. Juli 1430 nahe Brunsbüttel an Land ging, um grasende Ochsen zu rauben, wurden sie von wütenden Dithmarschern verfolgt und gestellt, erschlagen und geköpft. Dithmarscher Frauen trugen den auf einer Stange aufgespießten Kopf des Admirals als Siegestrophäe herum“, berichtet Ruth Arnold. Andere Quellen sprechen vom Magen. Es war die Zeit ganz kurzer Prozesse und es drohte eine endlose Spirale nicht endender Gewalt.

Das Wattenmeer vor Büsum, das früher eine Insel war TASH/hfr
Das Wattenmeer vor Büsum
Das Wattenmeer vor Büsum, das früher eine Insel war

Das war schlecht, vor allem für den Handel untereinander und gefährdete Gewinne. Crusen Johann aus Meldorf begann einen Waffenstillstand mit Hamburg auszuhandeln, er bekam von den Hanseaten 500 Schützen (manche Quellen sagen 800) und ausreichend Kriegsmaterial. Crusen Johann zog weitere Kirchspiele auf seine Seite, in ein Bündnis mit den Hamburgern. Auch solche in unmittelbarer Umgebung von Ralves Carsten und sogar seine ehemaligen Mitstreiter aus Wöhrden. Sie verbrieften einen ruhigen sowie sicheren Handel. Einer aber schürte vermutlich den Kampf, wenn der Frieden schon greifbar war – und es war klar: Ralves Carsten musste weg!

Floh Carsten durch einen Geheimtunnel?

Crusen und Konsorten zogen unter dem Meldorfer Ratsherrn Cord Möller los gen Norddeich. Ralves Carsten lebte auf einer Warft, die noch heute mitten im Ort Norddeich zu erkennen ist. Über das, was genau passierte, geht die Geschichtsschreibung auseinander. Ralves Carsten floh. Ob außer Landes oder nur durch einen (sagenhaften) Geheimtunnel zum Nachbarn, ist unbekannt. In Norddeich heißt eine Straße Alter Deich (den kann man auch erkennen), Ruth Arnold spricht von einer Senke im Dorf, wo sie den alten Hafen vermutet, in der Nähe die Warft von Carstens ehemaligem Hof. Mehr als diese Indizien gibt es nicht zu sehen.

Mal heißt es, seine eigene Frau hätte ihn erschlagen, dann, sie hätte ihn lediglich verraten, als er nach seiner Flucht heimlich auf den Hof zurückkehrte. „Es wird berichtet, dass er 1437 auf sein Anwesen zurückkehrte und dort entdeckt wurde. Wo genau er erschlagen wurde – ob auf dem Friedhof in Wesselburen oder anderswo -, ist nicht bekannt“, berichtet Ruth Arnold. Auch vom Jahr 1434 wird erzählt. Sein Sohn  schwor Blutrache, es entbrannten neue Fehden, bis es Hamburg gelang, Frieden zu stiften.

  * es gibt verschiedene Schreibweisen zu diesem Namen

Wer mehr über die damaligen Piraten erfahren möchte, sollte an einem Radausflug mit Ruth Arnold teilnehmen. (Gebühr pro Teilnehmer: € 2,50, Dauer etwa ca. 90 min). Für die Teilnahme an der Tour ist eine Anmeldung erforderlich unter Mailadresse rutharnold60@gmail.com oder Tel.: 04833-4101

Alle Touren starten an der Tourist-Info, Am Markt 5, 25764 Wesselburen.

Die Durchführbarkeit der Veranstaltung ist abhängig von der geltenden Landesverordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus SARS-CoV-2.

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