Elfer-Krimi gegen Spanien? Nagelsmann hat „Liste im Kopf“ – Wirtz-Frage geklärt
Matchday! Julian Nagelsmann wollte die Brisanz der großen EM-Reifeprüfung gegen Spanien gar nicht künstlich herunterspielen. „Das ist ein Viertelfinale in einer EM. Wenn das keine Brisanz hat, dann gute Nacht um halb Sieben“, sagte der Bundestrainer, als er 24 Stunden vor dem Anpfiff im Stuttgarter Stadion die absolute Bereitschaft der deutschen Fußball-Nationalmannschaft vermeldete. „Wir sind präpariert, wir sind guter Dinge!“
Die Spanier halten sich zwar schon für die Größten und Besten, aber Angstschweiß bricht beim DFB-Team um Chefstratege Toni Kroos und Zauberer Jamal Musiala nicht aus. Beim Abschlusstraining präsentierte sich der stets furchtlose Vorkämpfer Robert Andrich am Donnerstag nicht mehr platinblond, sondern plötzlich mit pink gefärbten Haaren. War es eine kleine Botschaft an die Furia Roja, die rote Furie, wie Spaniens Elf genannt wird?
Stärke zeigen, Zeichen setzen, Brust raus: schon vor der Kraftprobe der bislang besten Turnierteams am Freitag (18 Uhr/ARD und MagentaTV, Liveticker auf MOPO.de) waren die verbalen und auch nonverbalen Muskelspiele eröffnet. Die deutsche EM-Party soll auf der drittletzten Station nicht abrupt enden, sondern noch lauter und noch euphorischer in die letzte Turnierwoche gehen. „Wir wollen am Ende die Champions sein im eigenen Land“, verkündete Nagelsmann. „Wir fühlen uns gewappnet für ein Spiel auf Augenhöhe“, sagte Kapitän Ilkay Gündogan.
Nagelsmann: „Mein Fokus liegt weniger auf Yamal als Jamal“
Jungstar Jamal Musiala sprach ebenfalls vom Maximalziel. „Wir werden alles tun, für das Land, für das Trainerteam, für alle, dass wir den Titel holen können. Das ist unsere Motivation“ kündige der dreifache Torschütze voller Entschlossenheit bei Sky an.
Jamal gegen Yamal, der 21-jährige Musiala gegen das noch 16 Jahre alte spanische Megatalent Lamine Yamal, das ist nur ein Hingucker bei dieser Kraftprobe mit vielen spannenden Duellen. „Wir werden ihn nicht aus den Socken hauen, sondern wollen den Ball haben“, sagte Nagelsmann zur Verteidigung des spanischen Ausnahmetalentes. Außerdem sagte der Bundestrainer: „Mein Fokus liegt weniger auf Yamal als Jamal.“
Passmaschine Kroos gegen Spaniens Mittelfeldhirn Rodri. Joshua Kimmich gegen den brillanten Linksaußen Nico Williams mit der auffälligen Haartracht. Oder auch das Duell der Torhüter, Deutschlands Viertelfinal-Spezialist Manuel Neuer gegen Unai Simon von Athletic Bilbao, sind weitere Duelle. Es geht jetzt um Feinheiten, Nuancen, um Schlüsselmomente.
Haben sechs Wochen seit dem Vorbereitungsstart im thüringischen Blankenhain ausgereicht, um wieder eine deutsche Turniermannschaft zu formen, die mit den Fans im Rücken so sehr gewachsen ist, um allen Widerständen zu trotzen und unaufhaltsam zur finalen Krönung nach Berlin zieht? Julian Nagelsmann hat seit seinem radikalen Kaderumbruch nach dem Augen öffnenden 0:2 im Testspiel gegen Österreich im November 2023 in mittlerweile acht ungeschlagenen Länderspielen einen neuen Glauben nicht nur gepredigt, sondern geweckt.
Neuer Glaube im DFB-Team
„Langsam verstehen sie, wie gut sie sind“, sagte der 36-Jährige zufrieden nach dem Blitz-und-Donner-Sieg gegen Dänemark über seine Spieler, die den schweren Rucksack der Murks-Turniere 2018, 2021 und 2022 endlich abschütteln konnten. „Jetzt bleiben die Köpfe oben“, sagte Abwehrchef Antonio Rüdiger dem „Kicker“ zum Haltungsunterschied, wenn es mal schwierige Spielphasen zu überstehen gelte.
Für Nagelsmann ist es an der Zeit, mal wieder ein Turnierspiel gegen die stolzen Spanier gewonnen wird; egal ob nach 90 Minuten, nach Verlängerung oder auch erst in einem dramatischen Elfmeterschießen. Das gelang zuletzt bei der Heim-EM 1988, dem Geburtsjahr von Nagelsmann.
Nagelsmann hat keine Bauchschmerzen bei Elfmeterschmießen
Der sieht sein Team für einen möglichen Shootout gerüstet. „Das Wichtigste ist die Überzeugung des Spielers, dass er antreten möchte. Da habe ich fast schon zu viele als zu wenige geeignete Spieler. Deswegen habe ich keine Bauchschmerzen.“ Er habe für eine eventuelle Entscheidung vom Punkt bereits eine „Liste im Kopf“. Es sei aber wichtig, „dass die Spieler dann noch auf dem Platz stehen. Es ist nicht in Stein gemeißelt, dass alle noch spielen, die man jetzt im Kopf hat.“
Der königliche Kroos, der nach seinem triumphalen Abschluss im Trikot von Real Madrid als nationaler Meister und Champions-League-Sieger nicht ausgerechnet von den Spaniern in den Fußball-Ruhestand geschickt werden möchte, sprach derweil von „einem anderen Glauben“ in der DFB-Elf, die er bei seiner Rückkehr im März voller Verunsicherung vorgefunden hatte. „Ungarn, Schweiz, Dänemark – man sieht unsere Schritte“, sagte der 34-Jährige vor seinem letzten, vorletzten oder drittletzten Spiel seiner Karriere: „Ich sehe uns vorbereitet!“
Kroos (34), Gündogan (33), Rüdiger (31), die drei Ü30-Routiniers von Real und Barcelona, müssen als Achsenspieler vorangehen gegen die bisherigen Allesgewinner aus ihrer Wahlheimat. Kroatien (3:0), Italien (1:0), Albanien (1:0) mit einer B-Elf und Georgien (4:1) – kein bisheriger EM-Gegner war der Wucht des spanischen Ballbesitzfußballs gewachsen.
Nagelsmann mauert bei Sané oder Wirtz
Um Ballbesitz, um Dominanz, um die Spielregie wird es entscheidend gehen. „Solche Spiele werden in der Mitte entschieden“, sagte Kroos. Also da, wo sein Revier ist. Ruhe, Kontrolle, Stabilität, das sind die Faktoren, die gerade er wie kein anderer einbringen könne, bemerkte Leroy Sané: „Die Schwäche hat uns Toni komplett genommen.“
Sané oder Florian Wirtz? Das ist die größte Personalfrage, die Nagelsmann offen ließ. Er ließ sich in der Pressekonferenz nicht locken. „Ich kann die Frage beantworten, ich will sie aber nicht beantworten.“ Sané steht für Tempo, Wirtz für mehr Lösungen aus der Mitte des Spiels im offensiven Verbund mit Gündogan, Musiala und Kai Havertz. „Ich bin von Lee und von Flo überzeugt“, sagte Nagelsmann.
Neben Abwehrchef Rüdiger wird wieder Jonathan Tah erwartet nach verbüßter Gelb-Sperre. Und der kräftige David Raum dürfte wohl den Auftrag erhalten, Spaniens Teenie-Star Yamal zu bekämpfen. „Wir werden viele Eins-gegen-eins-Situation lösen müssen“, sagte Nagelsmann voraus.