Nach Gelsenkirchen: England-Fans gewarnt vor „gefährlichstem Slum Deutschlands“
Prügeleien mit den Serben, eine halbe Nacht an einem völlig überfüllten Bahnsteig und direkt zum Start Besuche in Gelsenkirchen und Blankenhain: Selbst für die routiniertesten England-Anhänger muss sich diese EM in Deutschland bisher anfühlen wie ein Abenteuer. Und die augenscheinlich größte Herausforderung wartet erst noch auf die zahlreichen Fans, die in Hoffnung auf den ersten großen Titel nach 58 Jahren Harry Kane und Co. von Spiel zu Spiel folgen: „Zombieland.“
So nannte der britische Boulevard das Bahnhofsviertel in Frankfurt. Denn weit bevor das Team um Kapitän Kane am Donnerstag (18 Uhr/ZDF und MagentaTV) in der EM-Arena auf Dänemark trifft, werden über 50.000 Fans der Three Lions in der Mainmetropole ankommen. Die allermeisten davon mit dem Zug – direkt hinein in die berüchtigte Zone.
Kritik an der Organisation in Gelsenkirchen
Die Polizei wertet die Begegnung, bei der auch Prinz William seinen Besuch angekündigt hat, als Risikospiel. Man sei sehr gut vorbereitet, um adäquat auf sämtliche Szenarien zu reagieren. In erster Linie setze die Polizei auf ein deeskalierendes und kommunikatives Vorgehen.
Als „chaotisch“ und „lächerlich“ hatten britische Fans den Ablauf sowie den Transport in Gelsenkirchen bezeichnet. Auch Journalisten kritisierten die Verantwortlichen massiv – für die Organisation, die überfüllten Bahnhöfe mitten in der Nacht sowie die Stadt im Pott, in der man teilweise nicht einmal mit Kreditkarte bezahlen könne. „Es ist nicht wirklich viel übrig geblieben in Gelsenkirchen“, sagte ein Sky-Journalist in einer viel beachteten Schalte. Es gebe nicht viel, was man dort tun könne.
„Sun“ über Frankfurt: „Gefährlichster Slum Deutschlands“
Das wird in Frankfurt nicht gelten. Die „Sun“ bezeichnete das Bahnhofsviertel als „den gefährlichsten Slum Deutschlands“, „randvoll mit 5000 schlurfenden Junkies und 300 Dealern“. Übertitelt war die Geschichte mit der Zeile: „Uefa schickt Three-Lions-Fans ins Höllenloch“. Am Donnerstag ist es soweit.
Bereits zum Wochenstart spielten Belgien und die Slowakei in Frankfurt. In diesem Zusammenhang hatte auch die belgische Polizei vor dem berüchtigten Quartier gewarnt. Der Gebrauch von harten Drogen, direkt auf der Straße, sei dort normal und Passanten würden belästigt, sagte Jan Vanmaercke von der belgischen Polizei in der vergangenen Woche der Zeitung „Nieuwsblad“.
Frankfurt mit Maßnahmenkatalog
Vor Beginn der EM hatte die Stadt einen Maßnahmenkatalog präsentiert, um die Situation zum Besseren zu wenden. Die Videoüberwachung wurde ausgebaut, die Waffenverbotszone ausgeweitet, die Polizeipräsenz erhöht, die Straßenreinigung hochgefahren.
Es gibt mehr öffentliche Toiletten und ein neues Pflaster. Markante bunte Pfeile sollen in englischer Sprache den Weg aus dem Bahnhofsviertel weisen – eine Maßnahme, die offiziell nichts mit dem Bericht der „Sun“ zu tun hat, aber zeitlich im April etwa zwei Wochen auf diesen folgte.
Revanche für Dänemark?
Sportlich kommt es für England zu einer Revanche mit alten Bekannten. Christian Eriksen, Pierre-Emile Hojbjerg sowie Stürmer Rasmus Hojlund sind als Dänemarks Schlüsselspieler allesamt in der Premier League beschäftigt. Vor knapp drei Jahren gewannen die Three Lions in Wembley mit 2:1 ein mitreißendes Halbfinale, das erst durch einen umstrittenen Elfmeter in der Verlängerung entschieden wurde.
Raheem Sterling ging damals so leicht zu Boden, dass sich in Anlehnung an Englands Fußball-Hit Nummer eins der Spruch „It’s diving home“ verbreitete – Sterling wurde damit eine Schwalbe unterstellt.
Vom Finale in Berlin am 14. Juli sind die Engländer diesmal noch weit weg – daran ändert auch das glanzlose 1:0 gegen Serbien zum Auftakt wenig. Viel mehr ist in den folgenden Tagen mal wieder eine Debatte über die pragmatisch-zurückhaltende Ausrichtung von Nationaltrainer Gareth Southgate entbrannt. Der ehemalige Profi setzt bei allen Turnieren seit 2018 vorrangig auf defensive Stabilität – statt mit seinem riesigen Pool an Offensivtalenten mal mehr ins Risiko zu gehen.
Kramer: „Finde ich ein bisschen enttäuschend“
„Der Kader ist anderthalb Milliarden Euro wert. Dass sie so spielen, finde ich immer ein bisschen enttäuschend“, sagte der deutsche Ex-Weltmeister Christoph Kramer nach dem Erfolg über Serbien dank eines Treffers von Champions-League-Sieger Jude Bellingham. Im Teamquartier in der thüringischen Idylle herrscht derweil Gelassenheit. Bellingham und seine Kollegen nutzten die Zeit seit Sonntag für einen gemeinsamen Fahrradausflug und ein paar Spiele mit dem Football.
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Mal wieder hinterfragt wird Southgate – diesmal dafür, dass er Bayern-Star Kane wie einen klassischen Strafraumstürmer einstellte und zu wenig mitspielen ließ. „Er hat den Ball in 45 Minuten nur zweimal berührt. Das ist nicht Kanes Spiel“, kritisierte Jamie Carragher. Der schon gegen Dänemark mögliche vorzeitige Einzug ins Achtelfinale wurde dagegen weniger thematisiert. (dpa/bv)