Er gab dem Millerntor sein Gesicht: „Sie fragten mich, welche Drogen ich nehme“
Das komplett fertige Millerntor ist vor ein paar Tagen fünf Jahre alt geworden. Treibende Kraft bei dem zuvor ein Vierteljahrhundert immer wieder heftig diskutierten Neubau war Ende 2006 der damalige Präsident des FC St. Pauli: Corny Littmann überzeugte die Hamburger Bürgerschaft, dem notleidenden Kiezklub einen Zuschuss von 5,5 Millionen Euro zu gewähren. Nur wenige wissen aber, wer dem in Deutschland viel bestaunten Stadion sein „Gesicht“ gab.
Wer an das Millerntor denkt, hat zuallererst die mächtige Südtribüne vor seinen Augen. Die ist wegen ihrer Speicherstadt-Optik zu einer Touristenattraktion geworden. Im Original entworfen hat die imposante Fassade der Bühnenbildner und Gestalter Johannes Wienand, der bereits die Littmann-Theater „Schmidt“ und „Tivoli“ zumindest innen unverkennbar machte, in den vergangenen Jahren auch die meisten Läden von Travestie-Star Olivia Jones ausstattete.
Millerntorstadion sollte Alleinstellungsmerkmal haben
„Corny hat mich damals dem Verein vorgeschlagen“, erzählt der 57-jährige Wienand, „und der hat zugestimmt. Der FC St. Pauli verlangte, dass das Äußere ein Alleinstellungsmerkmal und etwas Typisches für den Stadtteil St. Pauli haben müsse.“
Erste Idee: Das Millerntor in Tischfußball-Form
Seine erste Idee anno 2006 gefällt ihm immer noch: Wienand, ein gebürtiger Westfale, der sich aber mittlerweile als „Kiezpflanze“ bezeichnet, kreierte ein „verwarztes“ riesiges Tischfußballspiel als Stadion. Seine Assoziation: „Ein Kneipenkicker, in dem richtiger Fußball gespielt wird. Das wäre für mich auch heute noch der Knaller. Denn mehr Symbol für Fußball geht nicht. “
Entwurf wurde von den Entscheidern abgelehnt
Viele Entscheider beim Kiezklub hatte er mit seinem herrlich verrückten Modell nicht auf seiner Seite. Damit scheiterte er ebenso wie andere Stadionplaner zuvor mit der „Astra-Kiste“. Wienand lachend: „Damals bin ich dazu nur gefragt worden, welche Drogen ich denn nehme würde …“
Wienand kreierte die heutige Optik der Südtribüne
Also beschäftigte er sich mit der Frage der Südtribünen-Optik, zeichnete den Entwurf, der als Grundlage für das Architektenbüro „agn“ diente, die das Projekt quasi finalisierte. Worauf Wienand („Ich war bei jeder Baubesprechung dabei“) besonders stolz ist: „Für das Stadion musste es Backstein sein, das Baumaterial der alten Hamburger Arbeiterviertel, das einem proletarischen Kiezverein, ähnlich den Stadien in England, gut zu Gesicht steht. Außerdem dokumentiert die Formensprache der Speicherstadt die Nähe zum Hafen, schließlich sind wir hier ja nicht in Eppendorf.“
Alte Anzeigetafel sollte eigentlich integriert werden
In seinem Original schlug er vergeblich vor, die alte, händisch betriebene kultige Anzeigetafel mittig zu integrieren – „mit dem 2:1-Sieg gegen Bayern München“.
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Wienand ist überzeugt, dass „seine“ Südtribünenfassade zeitlos ist. Er gibt einen alten Architektenspruch zum Besten: „Wer mit dem Zeitgeist verheiratet ist, wird schnell Witwer.“