Abenteuer auf den Färöer: Ein Ex-St. Pauli-Profi startet schon am Wochenende
Wenn der Wind zu stark bläst, darf auf den Färöer bei Standardsituationen der Ball mit der Hand festgehalten werden. Ex-St. Pauli-Profi Kevin Schindler erlebt solche Kuriositäten als Trainer nun hautnah – denn am Sonnabend beginnt die Liga.
Sonnenschein ist im Leben von Kevin Schindler etwas Besonderes geworden. Mit dem schmuddeligen Wetter der Färöer hat der Mann, der von 2011 bis 2014 für St. Pauli spielte, noch so seine Probleme. Doch mit allem anderen ist Schindler in seinem neuen Leben als Co-Trainer des HB Torshavn auf dem Atlantik-Archipel gerade rundherum zufrieden. Das hat auch etwas damit zu tun, dass von Sonnabend an in der Betrideildin, der ersten Fußball-Liga des Landes, gespielt wird.
Liga-Spiele sollen in Dänemark und Norwegen gezeigt werden
„Das ist für die Leute hier eine richtig gute Chance, Eigenwerbung zu betreiben und der Welt zu zeigen, wie hier Fußball gespielt wird“, sagt Schindler. Ein laufender Liga-Betrieb ist in Zeiten der Coronavirus-Pandemie fast schon ein Alleinstellungsmerkmal. Europaweit wird sonst nur noch in Weißrussland gekickt. Das Verlangen nach Fußball merkt man auch auf den Färöer. „Unsere Spiele sollen im dänischen und norwegischen Fernsehen gezeigt werden. Das wäre sonst undenkbar“, erklärt Schindler.
Schindler lebt in der Hauptstadt Torshavn
Der 31-Jährige ist seit dem 8. Januar auf der Hauptinsel Streymoy. Er hat eine Drei-Zimmer-Wohnung leicht oberhalb der Hauptstadt Torshavn bezogen, wenn er aus der Eingangstür heraus nach links schaut, sieht er das Meer. „Das ist für mich ein Stück Lebensqualität“, sagt Schindler. Ein Teil dieser Lebensqualität wurde auch den Färingern in den vergangenen Monaten durch die Coronavirus-Pandemie genommen.
„Wir tragen keine Masken, brauchen keinen Abstand zu halten“
Die Regierung verordnete einen fünf Wochen andauernden Lockdown, der für März geplante Start der Fußball-Liga wurde verschoben. „Jetzt ist vieles wieder Normalität. Wir tragen keine Masken, brauchen keinen Abstand zu halten. Natürlich desinfizieren wir uns die Hände, aber grundsätzlich ist es hier einfacher geworden als in Deutschland“, meint Schindler. Seit zwei Wochen sind seine Spieler wieder im Mannschaftstraining, in der Liga müssen sie ohne Zuschauer auskommen.
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Hervorragende Labor-Infrastruktur auf den Färöer
Dass die Färöer in Sachen Corona glimpflich davonkamen, verdankte man neben der geografischen Abgelegenheit der Lachszucht. Weil ein hochansteckendes Virus den wichtigsten Exportzweig des Landes vor 20 Jahren massiv bedrohte, gibt es auf den Färöer eine sehr gute Labor-Infrastruktur. Und als Debes Christiansen, Chef eines Labors für Fischkrankheiten, vom Coronavirus hörte, rüstete er sein Labor um, um menschliche Tests analysieren zu können. „Das brauchte nicht viel Hokuspokus. Ich musste nur ein paar Komponenten ändern“, berichtete Christiansen. Ergebnis: Die Färöer verzeichneten bisher 187 Corona-Fälle, 184 sind wieder gesundet. Es gab keinen einzigen Todesfall.
Schindler: „Ich bin gesitteter und reflektierter geworden“
Man packte die Krise mit Bestimmtheit und Ruhe an. Und diese Art hat auch auf Schindler abgefärbt. „Ich will natürlich noch meine Ziele erreichen, aber bin etwas gesitteter und reflektierter geworden“, sagt Schindler. Dazu zählt auch, dass er Dinge macht, die vorher überhaupt nicht in sein Leben passten: „Eigentlich bin ich ein Stadtmensch, aber hier habe ich nicht einmal in einem Café gesessen. Stattdessen gehe ich gern wandern oder angeln.“
Schindler spielte auch in den USA und den Niederlanden
Die Welt hat Schindler bereits gesehen. Als es in seiner Karriere nach Stationen bei Bremen, Augsburg, Duisburg, St. Pauli und Wiesbaden in Deutschland nicht mehr weiter ging, zog der frühere U21-Nationalspieler in die Ferne. Erst kickte er in den USA, dann in den Niederlanden. Der Trainer von Borussia Dortmund II hat ihn dann zum amtierenden Pokalsieger der Inselgruppe zwischen Norwegen und Island vermittelt.
Nur fünf seiner Spieler sind Profis
Die Einwohner bezeichnet Schindler als „fußballverrückt“. Fünf seiner Spieler sind Profis, der Rest verdient in Jobs wie Dachdecker oder Banker seinen Lebensunterhalt. „Natürlich ist die Struktur hier etwas anders. Aber ich habe das Gefühl, hier etwas voranbringen zu können. Deshalb bin ich hier“, sagt Schindler. Und an das Wetter wird er sich womöglich auch noch gewöhnen. (MP/bat)