• Im Hinspiel siegte Aue mit 3:1. Hier duelliert sich Sören Gonther (r.) mit Henk Veerman, der St. Paulis einzigen Treffer erzielte. Gonther hält viel vom langen Niederländer.
  • Foto: WITTERS

Aue-Profi: Sören Gonther über Busunfall, Millerntor und St. Paulis Probleme

Angesichts von fünf Spielzeiten bei den Braun-Weißen ist Sören Gonther auch drei Jahre nach seinem Abschied ein bekennender Fan des FC St. Pauli. Dennoch will er am Sonntag mit seinem aktuellen Klub am Millerntor gewinnen – womit er seine große Liebe wegen der zunehmenden Abstiegsgefahr in tiefe Depressionen stürzen würde. Die MOPO sprach mit Aues Abwehrchef Sören Gonther (33).

MOPO: Auf dem Weg zum Spiel in Nürnberg hatten sie einen schweren Unfall mit dem Mannschaftsbus, mussten mit Privatautos und Kleinbussen weiterfahren. Haben Sie alles restlos verkraftet?

Sören Gonther: Ja, aber das war schon der Wahnsinn! Unser Busfahrer hat super reagiert, als das Auto in der Luft angeschossen kam. Eine Sekunde oder zwei Sekunden früher – und es wäre bei mir eingeschlagen und es wäre das Ende gewesen. Ich hatte Herzrasen danach und habe in der Nacht wenig geschlafen.

Mittlerweile können die deutschen Profis auf eine gewisse Erfahrung mit Geisterspielen zurückgreifen. Wie fühlt sich das Kicken ohne Publikum für Sie an?

Kurios. Auch wenn es bereits eine gewisse Routine gibt: An die Situation möchte man sich nicht dauerhaft gewöhnen. Die Atmosphäre kennt man von Freundschaftsspielen, aber es geht um drei Punkte. Beim ersten Spiel in Sandhausen habe ich bis zur zweiten Halbzeit gebraucht, um den Wettkampfmodus richtig anzunehmen.

Gibt es auch Vorteile?

Ja, als Abwehrspieler kann ich endlich auch unsere Stürmer verbal erreichen. Geärgert habe ich mich bei unserem Spiel gegen Darmstadt. Mich nervte das ständige dumme Gequatsche von den Leuten auf deren Bank, da grölte ich über den ganzen Platz: „Zieht die Masken hoch und haltet endlich den Mund!“ Sogar der Schiri musste darüber lachen.

Jetzt treten Sie ausgerechnet am Millerntor ohne Fans an.

Normalerweise freue ich mich immer wie ein kleines Kind, wenn ich mit meinen Mannschaften dort spiele. Eigentlich ist es stets ein großes Erlebnis mit einer Gänsehaut-Garantie. Jetzt ist es nicht dasselbe. Das wird komisch sein.

Immerhin kommen Sie mit einem Glücksgefühl, haben mit Aue den Klassenerhalt geschafft.

Unser Trainer warnt immer noch davor, dass man rein rechnerisch noch absteigen kann. Aber 41 Punkte sind der gefühlte Klassenerhalt, die Erleichterung nach unserem 1:0-Sieg gegen Karlsruhe war dementsprechend groß.

Eine gute Saison für Aue?

Auf jeden Fall! Wenn man nach dem 30. Spieltag mit einem Verein wie Aue Siebter ist, kann man zufrieden sein. Aber wir wollen noch mehr, nicht nur weil es noch um das Geld für das TV-Ranking für unseren Verein geht. Wir waren lange in der Saison auf den Rängen fünf bis sieben. Dann will man auch nicht mehr als 13. oder 14. einlaufen. Außerdem fahre ich auch nicht sechs, sieben Stunden mit dem Bus, um in Hamburg nur ein paar Ellenbogen abzuklatschen.

Aue ist in der Heimtabelle Dritter, im Auswärtsranking Letzter.

Diese Diskrepanz ist wirklich nicht zu erklären, zumal wir im Erzgebirge fast alles verprügelt haben. Aber jetzt wollen wir am Sonntag versuchen uns zu verbessern.

St. Pauli quält sich noch …

Ja, die Jungs sind nicht so gut aus der Corona-Pause gekommen. Aber unterm Strich werden sie es schaffen. Da ist genügend individuelle Qualität vorhanden.

Wen meinen Sie?

Zum Beispiel den Leo Östigard. Auch wenn er noch den einen oder anderen Fehler macht – mit seinen 20 Jahren gefällt er mir richtig gut. Er hat ein super Timing beim Kopfball, ein klasse Aufbauspiel und eine unheimliche Präsenz.

Wer imponiert Ihnen noch?

Henk Veerman und Dimitrios Diamantakos sind schwer zu verteidigen und nicht 90 Minuten zu kontrollieren, selbst wenn sie nicht ständig im hohen Tempo rochieren. Sie können Tore aus dem Nichts machen. Auch mein Freund Waldemar Sobota gefällt mir in seinem zweiten Frühling.

St. Pauli hat schon 36 Spieler eingesetzt. Was leiten Sie daraus ab?

Dass es vor allem in der Hinrunde viele Verletzte gab. Aber auch, dass für den Trainer nicht immer alles so aufgegangen ist, wie er es sich vorgestellt hat, eine Grundformation nicht gefunden hat. Wie wichtig das ist und was sich daraus entwickeln kann, sieht man bei Arminia Bielefeld.

Das Millerntor ist – abgesehen von der Corona-Problematik – seit vielen Jahren immer voll. Warum schafft es St. Pauli nicht, oben mitzuspielen und aufsteigen?

Es gibt nicht nur einen Grund als Wurzel allen Übels. Neben personellen Problemen durch Verletzungen ist bei St. Pauli auch seit langer Zeit eine hohe Fluktuation im Kader zu sehen. Auch die Trainer und Sportdirektoren wurden öfter ausgetauscht, was wiederum zu einem Wechsel der Fußball-Philosophie führt. Und: Durch diese 2. Liga marschiert keine Truppe einfach so durch. Sie ist ein Stahlbad. Da brauchst du viel Erfahrung.

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Jos Luhukay gilt als Aufstiegstrainer. Jetzt kann St. Pauli froh sein, wenn die Liga erhalten wird.

Das hat er mit Gladbach, Augsburg und Hertha geschafft, weil die nötige individuelle Qualität, die große Erfahrung vieler Profis da war. Ich hoffe, St. Pauli kriegt die Kurve und steigt so schnell wie möglich auf. Das gilt auch für den HSV. Ich wünsche mir ein Hamburger Derby in der 1. Liga.

Sie gelten als Mann klarer Worte, sowas gibt’s in Fußball-Deutschland unter den Spielern nicht mehr so oft.

Es ist in der Tat eine unschöne Zeit. Ich befürchte, dass es selbst Spieler wie Stefan Effenberg oder Mario Basler heute schwer hätten, die Wahrheit zu sagen, weil sie wie alle anderen auch sehr früh eingenordet worden wären. Eigentlich wäre es doch besser, wenn man offen und ehrlich seine Meinung sagen würde, anstatt sich ins Gesicht zu sehen und sich anzulügen.

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