Binden-Rekord: Drei Kapitäne in acht Minuten – wer sind St. Paulis wahre Anführer?
Waldemar Sobota führte St. Pauli in Bochum als Kapitän aufs Feld. Nach seiner Auswechslung trugen noch zwei Kiezkicker die Binde.
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Führungswechsel in einem Fußballspiel sind in der Regel positiv, zumindest für den neutralen Fan. Geschieht das innerhalb weniger Minuten, ist das regelrecht spektakulär. In der zweiten Halbzeit der Partie des FC St. Pauli beim VfL Bochum wechselte innerhalb kürzester Zeit gleich mehrfach die Führung – nur leider nicht in Form von Toren, sondern von Stoff. In rekordverdächtigem Tempo wanderte die Kapitänsbinde der Kiezkicker von Arm zu Arm. Für echte Führung reichte es nicht.
90 Minuten, null Tore, null Punkte, zwei Gegentore – und drei Kapitäne. In der zweiten Halbzeit des Auswärtsspiels in Bochum (0:2) hatten die Hamburger häufiger die Binde getauscht als gefährlich aufs gegnerische Tor geschossen.
Eine kuriose Momentaufnahme, eine Ausnahmesituation, die sich jedoch auch als grundsätzliches Führungsproblem und eine Strukturschwäche der Kiezkicker deuten lässt.
Waldemar Sobota vertrat den verletzten Daniel Buballa
Bei Anpfiff hatte Waldemar Sobota den Stoff am Arm getragen – als Vertreter des verletzten Daniel Buballa. Als Sobota in der 66. Minute ausgewechselt wurde, übergab er die Binde an Rico Benatelli, der erst sieben Minuten zuvor eingewechselt worden war.
Benatelli hielt den Stoff eigentlich nur warm und gab die Binde bereits in der 73. Minute an den eingewechselten Christopher Avevor weiter, der sein Comeback nach zehnmonatiger Verletzungspause gab.
Rico Benatelli: Acht Minuten St. Pauli-Kapitän
Drei verschiedene Kapitäne innerhalb von acht Minuten!
Mit Avevor trug schließlich jener Spieler die Binde, den Trainer Jos Luhukay vor dieser Saison überraschend zum Kapitän gemacht hatte, bevor sich der Innenverteidiger schon im zweiten Spiel gegen Fürth schwer verletzt hatte (Bruch des linken Wadenbeins/ Riss der Syndesmose).
Ein schöner Moment. Ein Kreis hatte sich geschlossen. Happy End. Nette Story. Einerseits.
Christopher Avevor: Comeback nach zehn Monaten Pause
Andererseits: Kein Spieler, der beim 0:2 die Binde getragen hatte, war tatsächlich der Führungsrolle auf dem Rasen gerecht geworden. Wie auch?
Sobota ist das noch am ehesten anzukreiden, denn er hatte 66 Minuten Zeit dazu. Der 33-jährige Mittelfeldmann mühte sich zwar, ging aber weder mit einer guten Leistung voran, noch war er eine zentrale Figur, Anführer, Wortführer, Motivator, Wachrüttler. An diesen Typen mangelt es dem Kader.
FC St. Pauli: Wer sind die wahren Anführer?
Aber man darf nicht vergessen: Sobota war ja Ersatzkapitän, von Buballa, der wiederum Stellvertreter von Avevor in dieser Saison war und über weite Strecken ein leistungsgerechter Kapitän. Immerhin zählt auch Sobota zu den wenigen echten Stammkräften dieser Spielzeit, was ihn neben seiner Erfahrung für das Amt prädestinierte.
Die Tatsache, dass mit Benatelli kurzzeitig ein Spieler die Binde trug, der es in der Hinrunde so gut wie nie in den Kader geschafft und zuletzt seinen in diesem Jahr mühsam erarbeiteten Stammplatz wieder verloren hatte, sagt einiges aus über den aktuellen Kreis von potenziellen Kapitänen beim Kiezklub. Oder aber über Wert und Wertschätzung des Amtes beim FC St. Pauli.
Comebacker Avevor nach Bochum-Pleite als Tröster
Dass Benatelli in den acht Minuten als Kapitän nicht das Kommando übernommen und das Ruder herumgerissen hat, muss man ihm aufgrund der begrenzten Zeit nachsehen.
Avevor wiederum hat zehn Monate nicht gespielt und viel Zeit in der Reha verbracht. Der Innenverteidiger muss erst wieder Spielpraxis sammeln und zu seiner Bestform finden, bevor man von ihm auch noch Führungsaufgaben erwarten kann, wenngleich es beeindruckend war, wie er sich nach dem Schlusspfiff bemühte, die frustrierten Mitspieler, insbesondere die Youngster, aufzurichten.
St. Pauli-Kapitän: Stellvertreter Kalla nie im Kader
Natürlich hatte Benatelli die Binde sofort an Avevor weitergereicht. Protokollgerecht. Zugleich war es ein symbolischer Akt.
Was fast in Vergessenheit gerät: Avevor hat noch einen zweiten Stellvertreter neben Buballa, Jan-Philipp Kalla. Der war in den vergangenen zehn Spielen nicht ein einziges Mal im Kader.
Jos Luhukay hat St. Paulis Kapitäne selbst bestimmt
Man kann den wilden Binden-Wechsel von Bochum als Resultat besonderer Umstände sehen, und das trifft auch zu. Man kann die Kapitäns-Thematik generell für überbewertet halten, für unwichtig und die Binde für pure Symbolik. Immerhin war Luhukay die K-Frage so wichtig, dass er sie vor der Saison undemokratisch zur Chefsache gemacht hatte.