Corona und Dauerkarten-Zoff: 110 Jahre! Der Frust-Geburtstag des FC St. Pauli
An diesem Freitag wird der FC St. Pauli 110 Jahre alt. Ein stolzes Alter und eigentlich ein Grund groß zu feiern. Doch das wird nicht passieren – und hat nicht nur mit der Corona-Krise zu tun. Es ist aus verschiedenen Gründen ein Frust-Geburtstag.
Donnerstagnachmittag am Millerntor. Mannschaft und Trainer simulieren das anstehende Geisterspiel gegen Nürnberg. Die Spieler kommen je zur Hälfte in brauner oder weißer Spielkleidung auf den Rasen. Einige Profis betreten den Platz mit Mundschutz, der beim Üben dann abgenommen wird. Alles soll so praxisnah wie möglich erlebt werden.
FC St. Pauli: Geisterspiel-Test am Millerntor
Oben auf der Tribüne schauen Präsident Oke Göttlich und Sportchef Andreas Bornemann als einsame Betrachter zu. Beide tragen eine Maske, halten den geforderten Abstand zu einander. Die Ränge sind leer – ein trauriges, bedrückendes Szenario. So wird es auch am Sonntag aussehen.
Wie alle Profi-Vereine leiden die Braun-Weißen unter den Auswirkungen der Pandemie. Dabei muss man die Verantwortlichen dafür loben, dass sie in den vergangenen Jahren so gut gewirtschaftet haben. Dem FC St. Pauli geht es wesentlich besser geht als vielen Konkurrenten in der 2. Liga. Aber auch der Kiezklub sah sich genötigt, Kurzarbeit einzuführen. Zweitligaspieler, leitende Angestellte und selbst Mini-Jobber haben auf Gehalt verzichtet.
Für Unwohlsein sorgen auch die Geisterspiele, die es nur gibt, um die Saison irgendwie zu Ende zu bringen und die angeschlagenen Vereine finanziell über Wasser zu halten. St. Paulis Fans müssen auf vier Heimspiele verzichten. Sie haben die Möglichkeit, eine Entschädigung zu erhalten. Doch wie so oft in Krisenzeiten hoffen die Funktionäre, dass die Anhänger den Klub unterstützen.
FC St. Pauli: Ärger um Dauerkarten
Damit nicht genug: Bereits ab dem 2. Juni werden die neuen Dauerkarten verkauft. Die werden trotz Corona bis zu acht Prozent teurer. Die Macher weisen darauf hin, dass die Preise fünf Jahre lang nicht verändert worden seien und dass man sogar mehr hätte fordern können. Unstrittig ist, dass der Zeitpunkt der Erhöhung unsensibel gewählt wurde.
Hinzu kommt: Obwohl die Preise erhöht wurden und auch in der kommenden Saison Geisterspiele drohen, werden die bisherigen 15.500 Dauerkartenbesitzer quasi zum Neukauf gezwungen. Bisher hat es der Verein auch auf Nachfrage der MOPO noch nicht bestätigt, jedoch: Wer jetzt (aus nachvollziehbaren Gründen) verzichtet, verliert vermutlich sein Anrecht auf sein Abo und seinen angestammten Platz im Stadion. Mit Nachrückern gibt es kein Problem: 12.600 Menschen stehen auf der Warteliste.
FC St. Pauli steckt noch im Kampf gegen den Abstieg
Zudem sorgt auch die sportliche Situation nicht für Glücksgefühle am heutigen historischen Tag: Trainer Jos Luhukay, der eigentlich als Aufstiegstrainer gilt und deshalb im April 2019 Markus Kauczinski abgelöst hatte, wies zu Recht darauf hin, dass es in den letzten neun Saisonspielen trotz des Fünf-Punkte-Vorsprungs auf den Relegationsplatz immer noch um den Klassenerhalt ginge.
Das ist ja fast schon zur Normalität geworden seit dem 100. Jubiläum anno 2010. Nach dem Abstieg aus der Bundesliga 2011 ging es zu oft ums sportliche Überleben. 2012 und 2016 sprang immerhin ein vierter Rang heraus. Luhukay ist der neunte Trainer seit dem Weggang von Holger Stanislawski 2011, Andreas Bornemann der sechste Sportchef seit Helmut Schulte, zählt man die zweimalige Interimstätigkeit des Geschäftsführers Andreas Rettig hinzu.
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Fakt ist: Kontinuität sieht anders aus. Ehrgeizige Top-Spieler wie Max Kruse, Fin Bartels, Lasse Sobiech oder zuletzt Mats Möller Daehli zog es mangels klar definierter Aufstiegsambitionen des Vereins weg.
An diesem Freitag hätte groß gefeiert werden können. Nun ist es ein eher unschöner Geburtstag. Aber vielleicht beschenkt sich der FC St. Pauli ja wenigstens mit einem Sieg gegen den 1. FC Nürnberg. Damit der Frust nicht noch größer wird.