Die „Herz von St. Pauli“-Debatte und die Folgen: Kiezklub verurteilt „Anfeindungen“
Das Thema schlägt weiter hohe Wellen und wird beim und um den FC St. Pauli heiß und emotional diskutiert. Der Kiezklub hat Fakten geschaffen, sich aber eine Hintertür offengelassen. Vor dem Heimspiel gegen den SC Freiburg an diesem Samstag (Anpfiff 15.30 Uhr, Liveticker auf MOPO.de) wird erstmals nach 20 Jahren nicht mehr das Kult-Lied „Das Herz von St. Pauli gespielt“. Für immer aus dem Stadion verbannt ist die lange beliebte Hymne damit allerdings noch nicht. Warum das so ist, zu welchen unwürdigen Folgen der Streit um den Song geführt hat – und ob dieser die Fans des Kiezklubs spalten kann.
Die Diskussionen haben den Verein und seine Fans einige Tage in Atem gehalten und sie sind auch mit der Entscheidung, das Abspielen des Liedes bis auf weiteres auszusetzen, noch nicht beendet. Viele Anhängerinnen und Anhänger halten es für unangemessen bis inakzeptabel, „Das Herz von St. Pauli“ aufgrund der NS-Verstrickungen von Texter Josef Ollig weiterhin im Millerntorstadion erklingen zu lassen – in dem auf der Gegengerade in riesigen Lettern „Kein Fußball den Faschisten“ prangt. Das passe überhaupt nicht zusammen. Nach MOPO-Informationen befürwortet die Mehrheit der organisierten Fans den mindestens vorübergehenden Verzicht auf das Abspielen im Stadion. Durchaus auch bedauernd, aber überzeugt, dass das Lied nicht einfach weiter erklingen darf, als sei nichts passiert.
„Das Herz von St. Pauli“ auf Eis – Fans sind gespalten
Die Gegner dieser Haltung verweisen darauf, dass das „Herz für St. Pauli“ zum Kiezklub gehöre und traditionelles Liedgut im Stadion sei, zu dem es eine emotionale Verbindung gibt. Darüber hinaus werde seit Jahr und Tag eine Punkrock-Version des Songs von der Band „Phantastix“ mit Michael „Elf“ Mayer verwendet (u.a. „Slime“). Es gibt Stimmen, die meinen, man müsse das Werk vom Autor trennen und das Lied sei längst positiv besetzt. Und es gibt viele Fans, für die das Thema vor allem eine persönliche Geschichte ist, denen „Das Herz von St. Pauli“ einfach ans eigene Herz gewachsen und bei Heimspielen nicht wegzudenken, sondern lautstark mitzusingen ist, seit mehr als zwei Dekaden Tradition.
Heftig ist der Protest vor allem in den sozialen Netzwerken – auch von unsachlich bis unter der Gürtellinie. Es ist schwer zu sagen, wie viele der Personen, die sich äußern und den Kiezklub für den Stopp des Songs kritisieren oder attackieren, tatsächlich regelmäßige Stadion-Besucher, Vereinsmitglieder oder tatsächlich Fans sind oder zu der Gruppe jener gehören, die den FC St. Pauli regelmäßig für alles mögliche aufs Korn nehmen. Ob es am Samstag beim Spiel gegen Freiburg Protest-Aktionen, Transparente oder andere Unmutsbekundungen zu diesem Thema gibt, wird sich zeigen.
FC St. Pauli will weiter Austausch und Aufarbeitung
Die Vereinsverantwortlichen „verstehen und respektieren die verschiedenen Argumente in dieser komplexen Diskussion“, sagt Präsident Oke Göttlich in der offiziellen Stellungnahme des Vereins. Der „Austausch“ mit den Mitgliedern und Fans über den Umgang mit dem Lied solle fortgeführt, darüber hinaus auch die historische Aufarbeitung über die Rolle von Texter Ollig im Dritten Reich fortgesetzt werden, teilt der Verein mit. Göttlich: „Wir wollen eine möglichst fundierte Grundlage schaffen und keine vorschnellen Entscheidungen treffen; wir wollen aber auch nicht einfach ‚Weiter so!‘ sagen.“
Den Stein ins Rollen gebracht, was letztlich zu einer Lawine geworden ist, hatten Recherchen des St. Pauli-Museums zur Entstehungsgeschichte des Liedes. Dabei waren die Beteiligten darauf gestoßen, dass Ollig Wehrmachts-Soldat und am Russland-Feldzug der Nazis beteiligt war und auch als Kriegsberichterstatter von der Front die NS-Propaganda bediente. Für viele St. Pauli-Fans hat sich damit bereits jede Diskussion erledigt und das in seiner Ursprungsversion 1965 veröffentlichte „Herz von St. Pauli“ als Stadion-Hymne unmöglich gemacht.
Die Aufregung und Empörung im Netz könnte sich aber einmal mehr als größer erweisen, als sie im echten Leben ist, beziehungsweise im Umfeld des Kiezklubs. So war es zuletzt beispielsweise auch bei St. Paulis umstrittenem Kooperations-T-Shirt mit der Band „Bad Religion“ und deren Logo mit dem durchgestrichenen Kreuz.
Anfeindungen gegen Forschende des St. Pauli-Museums
Bei aller Emotionalität sei die Debatte weitestgehend sachlich geblieben, heißt es seitens des Vereins, der allerdings auch berichtet, dass die Forschenden des Museums zur Zielscheibe geworden seien. „Diese Anfeindungen weisen wir strikt zurück, wir stehen zu 100 Prozent hinter dem Museum und den Mitarbeitenden“, betont Präsident Göttlich.
Das könnte Sie auch interessieren: Wie St. Pauli-Trainer Blessin über die Debatte um „Das Herz von St. Pauli“ denkt
Bei der weiteren Aufarbeitung der Rolle von Ollig soll es unter anderem auch darum gehen, ob er auch nach Kriegsende ein Nationalsozialist geblieben ist und seine Gesinnung auch zum Zeitpunkt der Entstehung von „Das Herz von St. Pauli“ die gleiche war wie zu Zeiten der Nazi-Diktatur. Zum Zweck des Erkenntnisgewinns, nicht der Relativierung.
Anmerkungen oder Fehler gefunden? Schreiben Sie uns gern.