Drei Polizistinnen am Millerntor

Fans des FC St. Pauli beklagten einen völlig überzogenen Polizeieinsatz beim Spiel in Leipzig im Februar (Symbolbild). Foto: IMAGO/Noah Wedel

Fans sauer: Polizeigewalt gegen St. Pauli-Anhänger in Leipzig bleibt unaufgeklärt

Es ist grundsätzlich ein ausbaufähiges Gefühl, wenn einem Unrecht widerfährt. Geschieht dieses auch noch durch die Exekutive, bekommt die Nummer eine neue Dimension und schreit nach Aufklärung. Dumm nur, wenn daran nicht alle beteiligten Parteien wirklich interessiert sind. Wie im Fall des Polizeieinsatzes gegen St. Pauli-Fans beim Auswärtsspiel in Leipzig im vergangenen Februar. Drei parlamentarische Anfragen durch Die Linke sowie Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag wurden zum Polizeieinsatz vom 9. Februar gestellt und durch das Sächsische Staatsministerium des Innern beantwortet, allerdings ohne eine wirkliche Aufklärung oder gar Folgen.

Die „Braun-Weisse Hilfe“ hatte die Vorfälle am Leipziger Hauptbahnhof seinerzeit dokumentiert. Dort war es bei Ankunft des Zuges der Gäste-Fans zu „eskalativer und unbegründeter Polizeigewalt“ gekommen: „Die Hamburger Fans hatten noch nicht einmal den Bahnsteig verlassen, da tätigte die Polizei bereits die ersten körperlichen Angriffe: Es wurde geschubst, gedroht, wahllos um sich geschlagen und schlussendlich sogar mit gestrecktem Bein in die Ansammlung von Fans gesprungen. Damit aber nicht genug, wurde Fans unangekündigt direkt und gezielt ins Gesicht geschlagen. Die Dokumentation der Vorfälle versuchten Polizist*innen mit (Gewaltan)Drohungen und dem Herunterschlagen von Handys zu unterbinden. Anscheinend war die Dokumentation des eigenen Auftretens von Beginn an nicht gewünscht.“

Vorwurf: St. Pauli-Fans von Polizist:innen bedroht

Das willkürliche Vorgehen der Polizei habe die Fanhilfe vor eine ganze Reihe von Fragen gestellt. Einige davon kamen auch bei Abgeordneten wie Juliane Nagel (Die Linke) im Sächsischen Landtag auf. Sie und andere Abgeordnete stellten parlamentarische Anfragen zu dem Polizeieinsatz vom 9. Februar und forderten (unter anderem) Auskunft über die dem Einsatz zugrundeliegende Gefahrenprognose, die Ausrüstung der Polizei, die vermeintlichen Straftaten durch St. Pauli-Fans sowie den angewendeten unmittelbaren Zwang.

Zweifel am angeblichen Bewurf von Einsatzkräften

Eine Erklärung für das massive Auftreten und die willkürliche Gewaltanwendung der Polizei kann man anhand der (polizeilichen) Gefahrenprognose nicht erkennen. Es wurde mit einem ganz normalen Bundesligaspiel gerechnet, das Verhältnis der beiden Fanlager als „normal“ eingestuft. Was die Ausrüstung der Beamt:innen betrifft (behelmt, Mehrzweckpistole), gab es folgende Begründung der Sächsische Staatsregierung: „Bei der Ankunft der Gästefans am Hauptbahnhof Leipzig benötigte die Bundespolizei zur Lagebewältigung Unterstützung, die durch die sächsische Polizei gewährleistet wurde. Im Rahmen der Unterstützungsanfrage war bekannt geworden, dass es zum Bewurf von Einsatzkräften gekommen sein soll, weshalb die Einsatzkräfte Schutzhelme trugen.“ Darüber hinaus gehöre die offen vor Ort getragene „Mehrzweckpistole“ zur Standardausrüstung der Einsatzeinheiten.

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Ein angebliches Bewerfen der Einsatzkräfte konnte laut Braun-Weisser Hilfe von keinem der Fans vor Ort wahrgenommen werden. Dies spreche dafür, dass der Umfang des Bewurfs (soweit er denn wirklich stattgefunden hat) verschwindend gering gewesen sein müsse. „Der hier auftretende Widerspruch zu der ausufernden Gewalt seitens der Polizei kann auch an dieser Stelle nicht aufgelöst werden.“ Gleiches trifft auf die vermeintlichen Straftaten der Fans zu. „Insgesamt sechs Menschen wurden im Rahmen des Einsatzes einer Identitätsfeststellung unterzogen, davon eine Person wegen des Vorwurfes einer versuchten Tätlichkeit gegenüber der Polizei“, schreibt die Braun-Weisse Hilfe. „Zwei Personen wurden darüber hinaus identifiziert, weil sie Sticker verklebt haben sollen, und drei Personen aufgrund von zurückliegenden Vorwürfen aus Hamburg.“

Nach Auswertung aller Antworten rund um den Spieltag könne festgestellt werden, „dass keine Anhaltspunkte vorliegen, die den gezielten und gewaltvollen Angriff der sächsischen Polizei auf eine große Anzahl von St. Pauli-Fans erklären. Die An- und die Abreise verliefen auch den Darstellungen der sächsischen Polizei zufolge friedlich und unaufgeregt“.

Mindestens 26 St. Pauli-Fans Opfer von Gewaltanwendungen

Und trotzdem gab es unterm Strich sechsundzwanzig Fälle von Gewaltanwendung durch die Polizei Sachsen, die im Zusammenhang mit der An- und Abreise durch das Innenministerium dokumentiert wurden. „Sechsundzwanzig St. Pauli-Fans, die Schmerzen erleiden mussten und der Gefahr von körperlichen Verletzungen ausgesetzt waren oder diese tatsächlich erleiden mussten. Sechsundzwanzig Personen, die den behelmten und bewaffneten Einsatzkräften schutzlos ausgeliefert waren“, schreibt die Braun-Weisse Hilfe. Und das seien nur die Fälle, in denen die sächsische Polizei (nachweislich) gehandelt habe. Dazu kämen noch die Gewaltanwendungen der Bundespolizei, welche die Regierung in Sachsen selbst nicht aufgezeichnet hat. Außerdem sei weiterhin unerklärt, wieso Beamt:innen die Fans des FC St. Pauli bspw. mit Worten wie „Scheiß St. Pauli“ oder als „antideutsches Gesocks“ beleidigten: „Die entsprechende Anfrage blieb unbeantwortet, eine grundsätzliche politische Einordnung des Gesagten unterblieb.“

Keine Reaktion des Innenministeriums in Sachsen

Fazit der Braun-Weissen Hilfe: „Auch wenn schlussendlich die Unverhältnismäßigkeit des Vorgehens der sächsischen Polizei festgestellt werden kann, ist der Grund für dieses Vorgehen nach wie vor offen. Die parlamentarischen Anfragen zeigen, dass Teile des Sächsischen Landtags das Vorgehen der Polizei an diesem Spieltag nicht gutheißen. Die Reaktion des Sächsischen Innenministeriums hingegen bleibt aus.“ Ein Eingeständnis oder eine Aufarbeitung sei nicht in Sicht, „interne disziplinarrechtliche Maßnahmen gegen die verantwortlichen Polizist*innen wurden nicht ergriffen“.

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