Kapitän Irvine – oder etwa nicht? Blessin und die Führungs-Fragen bei St. Pauli
Er hat die meisten Meilen aller Kiezkicker auf dem Konto in dieser Sommerpause. Jackson Irvine, Globetrotter des FC St. Pauli. Der rauschenden Aufstiegsparty auf dem Kiez folgten Hochzeits-Nachfeiern und Flitterwochen. Familienbesuch im australischen Melbourne, Heimatbesuch mit seiner Frau Jemilla im englischen Hull, Urlaub auf der griechischen Insel Santorini, an der italienischen Amalfiküste und in Neapel. Der nächste Trip wird den Kapitän mit seiner Mannschaft ins Trainingslager nach Österreich führen, um sich auf seine Traumreise vorzubereiten: die braun-weiße Bundesligasaison. Irvine ist als Leader unumstritten. Dennoch müssen Führungsrollen neu verteilt werden. Wie demokratisch ist der neue Coach?
Am Montag ist Trainingsauftakt an der Kollaustraße. Dann wird der neue Trainer Alexander Blessin seine erste Einheit leiten. Die Woche wird im Zeichen des Kennenlernens stehen und auch der Veränderung, denn wenngleich Blessin auf der Arbeit von Vorgänger Fabian Hürzeler aufbauen will, hat er doch eigene Konzepte, Ideen, Ansätze, Arbeitsweisen und wird einiges verändern.
Jackson Irvine, der maßgeschneiderte Kapitän für St. Pauli
Das Kapitäns-Amt wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht dazuzählen – wobei dem neuen Coach nicht vorgegriffen werden sollte. Aber niemand zweifelt ernsthaft daran und es gibt auch keinen offensichtlichen Grund, der dagegensprechen könnte, dass Irvine die Kiezkicker auch in Liga eins anführen wird. Der australische Nationalspieler ist absoluter Leistungsträger, starke Führungsfigur innerhalb des Teams und nach außen, Publikumsliebling, Integrationsfigur. Mehr Käpt’n geht nicht. Er ist nun einmal der Beste für die Binde. Und: eine Entscheidung gegen Irvine würde für Unruhe und Unverständnis bei den Fans sorgen, was eine völlig unnötige Baustelle wäre.
Wichtig: Für Blessin ist Englisch die gewohnte Sprache im Fußballalltag, er kennt das von seinen Auslandsstationen. Es wird keine Kommunikationsschwierigkeiten mit Irvine geben. Angesichts des internationalen Kaders von St. Pauli hatte Sportchef Andreas Bornemann bei der Trainersuche Englischkenntnisse zu einem wichtigen Kriterium gemacht.
Ein neuer Stellvertreter wird allerdings gebraucht – diese Rolle hatte in der abgelaufenen Saison Marcel Hartel inne, der künftig für US-Klubs St. Louis City kickt. Insgesamt achtmal war St. Paulis Topscorer in Abwesenheit von Irvine der Kapitän. Eric Smith war zweiter Stellvertreter.
Vize-Kapitän Hartel ist weg – rückt Smith einfach auf?
Auch der Mannschaftrat verzeichnet mit Hartel einen Abgang. Dem sechsköpfigen Gremium gehörten neben dem Mittelfeldtechniker, Irvine und Smith noch Hauke Wahl, Sascha Burchert und Karol Mets an. Allesamt Spieler, die aufgrund ihres sportlichen Werts und ihres Charakters auch für das künftige Gremium in Frage kommen.
Spannend ist die Frage, wie der neue Mannschaftsrat gebildet wird, was üblicherweise am Ende des Trainingslagers geschieht. Lässt Blessin den Rat vom Team wählen, demokratisch und damit in erster Linie als Interessenvertretung der Gruppe? Oder bestimmt er die Mitglieder des Gremiums und auch den Kapitän selbst – als die von ihm favorisierten Ansprechpartner und Vertrauenspersonen, so wie es Hürzeler kategorisch gemacht hatte?
Lässt Blessin den Mannschaftsrat wieder wählen?
Hürzelers Vorgänger Timo Schultz hatte den Mannschaftsrat wählen lassen. In der Saison 2022/23 gehörten der damals fünfköpfigen Gruppe Irvine, Smith, Hartel, Leart Paqarada und Luca Zander an. Schultz bestimmte dann aus diesem Quintett Irvine und Paqarada zu gleichberechtigten Kapitänen.
Blessin wird wie üblich auf einen Kapitän setzen. Zuletzt bei Royal Union Saint-Gilloise hatte es nach seiner Ankunft im Sommer 2023 einen neuen Spielführer gegeben. Die Binde bekam Torwart Anthony Moris, luxemburgischer Nationalkeeper. Der Posten war vakant, nachdem der langjährige Kapitän Teddy Teuma den Klub verlassen hatte.
Zwei Wege: Altbewährt oder Blutauffrischung
Die entscheidende Frage ist, ob Blessin ein Weiter-so auf der Führungsebene der Mannschaft befürwortet und die Kontinuität als stabilisierenden Faktor ansieht oder aber die Hierarchie verändern, möglicherweise auch nur leicht modifizieren, erweitern und damit neue Akzente oder auch Reize setzen möchte. Frisches Blut? Nicht ausgeschlossen, dass einer der neuen Spieler, die noch verpflichtet werden, für den Rat in Frage kommt, wenn er sich aufgrund seiner Güteklasse und/oder Persönlichkeit dafür anbietet.