„Kein Beinbruch“: St. Pauli scheidet nach turbulentem Pokalspiel in Leipzig aus
St. Paulis Pokalreise hat in Leipzig ein schmerzhaftes Ende gefunden. Der Kiezklub konnte in der zweiten Runde des DFB-Pokals bei RB Leipzig nicht an die starke Leistung beim Remis gegen die Sachsen in der Bundesliga anknüpfen. Vor 40.478 Fans unterlag die Mannschaft von Trainer Alexander Blessin mit 2:4 (1:3). Offensiv kann die Mannschaft aus dem Spiel Hoffnung für die nächsten Aufgaben schöpfen – defensiv offenbarte sie dagegen ungewohnte Mängel.
St. Pauli begann im Mittelfeldzentrum mit Robert Wagner anstelle von Carlo Boukhalfa, auf dem rechten Flügel mit Oladapo Afolayan statt Danel Sinani und somit zwei neuen Spielern im Vergleich zum 0:0 gegen den VfL Wolfsburg am Samstag. Im Übrigen ein Ergebnis, das es auch beim Spiel gegen Leipzig Ende September am Millerntor gegeben hatte.
Die Ausgangslage am Dienstag unterschied sich aber bedeutend von der beim zuvor letzten Aufeinandertreffen mit RB: Erstens fand das Spiel in Leipzig statt, zweitens war Pokal, also ein Sieger unausweichlich, und drittens fehlte auf beiden Seiten der wohl jeweils beste Offensivakteur mit einer Syndesmosebandverletzung – RB musste ohne Xavi Simons auskommen, St. Pauli ohne Elias Saad. Das ob regelmäßiger Champions-League-Teilnahme hinsichtlich Englischer Wochen erprobte Leipzig startete sogar mit sechs Wechseln im Vergleich zu seinem 3:1-Heimsieg gegen Freiburg in der Bundesliga.
Marco Rose rechnete mit viel nötiger Geduld – die brauchte es aber nicht
Allzu spürbare Auswirkungen hatte das nicht. Leipzigs Trainer Marco Rose hatte dem Spiel vorher eine „große Überschrift“ verliehen: „Geduld“. Ganz so viel davon brauchten die Gastgeber allerdings nicht. Nach zwölf Minuten flog ein hoher Ball in St. Paulis Strafraum, den Abwehrchef Eric Smith zu Torhüter Nikola Vasilj köpfen wollte, sich dabei aber für seine Verhältnisse ungewöhnlich naiv anstellte und sich im Duell mit Gegenspieler Yussuf Poulsen verschätzte. Ja, der Däne setzte seinen Körper an der Grenze des Regelwerks ein, ein Foul war das aber nicht und so geriet Smiths Versuch zur Vorlage für den Leipziger Stürmer, der nur noch einzuschieben brauchte (12.).
Viel schwerer machte es St. Pauli auch Poulsens Kollege Christoph Baumgartner wenig später nicht. Lutsharel Geertruida flankte nach einem RB-Ballgewinn völlig unbedrängt von der rechten Seite auf den Österreicher, der ebenso unbedrängt zum 2:0 einköpfte (17.). Und wieder war es neben Hauke Wahl auch Smith, der seinem Gegenspieler im Zentrum zu viel Platz gewährt hatte. Ein fürchterlicher Start aus Sicht des Schweden – und ebenso aus Sicht von St. Pauli.
St. Paulis Anschlusstreffer kontert Leipzig schnell
Der Kiezklub schaffte es kaum einmal, sich in die Leipziger Spielhälfte zu kombinieren; die Sachsen waren schneller – auf den Beinen, in ihren Gedanken. Und doch gelang nach einem Anflug von braun-weißem Mut und so etwas wie einer kleinen Drangphase der Anschlusstreffer: Robert Wagner setzte gut nach, bugsierte den Ball über den Umweg Afolayan zu Johannes Eggestein und der brachte ihn auf engstem Raum zu Guilavogui. Dessen Flachschuss aus dem Strafraum ließ RB-Ersatztorwart Maarten Vandevoordt passieren und so stand es nur noch 2:1 (28.).
Jedenfalls für zwei Minuten. Denn nach einem St. Paulianer Ballverlust in der Offensive – einem Hackenpass Guilavoguis in einer für Hackenpässe nicht aussichtsreichen Situation an der Seitenauslinie – wollte Smith den Ball hinfort bolzen, traf aber André Silva. Der Abpraller geriet zu einem Steilpass für Baumgartner, der auf und davon sprintete, Poulsen bediente – und der stellte unversehens auf 3:1 (30.). Leipzig präsentierte sich einerseits enorm effektiv im Abschluss. Das lag aber andererseits auch daran, dass St. Pauli es den Gastgebern vor dem Tor derart leicht machte. Bei keinem der Treffer war ein St. Paulianer in nennenswerter Nähe zum Leipziger Schützen, was freilich die Wahrscheinlichkeit eines Torerfolgs deutlich erhöhte.
Erst jetzt, nach dem 3:1, zog sich RB ein wenig zurück, St. Pauli lief früher an. Das brachte einige Ballgewinne – aber auch die stete Gefahr Leipziger Konter mit sich. Und doch lagen die ersten gefährlichen Abschlüsse der zweiten Halbzeit auf Hamburger Seite: durch Eggestein nach Kopfballverlängerung von Irvine (52.), durch Karol Mets aus der Ferne (54.), durch Wagner nach einer Ecke (57.), und Guilavogui nach Wagners Ballgewinn (58.).
Smith spielt offensiver – und plötzlich viel besser
Und die Offensivbemühungen zahlten sich aus. Schon ab Mitte der ersten Halbzeit war Eric Smith – nun in etwas offensiverer Rolle – anzumerken, wie sehr er sich um Wiedergutmachung bemühte, wie sehr er wollte. Und all dieser Wille entlud sich in der 59. Minute in einem Schuss aus rechter Flankenposition, den Lukas Klostermann praktischerweise noch abfälschte und ihm so eine für Torhüter Vandevoordt schwer zu berechnende Flugkurve bescherte.
Das 3:2 verlieh St. Pauli für Flügel, die Hamburger drängten fortan auf den Ausgleich. Beinahe gelang dieser Guilavogui mit seinem Kopfball, aber Nationalspieler Benjamin Henrichs stand goldrichtig zur Rettung (64.). Ebenso knapp war es bei Geertruidas Flanke auf der Gegenseite, die Nikola Vasilj gerade so eben aus dem Winkel kratzte (65.).
Mit Fortdauer der zweiten Halbzeit kam St. Pauli zu weniger Chancen und bei Leipzig frisches Personal auf den Platz, darunter der sehr schnelle und sehr dribbelstarke Antonio Nusa. Dass er das beides ist – sehr schnell und sehr dribbelstark – stellte er zum Leidwesen der Hamburger bald unter Beweis. Mit einem Übersteiger ließ der 19-Jährige Wagner (21) und – wieder – Smith (27) alt aussehen und Vasilj mit seinem Schuss keine Chance (80.). 4:2 für Leipzig, ein Rückschlag zu viel für St. Pauli und das Aus.
„Wir haben ein, zwei individuelle Fehler zu viel gemacht“, sagte Eggestein hernach und befand treffend: „Wenn wir vier Tore in Leipzig kriegen, wird’s extrem schwierig, zu gewinnen.“ Insgesamt könne man mit der Leistung „schon zufrieden sein, vor allem mit dem Ball“. Aber defensiv sei es „nicht so stimmig“ gewesen, „deswegen hat es nicht gereicht“.
Das könnte Sie auch interessieren: St. Pauli-Noten in Leipzig: Wer Probleme hatte – und wer positiv auffiel
Ähnlich enttäuscht zeigte sich auch Trainer Blessin. „Wir haben uns mehr ausgerechnet“, sagte der belgische Pokalsiegertrainer des Vorjahrs. Als ursächlich für die Niederlage sah er vor allem die Leistung in der ersten Halbzeit: „Probleme im Aufbauspiel“ und „fehlender Zugriff“ auf die Leipziger, die „Entscheidungsfindung“ vor den Gegentoren und aus seiner Sicht auch ein Foul im Vorlauf des 0:1 (eine Szene im St. Paulianer Angriff). Trotzdem sei St. Pauli in der zweiten Halbzeit „näher am 3:3 gewesen als Leipzig am 4:2“, fand Blessin.
Für den Moment seien sie alle traurig über das Ausscheiden, sagte er. „Aber für uns ist es kein Beinbruch“, die volle Konzentration gelte jetzt der Bundesliga. „Es ist das wichtigste Ziel, dass wir da jetzt alle Energie rein schmeißen.“ Aus Hamburger Sicht am besten schon am Samstag gegen Hoffenheim.