Legendäre Aktion im Derby: St. Paulis Leo Östigard: Das steckt hinter dem Fahnen-Tritt
Die Fans des FC St. Pauli haben ihn spätestens nach dem Derbysieg fest in ihr Herz geschlossen. Leo Östigard, Kämpfer-Typ, Mentalitäts-Monster, Emotions-Bombe. Sein Tritt gegen die Eckfahne nach dem Tor zum 2:0 im Volksparkstadion ist jetzt schon legendär. Und auch bei der Siegesparty auf dem Kiez war der erst 20-jährige Leih-Innenverteidiger ganz vorne mit dabei. Im großen MOPO-Interview spricht Östigard über Derby-Gefühle, seine Karate-Aktion, eine Zukunft bei St. Pauli, seinen Freund Erling Haaland und den Traum von einer EM-Teilnahme.
MOPO: Wie lebt es sich als Doppel-Derbysieger und Stadtmeister?
Leo Östigard: Es fühlt sich gut an! Ich bin sehr glücklich. Es war ein wichtiger Sieg für uns, den Verein und die Fans. Wir brauchten diesen Sieg. Wir haben alles gegeben. Ich finde, wir haben gezeigt, dass wir den Sieg etwas mehr wollten als der HSV.
Haben Sie in den zwei trainingsfreien Tagen all die Emotionen, Eindrücke und diesen großen Moment verarbeiten können?
Direkt nach dem Spiel war es sehr emotional und ein unglaubliches Gefühl. Dieses große Stadion, 57.000 Zuschauer, 50.000 gegen dich – das war das größte Spiel, das ich bis jetzt gespielt habe. Ich bin erst 20 Jahre alt. Ich bin stolz und glücklich, ein Teil davon gewesen zu sein. Das ist etwas, an das man sich zurückerinnert, wenn man irgendwann mal seine Karriere beendet. Dieses Spiel wird dann eines der größten sein.
Direkt nach dem Spiel hatten Sie bei den Jubelszenen auf dem Rasen plötzlich ein Mobiltelefon in der Hand und haben gefilmt. War das etwa Ihr eigenes?
Nein, nein (lacht). Das hat mir ein Mitarbeiter des Vereins in die Hand gedrückt und so konnte ich diesen Moment mit den Fans teilen. Das war eine lustige Aktion. Diese Momente sind wichtig.
Am Abend wurde der Sieg auf dem Kiez gefeiert – und sie waren wieder an vorderster Front.
Ich finde es wichtig zu feiern, wenn man diese Art von Spielen gewinnt. Es schweißt eine Mannschaft enger zusammen. Es muss einfach einen spürbaren Unterschied zwischen gewinnen und verlieren geben. Bei mir ist es so: Wenn ich verliere, dann ist mein Tag im Eimer und alles ist schlecht. Aber wenn man Siege richtig feiert, dann wächst auch der Wunsch, zu gewinnen, dann will man mehr.
Sie haben mit Ihrem Torjubel nach dem 2:0 für ein besonderes Bild gesorgt, das im Gedächtnis bleibt. Der Karate-Sprung gegen die Eckfahne. Was ist Ihnen da vorher durch den Kopf gegangen?
(lacht). Tja, also, wenn meine Mannschaft ein Tor schießt, dann spielen meine Emotionen einfach verrückt. Dann denke ich gar nicht darüber nach, was passiert. In diesem Moment bin ich losgerannt, auf den Knien gerutscht, weitergerannt und dann sah ich die Eckfahne – und bin einfach gesprungen.
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Sie haben eine Stange umgetreten, an der eine HSV-Fahne wehte…
Es hatte nichts damit zu tun, dass ich den HSV hasse oder etwas in der Art. Ich feiere einfach gerne und überlege mir da nicht vorher, auf welche Weise.
Diese Szene gab es schon einmal. Nach St. Paulis Derbysieg beim HSV 2011 hat der damalige Torwart Benedikt Pliquett ebenfalls die Eckfahne umgetreten. Wussten Sie das?
Nein, das wusste ich vorher gar nicht. Als mir das nach dem Spiel jemand erzählte, da war ich sogar ein bisschen geschockt und dachte „Oh, echt, das gab es schon mal?!“ Das ist echt witzig. Aber noch einmal: Wir haben einfach dieses Spiel gewonnen und ich habe gefeiert – und ich habe das Recht es so zu tun, wie ich will. Ich habe wirklich überhaupt nichts gegen den HSV. Nur ein Tritt, das war‘s.
Welchen Stellenwert nimmt dieser Derbysieg in Ihrer Karriere ein?
Nummer eins, natürlich! Weil ich noch nie vor so vielen Zuschauern gespielt und gewonnen habe. Das war mein größtes Spiel. Nummer zwei war das Hinspiel am Millerntor. Zwei große Derbys, zwei Siege. Das macht mich glücklich.
Was können Sie als junger Spieler aus solchen Highlights für Ihre Entwicklung mitnehmen?
Eine Menge! Es wird mir helfen dabei, besser zu werden in meiner Karriere. Ich bin jung und lerne noch viel – und in solchen Spielen lernt man noch mehr als in anderen. Ich fühle mich mittlerweile wohler, vor einer großen Kulisse zu spielen, noch dazu auswärts, als am Anfang. Ich habe gelernt, dass man wirklich alles um sich herum ausblenden muss. Für meine Karriere sind Spiele wie diese sehr wichtig, denn in der Zukunft möchte ich noch viel mehr solcher Art spielen. Jetzt weiß ich, wie es geht!
Hätten Sie vor ihrer Leihe gedacht, dass Sie derart bedeutende Momente für den Verein und seine Fans miterleben dürfen?
Ich bin hierhergekommen, um so viel zu spielen, wie möglich. Das ist aufgegangen. Natürlich hatte ich gewisse Erwartungen, weil ich einiges über den Klub gehört hatte. Aber meine Erwartungen sind noch übertroffen worden. Jetzt, nach diesem Derby, kann ich sagen: Es ist größer, als ich dachte.
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Für einen Leih-Spieler sind Sie sind mit ungewöhnlich viel Herzblut dabei. Der Abschied von St. Pauli dürfte nach den Derby-Erlebnissen noch härter werden…
Oh, ja. Ich weiß jetzt noch nicht, was im Mai ist, aber wenn das passiert, dann wird es hart, diesen Klub zu verlassen. Das ist mal sicher. Meine Zeit hier war bislang unglaublich und ich bin so froh, für diesen Verein spielen zu können. Egal was passiert: Dieses Jahr bei St. Pauli wird eines der großartigsten in meiner Karriere sein. Ich genieße jeden Tag. Ich bin stolz, einen Teil davon zu sein. Es ist etwas sehr besonderes für mich und schwer in Worte zu fassen, aber das Millerntor fühlt sich für mich wirklich wie zu Hause an.
Sehen Sie eine Chance, dass Sie auch in der kommenden Saison für St. Pauli spielen?
Es ist schwierig für mich, im Moment etwas dazu zu sagen, denn ich weiß nicht genau, wie es weitergeht. Ich bin jung. Für mich ist es wichtig, zu spielen. Natürlich könnte ich bleiben. Das entscheiden vor allem Brighton und auch einige andere Leuten drum herum.
Bei Premier-League-Klub Brighton läuft Ihr Vertrag noch bis 2021.
Ich kann nicht alleine die Entscheidung treffen, wie es weitergeht – aber natürlich werde ich ein großer Teil davon sein. Ich muss einfach abwarten. Aber natürlich werde ich über St. Pauli nachdenken. Wir werden sehen. Ich hoffe, dass ich schon vor Mai mehr weiß, damit ich planen kann.
Ein Landsmann ist schon einen großen Schritt weiter in seiner Karriere: Erling Haaland. Am Dienstag vor dem Derby haben Sie ihn in Dortmund besucht. Wie kam es dazu?
Wir sind gute Freunde. Er hat mich gefragt, ob ich Lust hätte das Spiel des BVB gegen Paris Saint-Germain im Stadion zu sehen. Ich bin direkt nach unserem Training hingefahren, weil wir am nächsten Tag frei hatten. Ich habe mir das Spiel angeschaut, er hat zwei Tore geschossen, danach haben wir uns getroffen, zusammen gegessen und Trikots ausgetauscht. Ich habe ihn eingeladen und gesagt: „Jetzt muss du mal zu St. Pauli kommen!“
Nach dem Derbysieg hat er ein Foto von Ihnen kommentiert, das Sie bei Instagram gepostet haben. Der Text war kurz und prägnant: „Beast“.
Nettes Kompliment! (grinst) Erling ist auch ein Beast. Er ist einfach unglaublich. Ich denke, er wird in der Zukunft einer der absoluten Top-Top-Top-Spieler sein.
Sie kennen sich aus Jugendtagen beim norwegischen Klub Molde FK und haben später in mehreren U-Nationalteams ihres Landes zusammengespielt.
Ja, und ich hoffe, dass ich auch bald für die norwegische A-Nationalmannschaft spiele und dann wieder mit Erling zusammenspielen kann.
Schon bei der Europameisterschaft im Sommer?
Natürlich will ich dabei sein! Ich hoffe, man sieht meine Spiele, denn ich bin in einer guten Liga, ich bin bereit. Ich muss einfach warten, ob sie mich wollen. Das ist ein Traum für mich. Norwegen muss sich ja aber erst noch in zwei Spielen gegen Serbien für die Euro qualifizieren. Das wird hart. Aber wir haben eine gute Mannschaft. Und wir haben Haaland!
Zurück zur Gegenwart und der 2. Liga: Was kann und muss St. Pauli aus dem Derby mitnehmen, um die schwierige Saison noch erfolgreich abzuschließen?
Wir müssen im nächsten Heimspiel so auftreten wie gegen den HSV. Wir haben gegen die besten Teams gezeigt, dass wir jeden schlagen können. Aber gegen die weniger guten Teams haben wir dieses Niveau nicht erreicht. Jeder in der Mannschaft muss da einen besseren Job machen. Wir sind gut und müssen uns zum Ziel setzen, jedes Spiel bis Saisonende zu gewinnen. Ich freue mich auf die nächsten Spiele, und ich hoffe, wir können es sogar noch besser machen als im Derby.