x
x
x
Ralf Rangnick redet mit Alexander Blessin
  • Prägende Jahre, prägende Figur: Alexander Blessin (l.) als Jugendtrainer von RB Leipzig im Gespräch mit Sportdirktor Ralf Rangnick
  • Foto: imago/Picture Point

Schicksals-Anruf: Wie Rangnick St. Paulis neuen Trainer zurück zum Fußball holte

In diesen Tagen mischt die Nationalmannschaft Österreichs die Europameisterschaft auf, sorgt für Furore und wird spätestens seit dem furiosen 3:2 gegen die Niederlande als gar nicht geheimer Geheimfavorit gehandelt. Das liegt zuvorderst an einem Mann: Ralf Rangnick. Der Nationalcoach hat die Auswahl des Alpenlandes zu einem hervorragend funktionierenden und auf Hochtouren arbeitenden Team mit Gewinnermentalität geformt, das jedem Gegner und auch den Superstars das Leben schwer macht, ohne selbst welche in den eigenen Reihen zu haben. Was das mit dem FC St. Pauli und seinem neuen Trainer Alexander Blessin zu tun hat? Eine Menge. Die Verbindung ist hochspannend. Ohne Rangnick hätte er mit dem Fußball schon vor langer Zeit abgeschlossen.

Blessin ist als Coach bekanntermaßen in der sogenannten RB-Schule groß geworden, im Nachwuchsbereich von RB Leipzig, was manch ein Fan der Kiezkicker als Makel sieht, wenngleich die große Mehrheit den neuen Trainer als guten und auch passenden Nachfolger für Fabian Hürzeler sieht oder dem Kiezklub gar einen Coup bescheinigt. Blessin macht keinen Hehl daraus, dass es eine prägende Zeit war. Seine immer wieder artikulierte Identifikation mit dem RB-Modell bezieht sich allerdings nicht auf das Geschäftsmodell oder Klub-Konstrukt, sondern auf das Fußball-Konzept, die hochprofessionelle Herangehensweise, die Ausbildung der Spieler und der Trainer.

St. Pauli-Trainer Blessin: Rangnick als Lehrmeister

Warum die Vergangenheit leugnen oder kleinreden, nur weil der frühere Arbeitgeber für viele Fans des neuen ein rotes Tuch ist? „Acht Jahre schmeißt man nicht so einfach weg. Ich habe da eine sehr gute Ausbildung genossen“, sagte Blessin, der von 2012 bis 2020 im Nachwuchsbereich des heutigen Topklubs erfolgreich gearbeitet hat, bei seiner Vorstellung am Millerntor und personalisierte sein Lob sogleich: „Ralf Rangnick, Helmut Groß und Wolfgang Geiger waren mehr oder weniger meine Ausbilder und da kann man sagen, dass es Seinesgleichen sucht.“


MOPO

Die neue WochenMOPO – ab Freitag wieder überall, wo es Zeitungen gibt!
Diese Woche u.a. mit diesen Themen:
– Fragwürdige OP-Methoden? UKE-Pfleger warnen vor ihrem Chefarzt
– Jung und einsam: Warum sich immer mehr Menschen allein fühlen – und wo es Hilfe gibt
– Rotlicht-Report: Darum spielen Kiez und Luden keine Rolle mehr
– 20 Seiten Sport: Trainer mit Gewinner-Gen: Was Sie über St. Paulis neuen Coach Alexander Blessin wissen müssen
– 28 Seiten Plan7: Die Hamburgerin, der die größten Musik-Stars vertrauen. Welche Filme jetzt laufen – endlich auch wieder unter freiem Himmel!


Helmut Groß (im Februar im Alter von 77 Jahren verstorben) war einer der größten Vordenker und spieltaktischen Revolutionäre der deutschen Fußballgeschichte, arbeitete lange als Jugendcoach beim VfB Stuttgart, war später für die TSG Hoffenheim und RB Leipzig tätig und gilt als Inspirator und Mentor von Rangnick. Auch Geiger war während Blessins RB-Zeit in der dortigen Jugendabteilung tätig, zudem in beratender Funktion für Rangnick.

Blessin arbeitete in der Versicherungsbranche

Insbesondere Rangnick hat Blessin geprägt – und das längst nicht nur als Trainer. Die Verbindung reicht weit zurück, noch vor Blessins Zeit in Leipzig. Mit einer entscheidenden Weichenstellung, die sein Leben veränderte.

Vor zwölf Jahren, im EM-Jahr 2012, hatte Blessin seine wechselvolle und an Vereinen reiche Karriere als aktiver Fußballer nach einer letzten Saison bei Oberligist SV Bonladen und dem Abstieg aus dieser Spielklasse beendet und wollte sich seinem Job in der Versicherungsbranche widmen, den er schon ein paar Jahre zuvor neben dem Fußball ausgeübt hatte. Eines Tages, so hat er es erzählt, fragte ihn seine Frau Charlotte ob sich wirklich sicher sei, dass der Schreibtisch-Job das Richtige für ihn sei, und ob er sich das wirklich vorstellen könne, diese Tätigkeit die nächsten Jahrzehnte auszuüben. Das nährte seine Zweifel.

Ein Anruf von Rangnick änderte sein Leben

Und genau an diesem Tag, so Blessin, habe Ralf Rangnick angerufen und ihn gefragt, ob er nicht Jugendtrainer bei RB Leipzig werden wolle, wo das Fußball-Mastermind neuer Sportdirektor geworden war, den Nachwuchsbereich umkrempeln und neu aufbauen sollte. Die erste Mannschaft spielte zu der Zeit noch in der vierten Liga. Blessin kam ins Grübeln – und sagte dann zu. Rangnick ist einer, der überzeugen kann.

Mit meiner Anmeldung stimme
ich der Werbevereinbarung zu.

Der heute 66-Jährige muss schon zu Spielerzeiten einen Trainer in Blessin erkannt haben. Mitte der 1990er Jahre hatte Rangnick den Angreifer zum SSV Reutlingen und später zur SSV Ulm holen wollen – vergeblich. Der Zufall brachte sie schließlich zusammen, als Rangnick im Mai 1999 den Trainerposten beim abstiegsbedrohten VfB Stuttgart übernahm, bei dem Blessin vorwiegend für die zweite Mannschaft spielte, aber im erweiterten Profikader stand und zu insgesamt zehn Pflichtspieleinsätzen in der ersten Mannschaft kam. Unter Rangnicks Regie spielte Blessin allerdings nur einmal für die Profis. Beim 0:2 gegen den FC Bayern am 4. Mai 1999 wurde der Stürmer in der 66. Minute eingewechselt.

In Stuttgart und Hoffenheim war Rangnick Blessins Trainer

Als Rangnick 2006 Trainer der TSG Hoffenheim wurde, traf er erneut auf Stürmer Blessin, der ein Jahr zuvor dorthin gewechselt war. Zwar setzte der neue Coach verstärkt auf jüngere Angreifer, was Blessin schließlich kurz nach Saisonstart zu einem Wechsel zu den Sportfreunden Siegen veranlasste, aber das Verhältnis zwischen beiden war gut, der Austausch in der überschaubaren Zeit der Zusammenarbeit rege, die gegenseitige Sympathie und auch die Wertschätzung groß. So groß, dass Rangnick 2012 zum Telefon griff, um Blessin zu RB zu lotsen.


MOPO
MOPO-EM-Tippspiel mit Logo schmal

Haben Sie mehr Fachwissen als die MOPO-Sportredakteure? Dann machen Sie jetzt mit bei unserem EM-Tippspiel, messen Sie sich mit den MOPO-Reportern und gewinnen Sie nach jedem Spieltag tolle Preise im Gesamtwert von über 5.000 Euro! Hier kostenlos anmelden, mitmachen und gewinnen!


In Leipzig arbeitete sich Blessin über die U16 und vom Co-Trainer der U17 und U19 zum Chef der beiden Flaggschiffe des RB-Nachwuchses hoch – und ließ wie alle Coaches im Nachwuchsbereich im Grundsatz den „RB-Fußball“ spielen, den einst Helmut Groß erdacht hatte und der von Rangnick verfeinert worden war. Raumorientiertes aggressives Spiel mit hohem Pressing gegen den Ball, temporeiches und mit tiefen Pässen vorgetragenes Spiel mit dem Ball. Blessin ließ aber auch eigene Ideen einfließen – und sich inspirieren von den Trainern der Profimannschaft in seiner RB-Zeit wie Rangnick, Ralph Hasenhüttl und später Julian Nagelsmann, der 2019 Chefcoach wurde.

Acht prägende Jahre als Nachwuchscoach bei RB Leipzig

Nagelsmanns Ankunft läutete auf gewisse Weise das Ende von Blessins Zeit in Leipzig ein. Zum einen hatte er das Ziel und fühlte sich bereit, eine Herren-Profimannschaft zu übernehmen, zum anderen wusste er, dass die Chancen auf eine Beförderung zu den RB-Profis durch das Engagement von Nagelsmann bis auf weiteres gen Null tendierten. 2020 kehrte er Leipzig den Rücken und trat beim belgischen Erstligisten KV Oostende seinen ersten Profitrainerjob an. Kurz darauf machte auch Rangnick bei RB Schluss.

Das könnte Sie auch interessieren: Kommentar: Warum Blessin für St. Pauli ein ziemlich perfekter Trainer ist

Auf 50 bis 60 Prozent beziffert Blessin den Anteil des RB-Fußballs, den Traditionalisten durchaus auch Groß-Fußball nennen könnten, am Spielstil der von ihm trainierten Mannschaften. Der Rest seien eigene Ansätze, Vorstellungen, Ideen – nicht selten inspiriert von anderen Trainern, in seinem Fall auch von Nagelsmann, Marco Rose oder eben Rangnick. Auch deshalb dürfte neben dem DFB-Team die Auswahl Österreichs eine der Mannschaften sein, die Blessin bei dieser EM ganz besonders interessiert verfolgt.

Wie sieht Blessins Fußball für St. Pauli aus?

Die Mannschaft des FC St. Pauli und auch die Fans dürfen gespannt sein, wie genau der Fußball aussehen wird, der in Zukunft am Millerntor und 17 Mal in der kommenden Saison in den anderen Bundesligastadien gespielt wird. Garantiert aufwändig, aktiv, anspruchsvoll. Wahrscheinlich mutig und ansehnlich. Hoffentlich erfolgreich. Auch Ralf Rangnick wird sicher interessiert hinschauen.

Email
Share on facebook
Share on twitter
Share on whatsapp