„Schlafmützig“: St. Pauli-Frust nach Bayern-Spektakel – Vorsprung schmilzt
Eine starke Halbzeit, zwei Tore im Stadion des Rekordmeisters, aber am Ende leere Hände auf der Rückreise nach Hamburg und eine ordentliche Portion Frust. Eine 2:3-Niederlage bei Bayern München ist kein Beinbruch und sieht auf dem Papier sogar respektabel aus, dennoch ärgerten sich viele Spieler des FC St. Pauli über die Gegentore und auch der Trainer nahm kein Blatt vor den Mund. Die Kiezkicker hatten sich selbst um eine mögliche Überraschung gebracht. Im Kampf um den Klassenerhalt wird das Polster immer dünner, der Druck auf den Aufsteiger nimmt zu, aber der Auftritt im bajuwarischen Fußball-Tempel macht auch Mut.
Verkehrte Welt nach dem Schlusspfiff eines turbulenten Spiels mit hohem Unterhaltungswert. Die mehr als 7200 St. Pauli-Fans in der mit 75.000 Zuschauenden ausverkauften Allianz Arena feierten ihre Mannschaft minutenlang und lautstark mit Gesängen, Applaus und Anfeuerungsrufen, während die Südkurve der Bayern-Ultras merkwürdig leise war und sich die anderen Tribünen schnell leerten, obwohl die eigene Mannschaft noch eine Runde auf dem Rasen drehte. Das Stadion war akustisch eindeutig in braun-weißer Hand. Wer hatte gleich nochmal gewonnen?
Spätestens die Stimmen nach dem Spiel machten klar, dass sich die Kiezkicker überhaupt nicht als Gewinner oder moralische Sieger fühlten und auch nicht demonstrativ nur die positiven Aspekte in den Vordergrund rückten.
Kapitän Jackson Irvine ärgert sich über die Gegentore
„Bei den Gegentoren waren wir zu nachlässig, haben zu soft verteidigt“, ärgerte sich Kapitän Jackson Irvine. (Selbst-)Kritik. Auch Trainer Alexander Blessin wählte klare Worte. „Wenn man so drei Tore kriegt, die man als Geschenke bezeichnen kann, ist es natürlich ärgerlich.“ Das Defensivverhalten bei den Treffern von Kane (17.) und zweimal Sané (53./71.) war im Kollektiv schwach, nicht scharf und konzentriert genug, auch unorganisiert und in der Abstimmung und Kommunikation mangelhaft, was sicher auch der Personalrochade geschuldet war. Ausgehebelt. Dreimal.

St. Pauli hatte kurzfristig auf Abwehrchef Hauke Wahl, der nach Vereinsangaben aus privaten Gründen fehlte, verzichten müssen, weshalb David Nemeth in die Zentrale gerückt und Adam Dzwigala neu in die Startelf gekommen war. Sie machten ihre Sache den Umständen entsprechend gut, aber gegen eine mit Weltklassespielern gespickte kommende Meister- und Champions-League-Mannschaft eben nicht gut genug, um die Null zu halten – oder nur eines oder maximal zwei Gegentore zu erlauben.
Saad trifft zum überraschenden Ausgleich
45 Minuten hatte St. Pauli – bis auf den Kane-Treffer – gut dagegengehalten und auch mitgespielt, war selbst gefährlich. Der schön über Noah Weißhaupt, Manolis Saliakas und Torschütze Elias Saad herausgespielte 1:1-Ausgleich (27.) war eine starke Reaktion auf den frühen Rückstand. Die Gäste hätten sogar in Führung gehen können, wenn Irvine nicht per Kopf nur die Latte getroffen hätte (14.), was dem erfolgsverwöhnten Publikum in der Arena eine Schrecksekunde beschert hatte.

Bayern war vor allem über die spielfreudigen und kaum zu stoppenden Musiala und Olise brandgefährlich vor dem Tor von Nikola Vasilj, aber auch die „Boys in Brown“ hatten ihre Szenen und sorgten mit Umschaltmomenten für Hochbetrieb und das ein oder andere Durcheinander in der Münchner Abwehr, ohne dabei die ganz großen Chancen herauszuspielen – abgesehen von Saads Ausgleich.

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Zur Pause schien eine Überraschung im Bereich des Möglichen, was die St. Paulianer in der Kabine thematisierten und sich auf eine zweite Hälfte einstellten und einschworen, die dann signifikant schwächer geriet als die erste. Ab der 60 Minute machte sich dann auch der Kräfteverschleiß bemerkbar. Trainerteam und Spieler müssen hinterfragen, warum die Mannschaft nach der Halbzeit nicht mehr so fokussiert war, denn vor allem das zeitnahe 1:2 tat weh und war ein sichtbarer Wirkungstreffer.
Sané macht mit einem Doppelpack (fast) alles klar
„Es waren Konzentrationsschwächen“, urteilte der kurz nach Bayerns zweiter Führung für den angeschlagenen Dzwigala eingewechselte Connor Metcalfe. „Wir waren nicht in guten Positionen, waren nicht alle hinter dem Ball. Das ist, was passiert, wenn du dich nicht zu 100 Prozent konzentrierst. Die Bayern bestrafen das.“ Gnadenlos.

Wichtig – vor allem im Hinblick auf die kommenden Aufgaben – war nicht nur der späte und sehenswerte Anschlusstreffer von Lars Ritzka in der Nachspielzeit (90.+3), sondern vor allem, dass die Kiezkicker nach dem zwischenzeitlichen 1:3 nicht auseinandergefallen waren und noch mehr Tore kassiert hatten, was das Selbstvertrauen in dieser heißen Phase des Abstiegskampfes nachhaltig hätte anknacksen können.
Ritzka-Tor macht es noch kurz spannend
Die Niederlage war verdient. „Aber ich glaube schon, dass heute ein bisschen mehr drin gewesen wäre, dann brauchen wir ein bisschen Matchglück“, bilanzierte Blessin. „Dass man in München zwei Tore macht, ist natürlich schon scharf. Zufrieden können wir natürlich nicht sein.“
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Achtbar war zumindest das Endergebnis. Gut war die Leistung in Halbzeit eins. Zu wenig, um ein Weltklasseteam wie den FC Bayern ernsthaft zu gefährden, aber genug, um unbeschädigt in die kommende Woche und das immens wichtige Heimspiel gegen Mönchengladbach zu gehen.
Blessin: „Die 25 Punkte werden nicht reichen“
St. Pauli muss liefern. Muss was holen. „Die 25 Punkte, das habe ich ja schon gesagt, die werden nicht reichen“, betonte Blessin abermals. „Und da müssen wir natürlich dann gucken, dass wir die Punkte woanders holen, aber auf der Leistung lässt sich sicherlich aufbauen. Nächste Woche haben wir dann die nächste Chance, am Millerntor die Punkte dann zu holen.“
Der Vorsprung des Tabellen-15. avom Kiez auf die Abstiegszone schmilzt weiter. Mit Bochum und Kiel kassierten zwar zwei hinter St. Pauli positionierte Keller-Klubs ebenfalls Niederlagen, aber Heidenheim feierte einen überraschenden Auswärtsieg in Wolfsburg und rückte bis auf drei Punkte an die Hamburger heran, die dem Relegationsplatz gefährlich nahe kommen.
„Es wird ein enges Rennen“, ahnt Saad, „aber wir sind sehr überzeugt von uns und wir wissen, dass wir das schaffen werden und schaffen können. Es liegt alles eigentlich nur in unserer Hand und wir dürfen nicht so viel auf andere gucken.“ Sondern vor allem auf sich selbst und die eigenen Fehler, die es dringend abzustellen gilt, sonst wird es gegen jeden Gegner schwer, Punkte zu holen.
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