Legende Ewald Lienen wird 70 und sagt: „St. Pauli braucht die Bundesliga nicht“
In diesen Tagen hat Ewald Lienen so einiges auf dem Zettel. An diesem Dienstag wird er 70 Jahre alt, feiert im kleinen Kreis mit Familie und Freunden. Darüber hinaus steckt er mitten in den Umzugsvorbereitungen. Mit Ehefrau Rosa wird er Anfang des Jahres aus der Wohnung in Mönchengladbach aus- und in ein Haus in seiner Heimatstadt Schloß Holte-Stukenbrock einziehen. „Back to the roots“, wie er sagt. Bis dahin heißt es: organisieren, sichten, packen, aussortieren. Es ist ja eine ganze Menge zusammengekommen in seinem bewegten Leben, über das es jetzt sogar einen Doku-Film gibt. Apropos. Am Freitagabend muss er unbedingt fernsehen. Hamburger Derby. Pflichttermin. Und Ehrensache.
Nein, eigentlich passt es nicht so gut gerade, viel zu tun, wenig Freiraum, aber für die MOPO nimmt sich die lebende Fußball-Legende ein paar Minuten Zeit – und nutzt diese zunächst für eine Liebeserklärung an den Kiezklub, für den er insgesamt achteinhalb Jahre als Trainer und Markenbotschafter im Einsatz war. Seine letzte Station.
„Es war mit das Schönste, was ich erlebt habe“, sagt Lienen. „Die Zeit und Verbindung zum Verein, zu den Menschen, hat mich geprägt. St. Pauli ist für mich eine zweite Familie geworden, eine Heimat, zu einem Stück von meinem Leben.“ Weil es neben dem Fußball auch um Werte geht, für die er – einst kickender und meinungsstarker Rebell – seit jeher steht.
Ewald Lienen schwärmt davon, wie St. Pauli Fußball spielt
Die emotionale Verbindung ist nach wie vor stark, das Interesse unverändert groß. Zuletzt war Lienen beim 5:1-Sieg gegen Kiel am Millerntor, ist begeistert von der Spielweise der Kiezkicker unter der Regie von Fabian Hürzeler, gerät regelrecht ins Schwärmen. „Ich bin stolz auf die Art und Weise, wie die Jungs Fußball spielen. Es macht mir Riesen-Freude, zuzugucken – und ich bin sicher, die Spieler haben auch sehr viel Freude an dieser Art Fußball.“
Kein Wunder also, dass er sich auf das Hamburger Derby am Freitag am Millerntor freut. Ob es ihn nicht wurme, dass es in seiner Zeit als St. Pauli-Trainer keine Stadtmeisterschaft gegeben hat und ihm deshalb etwas fehle in der Vita? „Ach was“, sagt Lienen. „Ich habe 1300 Spiele als Spieler und Trainer erlebt und da waren so viele Derbys dabei – das reicht, alles gut.“
Für das Spiel am Freitag will Lienen keinen Favoriten benennen, gibt zu bedenken, dass eine solche Partie eigene Gesetze hat – und warnt: „Ein Derbysieg kann auch kontraproduktiv sein, wenn man sich zu sehr darüber freut. Der HSV hat mal 4:0 am Millerntor gewonnen – und danach kaum noch ein Spiel.“ Und stieg am Ende der Saison 2018/19 nicht auf. St. Pauli hat nach dem Derbysieg im Volkspark 2011 gar keinen Dreier mehr geholt und stieg ab.
Ewald Lienen sicher: „St. Pauli braucht die Bundesliga nicht“
Apropos Aufstieg. Traut er St. Pauli in diesem Jahr den Schritt in die Bundesliga zu? Lienen reagiert gespielt empört. „Ihr Journalisten wieder! Immer dieser Druck! Jetzt lasst die Jungs doch mal in Ruhe weiterspielen.“ Und im Ernst: „Mit den Erwartungen müssen sie klarkommen. Wenn sie weiter so Fußball spielen, dann ist alles möglich.“
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Ein Muss für den Kiezklub ist der Aufstieg seiner Meinung nach nicht. „St. Pauli braucht die Bundesliga nicht, um etwas Besonderes zu sein. Aber wahrscheinlich würde ein Aufstieg die Strahlkraft vergrößern, auch international – und damit die Möglichkeit, die Werte des Vereins zu transportieren.“
Einen Doppel-Aufstieg hält er für möglich. „Eine Weltstadt wie Hamburg kann durchaus zwei Bundesligisten vertragen“, findet Lienen. Müsse er sich entscheiden, dann kann es für ihn nur einen Hamburger Aufsteiger geben, wie es auch nur einen Ewald Lienen gibt. Herzlichen Glückwunsch zum 70.!