„System-Umsturz“ oder Einstellungs-Sache? Afolayan, Saad und die Flügel-Frage
Beim erlösenden ersten Punktgewinn in der Bundesliga zählten sie zu den auffälligsten Spielern. Elias Saad und Oladapo Afolayan standen erstmals in der Startelf und drehten als Flügelzange mächtig auf, waren fleißig und gefährlich. Viel Applaus von den Fans, reichlich Lob von den Kollegen, und die großen Fragen: Bleibt Trainer Alexander Blessin jetzt bei der Variante mit drei Stürmern? Die Wirbelwinde haben beste Werbung in eigener Sache gemacht – und für den „System-Umsturz“? Und was war entscheidender für die Wende: Umstellung oder Einstellung?
Es ist kein Geheimnis, dass Elias Saad mit seiner Reservistenrolle in den ersten drei Saisonspielen nicht glücklich war, alles andere wäre auch nicht profi-like. Umso glücklicher war der 24-Jährige. Und platt: „Das war, glaube ich, das anstrengendste Spiel meines Lebens bisher“, sagte der gebürtige Hamburger lachend, der beim 0:0 gegen RB Leipzig überragende 13 Kilometer gelaufen war – die meisten aller Spieler auf dem Rasen des Millerntorstadions.
Saad war ein Aktivposten, eine Belebung des Offensivspiels, arbeitete aber auch fleißig gegen den Ball, was enorm wichtig war. Gleiches galt für Afolayan.
Starker Elias Saad wolllte „Vertrauen zurückzahlen“
„Ich wollte das Vertrauen zurückzahlen. Und ich hoffe, dass ich im nächsten Spiel wieder das Vertrauen bekomme“, sagt Saad zu einer möglichen erneuten Startelf-Nominierung im Auswärtsspiel am Samstag in Freiburg (15.30 Uhr, Liveticker auf MOPO.de).
Auch Afolayan – ebenfalls sauer, in den ersten Spielen zunächst auf der Bank gesessen zu haben – war „sehr glücklich zu spielen und dem Team zu helfen“. Rein nach Leistung betrachtet hätte sich der Engländer wie Saad einen erneuten Startplatz verdient.
Ob beide auch gespielt hätten, wenn der bislang gesetzte Mittelstürmer Morgan Guilavogui nicht zuletzt angeschlagen und zunächst Reservist gewesen wäre und Blessin den Sturm nicht hätte neu ordnen müssen, ist eine spannende Frage, die nicht abschließend geklärt werden kann. Aber sie könnte im nächsten Spiel beantwortet werden – spätestens, sobald rund eine Stunde vor Spielbeginn die Aufstellung öffentlich wird.
Machte Umstellung St. Pauli besser – oder die Einstellung?
Auf die Frage, ob der Mannschaft das 3-4-3-System besser liege als die bis dato gespielte 3-5-2-Formation, wollte sich Saad nicht klar positionieren und eine Version favorisieren: „Ich und Dapo fühlen uns natürlich wohl auf den Außen. Aber ich würde jetzt nicht sagen, dass das System besser ist als das andere. Es kommt halt auf die Spieler an, die man hat. Aber wenn man mich und Dapo spielen lässt, würde ich schon sagen, dass wir beide gerne über die Außen kommen und dass das unsere Stärken sind.“
Lag es nun vor allem an der Umstellung und neuen Aufstellung, dass St. Pauli gegen den DFB-Pokalsieger und Champions-League-Teilnehmer aus Sachsen das bislang beste Saisonspiel machte, oder vor allem an der Einstellung?
„Natürlich hat uns das mit den beiden gutgetan“, sagte Blessin in kleinerer Runde nach der offiziellen Pressekonferenz und schien etwas ermüdet von der System-Diskussion. „Ich kämpfe ja auch gar nicht dagegen an“, sagte der Coach, der schon bei Amtsantritt taktische Flexibilität angekündigt und das Spiel mit zwei Stürmern als seine favorisierte Ausrichtung benannt hatte, zur Formation mit drei Stürmern. „Darum geht es auch gar nicht, sondern um die Frage: was tut der Mannschaft gut? Diese defensive Stabilität brauchen wir einfach.“
Blessin: System-Frage in der Mannschaft „kein Thema“
Blessin betonte: „Beide Systeme haben ihre Vorteile.“ Wichtiger als die Flügelläufe seien die „Tiefenläufe der Achter, um das Spiel zu öffnen.“ Aber das Spiel über die Außen sorge auch für wichtige Entlastung durch Angriffe und Läufe. Und für Gefahr. Elementar sei jedoch die intensive Arbeit gegen den Ball.
Die Unzufriedenheit von Saad und Afolayan mit ihrer Reservistenrolle – für Blessin kein Problem, versichert dieser. „Dass die zwei auch mal sauer sind, sorry, das können sie sein. Da habe ich auch breite Schultern. Das ist okay.“ Entscheidend sei, „dass sie verstehen, was wichtig ist und wie sie sich integrieren. Das heißt jetzt nicht, dass sie sich hängen lassen haben. Mir war wichtig, dass jeder sieht, wie wir defensiv agieren wollen und dass das mit der Schlüssel zum Positiven ist.“
Die öffentlich gestellt System-Frage sei intern „nie ein Thema“ gewesen, berichtete Blessin und es seien auch keine Impulse aus der Mannschaft heraus gekommen, dass umgestellt werden müsse. Er lobte die Leistung von Afolayan und Saad, auch im Spiel nach vorne. „Sie haben einen Mittelweg gefunden, ins Eins-gegen-eins zu gehen, aber auch mal den Ball frühzeitig abzuspielen, den Nebenmann zu holen und den nächsten Lauf zu starten“, erklärte er. „Das ist das, woran wir noch arbeiten müssen.“ Insbesondere der Engländer trennt sich noch zu oft zu spät vom Ball, bringt andererseits Dynamik ins Spiel und beschäftigt den Gegner. Gegen Leipzig arbeitete er so eifrig nach hinten wie im Vorwärtsgang, was in der Vergangenheit auch nicht immer der Fall war – die Aufstiegssaison eingeschlossen.
Eric Smith lobt Afolayan und Saad: „Unglaublich gespielt“
Abwehrchef Eric Smith sparte nicht mit Lob für das Flügel-Duo. „Elias und Dapo haben unglaublich gespielt, offensiv wie defensiv“, so der Schwede. Entscheidend sei aber etwas anderes gewesen, was die Wende nach zuvor drei Niederlagen und zuletzt einer enttäuschenden ersten Halbzeit in Augsburg (1:3) gebracht habe. „Wir haben uns ehrlich miteinander unterhalten, dass es aus unseren einzelnen Perspektiven zu wenig war. Wir haben als Individuen auf dem Platz nicht unsere Leistung gezeigt. Und dann spielt es keine Rolle, welches System du versuchst.“
Innenverteidiger Hauke Wahl sieht es genauso, lobte ebenfalls Saads und Afolayans Leistung. „Wir müssen nicht über die Qualität dieser beiden Spieler reden. Sie haben beide ein super Spiel gemacht – wie auch neun andere.“
Hauke Wahl: Intensität „viel wichtiger“ als das System
Beim gespielten System sprach Wahl von einem „5-2-3 mit Elias und Dapo auf den Außen, die immer wieder diese Nadelstiche setzen konnten, weil sie nicht die weiten Wege nach vorne haben.“ Wobei die Fünferkette hinten für das Spiel gegen den Ball galt und im Ballbesitz zu einer Dreierkette wird. Dennoch sei es „vorrangig“ um die Art und Weise gegangen, wie das Kollektiv auf dem Rasen agiert und was jeder Einzelne investiert hatte. Um Intensität, Aggressivität und „eklig“ sein, wie Wahl es ausdrückte. „Ich glaube, das ist viel wichtiger als alles andere. Da kann man über Taktik oder Systeme reden, tiefe Wege oder nicht – aber wenn die Basics nicht bei 100 Prozent sind, hat man in der Liga keine Chance.“ System hin, Flügelzange her.
So lange St. Pauli aber mit Saad und Afolayan so stark spielt wie gegen RB Leipzig und beide ihre Leistung stabil auf dem gerade gezeigten Level mindestens halten, dürfte die Variante mit drei Stürmern, in der Johannes Eggestein den spielmachenden Angreifer gibt, die vielversprechendste sein. Wobei taktische Erwägungen aufgrund des jeweiligen Gegners in die Wahl der Aufstellung hineinspielen.