Testspiel-Krise? St. Pauli und die verkehrte Welt in Braunschweig
Am Sonntag 1:2 in Braunschweig. Im November 1:1 in Braunschweig. Im Oktober 2:3 in Hannover. Ein Unentschieden und zwei Niederlagen aus drei Auftritten bei Zweitligisten. St. Pauli kann keine Testspiele mehr gewinnen. Was hat es damit auf sich?
Im Cricket sind „test matches“ das Nonplusultra: Sich über bis zu fünf Tage erstreckende Ländervergleiche, zu denen überhaupt nur die zwölf Top-Nationen zugelassen sind. Am Sonntag erst endete das Duell zwischen Australien und Indien, das die „Aussies“ mit 343:342 für sich entschieden. Zwischen den Spielabschnitten wird Tee serviert.
Eine Tasse heißen Tees hätten St. Paulis Spieler im nasskalten Braunschweiger Rund wohl auch goutiert. Ansonsten gibt es zwischen Fußball und Cricket keine Gemeinsamkeiten, was Testspiele angeht. Hier der absolute Höhepunkt, dort einfach nur eine Gelegenheit, ein paar Dinge auszuprobieren und in der Saison weniger berücksichtigten Kickern Spielzeit zu verschaffen.
Banks ist St. Paulis Testspiel-Torschützenkönig
Ein Blick auf St. Paulis Test-Torschützen verdeutlicht die verkehrte Welt: In Hannover traf Scott Banks doppelt, auf dem Braunschweiger Nebenplatz Andreas Albers, im Braunschweiger Stadion Nachwuchsstürmer Romeo Aigbekaen. In den 15 Bundesliga-Spielen stand dieses Trio zusammen gerade 99 Minuten (Banks 51, Albers 48, Aigbekaen 0) auf dem Platz.
„Für mich persönlich ist es schön, dass ich von Anfang an spielen kann“, sagte Albers nach dem jüngsten Auftritt in Braunschweig: „Das hatte ich auch in Testspielen nicht so oft.“ Ansonsten fasste der Däne die Bedeutung knapp mit „90 Minuten Fußball, das ist immer klar“ zusammen: „Es waren ein paar neue Gesichter mit dabei, die die anderen Spieler ein bisschen kennenlernen konnten. Das ist sehr wichtig, um in einen Rhythmus zu kommen, wie man sich mit den anderen positioniert und einfach ein besseres Gefühl zu haben.“
Das nackte Ergebnis führt in die Irre
Was das Einüben neuer Varianten und das Einspielen neuer Kicker wie James Sands und Noah Weißhaupt unter halbwegs realistischen Bedingungen eines Gegnerdrucks angeht, haben Testspiele also ihre Funktion. Aber das nackte Ergebnis zu betrachten, führt eher in die Irre. Im Sommer beeindruckte St. Pauli mit Test-Siegen gegen Olympique Lyon (1:0), Norwich City (3:1) und Atalanta Bergamo (3:0), um dann in den ersten drei Punktspielen keinen einzigen Zähler zu ergattern.
Wobei der neue Trainer Alexander Blessin damals darauf verwiesen hatte, dass er angesichts der von ihm angestrebten Systemumstellung auch die ersten Bundesliga-Begegnungen des Aufsteigers noch als Testspiele ansehen würde. Und danach lief es ja, von einzelnen Rückschlägen abgesehen, durchaus besser.
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Blessin arbeitete (und arbeitet) daran, den Fußballstil seines Vorgängers Fabian Hürzeler auf Bundesliga-Bedingungen umzustellen. Dazu ist jeder Test erst einmal gut, auch nach einem halben Jahr unter dem neuen Coach. Hürzeler selbst hat im vergangenen Winter die Erfahrung gemacht, dass auch seine eigenen Akzentuierungen Zeit brauchen. Sein St. Pauli war ungeschlagen durch die Zweitliga-Hinrunde gegangen, übte unter der spanischen Sonne von Benidorm fleißig das Umschaltspiel – und verlor dann auf dem Nebenplatz des Olympiastadions von La Nucia seinen einzigen Trainingslager-Test mit 1:3 gegen den späteren Zweitliga-Absteiger VfL Osnabrück.
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Was folgte, ist hinlänglich bekannt: In der Rückrunde sicherten sich die Kiezkicker den ersten Bundesliga-Aufstieg seit 14 Jahren und den ersten Tabellenplatz vor dem HSV seit 70 Jahren. So gesehen, dürfen Testspiel-Niederlagen beim FC St. Pauli durchaus freundlich begrüßt werden. Ob nun mit oder ohne Tee.