„Trügerische Tabelle“: St. Paulis 101-Prozent-Plan gegen den Abwärtstrend
Es ist eine gefährliche Phase, in der sich der FC St. Pauli befindet – und entscheidend wird der richtige Umgang damit sein. Ein kühler Kopf ist jetzt gefordert, volle Konzentration, absoluter Fokus, maximaler Einsatz. Und einen Tick mehr. Die dritte Niederlage in Serie schmerzt – nicht nur, weil sich die Kiezkicker einmal mehr für eine eigentlich starke Leistung nicht belohnt haben. Sie ist auch abermaliger Rückschlag auf dem Weg zum angestrebten Klassenerhalt. Die jüngsten Resultate dokumentieren einen Abwärtstrend und Fußball ist nun einmal ein Ergebnissport. So sehr der Auftritt der Mannschaft in Mainz Mut macht, so besorgniserregend sind die nackten Zahlen der letzten Spiele. Auch die eines Konkurrenten.
Drei Niederlagen in Serie. So viele hatte der Kiezklub zuvor nur zu Saisonbeginn hinnehmen müssen, in der Eingewöhnungsphase im Oberhaus. Dem jüngsten 0:2 in Mainz waren ein 0:1 gegen Freiburg und ein 0:2 in Leipzig vorangegangen. Null Punkte, null Tore, nur Frust. Bittere Niederlagen. Auch unnötig. Von eigenen Fehlern verursacht, auch Unvermögen und Pech. Verletzungspech inklusive. Eine toxische Mischung.
FC St. Pauli: Niederlagenserie wie zu Saisonbeginn
„Die Dinge laufen einfach nicht für uns im Moment“, haderte Defensivstratege Eric Smith nach der Niederlage in Mainz, die nach Meinung von Stürmer Noah Weißhaupt „unverdient“ war, weil die Kiezkicker über die gesamten 95 Minuten betrachtet die bessere Mannschaft gewesen und wie 05-Trainer Bon Henriksen lobte, ein „sehr, sehr, sehr guter Gegner“. Als Sieger lobt es sich immer leicht und meistens ist es so: je mehr Lob vom Gegner, desto weniger Punkte, meistens keine. Weswegen St. Pauli-Trainer Alexander Blessin, der die Partie wegen seiner Gelb-Sperre von der Tribüne aus hatte verfolgen müssen, die Niederlage als „absolut bitter“ bezeichnete.
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Das Positive zuerst: Die Leistungskurve zeigt nach oben, immerhin. In der ersten Halbzeit waren die Hamburger die bessere Mannschaft, dominierten die Gastgeber, wirbelten die zweitbeste Defensive der Liga mächtig durcheinander und erspielten sich so viele Chancen, wie es nur wenigen Gegnern der Mainzer zuletzt gelungen ist. Nicht zu vergessen: Mainz ist eine der aktuell besten Mannschaften, Tabellenfünfter. Die 38 Punkte nach 23 Spieltagen sind Vereinsrekord. Europapokal-Kurs. In den Reihen der Gastgeber wussten sie nach dem – passend zum Fastnachtsspiel – elften Saisonsieg: Glück gehabt.
Drei Spiele ohne eigenes Tor – eigentlich sogar vier
Das Negative: St. Pauli erzielte kein Tor, münzte das frühe Chancenplus nicht in einen oder mehrere Treffer um. Während es beim Innenpfostenkracher von Weißhaupt nur Zentimeter waren die fehlten und damit einfach Pech, fehlte bei den anderen Chancen immer etwas anderes: die Präzision, die Konzentration, die letzte Konsequenz und auch mal Kraft, denn das laufintensive Spiel der Kiezkicker ist kräftezehrend.
„Leider sind wir momentan nicht dazu in der Lage, ins Tor zu treffen“, legte Smith den Finger in die Wunde. 270 Minuten ohne eigenen Treffer. Wenn man es genau nimmt, sind es sogar 360, denn beim 1:1 gegen Augsburg, dem letzten Punktgewinn der „Boys in Brown“, hatten die Gäste St. Paulis frühe Führung per Eigentor besorgt.
Morgan Guilavogui fehlt den Kiezkickern
Natürlich fehlt der verletzte Morgan Guilavogui (fünf Saisontore), der die letzten drei Partien verpasst hat, aber die Mannschaft muss in der Lage sein, auch ohne ihn das Tor zu treffen. An Chancen mangelt es nicht, bei der Verwertung dagegen schon. Kein neues Phänomen in dieser Saison, wenngleich es die Kiezkicker zwischenzeitlich deutlich besser gemacht hatten.
Nicht in Vergessenheit geraten darf: St. Pauli war mit sieben Punkten und 6:1 Toren aus drei Spielen furios in die Rückrunde gestartet. Es geht also. Dann kippte es – und es folgten drei Niederlagen mit 0:5 Toren. Am Torverhältnis sieht man: Nicht nur die nicht geschossenen Tore sind das Problem, sondern auch die im Vergleich mehr kassierten Treffer.
Vorne keine Tore – aber hinten entscheidende Fehler
Das Problem in Mainz: Die Führung der Gäste resultierte aus Fehlern der Kiezkicker. Keeper Nikola Vasilj konnte einen Distanzschuss nicht festhalten und beim Abstaubertor durch Lee „pennten“ Vasiljs Vorderleute, wie Blessin kritisierte. Das Gegentor, das St. Pauli auf die Verliererstraße brachte, sei zu verhindern gewesen, zweifach. Und auch beim späten Siegtreffer der Freiburger eine Woche zuvor war die Hintermannschaft der Braun-Weißen nicht hellwach gewesen, hatte der Coach Defizite im Defensivverhalten ausgemacht – und die Tatsache, dass eine geplante Flanke zum unhaltbaren Eigentor durch Philipp Treu geriet, potenzierte den Frust über die Niederlage.
Aber: Eigene Tore verändern die Statik eines Spiels, setzen den Gegner unter Druck, zwingen ihn, aufzumachen und St. Pauli Räume zu bieten. Bei gegnerischer Führung tun sich die Braun-Weißen schwer. Sie konnten noch kein Spiel in dieser Saison drehen. Auch so etwas kann sich in den Köpfen festsetzen und dazu führen, dass Rückstände noch mehr schmerzen, weil sie eine erfahrungsgemäß große Hypothek für den Rest des Spiels sind.
Alexander Blessin: „Müssen 101 Prozent geben“
„Jetzt müssen wir es einfach erzwingen, durch noch mehr Konsequenz, durch noch mehr Willen Tore zu machen“, betont Blessin und gab auch für das Defensivverhalten die Devise aus: „Die Fehler minimieren, dann werden wir auch wieder Spiele gewinnen oder Punkte holen.“ Auch Smith ist überzeugt, dass die Treffer wieder „kommen, wenn wir weiterhin Leistungen wie diese zeigen“.
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Die Niederlagen-Serie nagt an den Spielern, das war in Mainz spürbar. Aber Verunsicherung ist noch nicht zu spüren. Auch der Coach artikuliert demonstrativ die Überzeugung, dass seine Mannschaft die Rückschläge wegsteckt. „Das wirft uns nicht um. Wir müssen einfach die Situation wieder klar erkennen, dass uns in hier in der Ersten Liga nichts geschenkt wird, und da müssen wir einfach die 101 Prozent mehr geben, um die Punkte zu holen und das Glück wieder auf unsere Seite zu ziehen.“
St. Pauli profitiert auch von der Schwäche der Konkurrenz
Das kann man im Umkehrschluss auch so interpretieren: Die letzten – und auf diesem Niveau oft entscheidenden – Prozentpunkte haben in den vergangenen drei, vier Spielen gefehlt. Hinten und vorne. Die letzte Konzentration, die letzte Schärfe, der letzte Wille.
Das Gute ist, dass die Niederlagenserie nicht dazu geführt hat, dass St. Pauli (21 Punkte) auf einen Abstiegsplatz gerutscht ist. Dass ein Aufsteiger in dieser Phase der Saison drei Spiele nacheinander verliert und dennoch am sogenannten rettenden Ufer liegt, spricht für die Kiezkicker und die bisherigen Leistungen und auch die Ausbeute.
VfL Bochum ist derzeit im Aufwind
Aber und es ist ein großes ABER: St. Pauli hat dabei auch davon profitiert, dass fast alle Konkurrenten weiter unten in den letzten Spielen auch nicht oder kaum gepunktet haben. Schlusslicht Holstein Kiel (13 Punkte) hat aus den sechs Partien der Rückrunde nur zwei Zähler geholt, der Tabellen-16. Heidenheim (15 Punkte) sogar nur einen.
Im Aufwind ist allerdings derzeit der VfL Bochum (15 Punkte), der vor einigen Wochen schon abgeschlagen schien und sich mit zuletzt zwei Unentschieden und einem Sieg (gegen Borussia Dortmund) an Kiel vorbeigeschoben hat. Stimmungshoch im tiefen Westen. Der Glaube ist zurück. Keine gute Nachricht für St. Pauli.
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Noch immer beträgt der Vorsprung der Kiezkicker auf die Abstiegsplätze und den Relegationsplatz sechs Punkte, aber Johannes Eggestein warnt: Das Tabellenbild „ist absolut trügerisch“. Denn: „Die Punkteanzahl, die wir jetzt haben, wird nicht reichen und ja, wir müssen sehen, dass wir Punkte holen.“
Johannes Eggestein warnt: Tabellenbild ist „trügerisch“
St. Pauli braucht den Turnaround – möglichst schon im nächsten Spiel. „Wir versuchen gegen Dortmund wieder Punkte mitzunehmen“, so Eggestein. „Wir geben nicht auf und wir glauben fest daran, dass wir die Klasse halten können. Aber wir dürfen uns nicht darauf verlassen, dass dieser Abstand jetzt schon reicht.“ Eine solche Wende ist den Kiezkickern in dieser Saison schon gelungen, wenngleich die zahlreichen Verletzungen in den vergangenen Wochen schwer wiegen und durch die notgedrungenen Umbauten und Anpassungen in der Startelf wichtige Prozentpunkte in der Leistungsstärke verloren gehen.
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Die kommenden drei Spiele sind wegweisend. Im Heim-Duell gegen die Borussia, die gerade Union Berlin mit 6:0 zerlegt hat, müssen die Kiezkicker darauf hoffen, dass der BVB wieder sein wankelmütiges Gesicht zeigt oder die Hausherren unterschätzt. Anschließend geht es für St. Pauli nach Wolfsburg, wo Bochum gerade gepunktet hat, und empfängt dann Keller-Konkurrent Hoffenheim. In diesen drei Spielen müssen Punkte her, möglichst viele, denn danach geht es zum FC Bayern.
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