„Unfassbar wichtig“: St. Pauli grandios! Warum das 1:1 doch ein Gewinn ist
Es war eines der besten Spiele des FCS St. Pauli in dieser Saison und auch am heimischen Millerntor – dennoch belohnten sich die Kiezkicker, die dem Champions-League-Anwärter Borussia Mönchengladbach nicht nur ebenbürtig waren, sondern die Gäste über weite Strecken dominierten, nicht angemessen, sondern mussten sich nach dem 1:1 mit einem Zähler begnügen. Der Punkt kann allerdings extrem wertvoll sein – nicht nur in der Endabrechnung.
Abgekämpft, total ausgepumpt, sich alles abverlangt. Schweren Schrittes verließen die Spieler nach dem Heimspiel den Rasen, aber nicht mit hängenden Schultern oder gesenkten Köpfen, sondern mit einer breiten Brust. Die Spieldaten zeigten, dass St. Pauli eine verdammt starke, eine grandiose Leistung gezeigt hatte. Für das Prädikat „überragend“ fehlten schlicht zwei Zähler – und damit der Dreier, der nicht nur drin und verdient, sondern hochverdient gewesen wäre.
St. Pauli-Trainer Blessin sieht einen „gewonnenen Punkt“
26:5 Torschüsse, 28:6 Flanken, 11:2 Ecken, 64 Prozent Ballbesitz, 549:320 gespielte Pässe, 57 Prozent gewonnene Zweikämpfe, dazu mit 121,4 Kilometern fast sechs mehr als der Gegner. „Wenn man die Performance und die Statistiken sieht, will man natürlich mehr“, bilanzierte Trainer Alexander Blessin, „aber es ist ein gewonnener Punkt und den nehmen wir einfach mit.“ Der Auftritt gebe „ein sehr gutes Gefühl“.
In der Tabelle hat der Kiezklub ein Schrittchen nach vorne gemacht. Zwar rangieren die „Boys in Brown“ weiterhin auf Platz 15, aber sie haben das in den vergangenen Wochen zusammengeschrumpfte Punktepolster mit nun 26 Zählern wieder etwas ausbauen können, um jeweils einen Punkt auf Heidenheim (22) und Bochum (20), die beide an diesem Spieltag Niederlagen kassierten.
Vor dem Spiel hatten sie sich eingeschworen, die Gunst der Stunde für die sogenannten Big Points zu nutzen. „In der Kabine herrschte das Gefühl: Heute ist unser Tag“, beschrieb Kapitän Jackson Irvine das kollektive Gefühl. Und so spielten sie auch, von Anpfiff an. St. Pauli war vor 29.546 Zuschauenden im mal wieder ausverkauften Millerntor in nahezu allen Belangen besser als Gladbach – und das als Mannschaft, die um den Klassenerhalt kämpft (und spielt!), gegen einen Gegner, der im Rennen um die Königsklasse ist. Allein: Beim Verwerten der Torchancen galt das nicht.

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„Wir haben das ganz Spiel dominiert. Von Anfang bis Ende“, befand Mittelfeldlenker Eric Smith, der ein richtig starkes Spiel als Taktgeber gemacht hatte. „Es war eine wirklich, wirklich gute Leistung und es wäre schrecklich gewesen, wenn wir nicht mindestens einen Punkt aus dem Spiel mitgenommen hätten. Ich finde, dass wir alle drei deutlich verdient hätten. Aber wir nehmen, was wir kriegen können. Ein Punkt ist ein Punkt.“ Philipp Treu sprach von „unserem besten Spiel in der Bundesliga“.
St. Paulis Leistung gibt Mut für den Bundesliga-Endspurt
Frust über den verpassten Sieg? Lange Gesichter? Hadern? Wehklagen. Fehlanzeige, auch wenn Hauke Wahl, der nach seiner Pause im Bayern-Spiel wieder in der Startelf gestanden hatte, zugab: „Natürlich sind wir enttäuscht über das Ergebnis, weil ich glaube, dass wir uns einfach mehr verdient hätten.“ Zugleich habe die Mannschaft „sehr, sehr viel richtig gemacht“. Die Devise nach der Partie, die möglicherweise auch im obligatorischen Kreis von Mannschaft und Trainerteam ein bewusst gesetzter Tenor und deshalb anschließend Botschaft war, lautete: Das Positive sehen, betonten und mitnehmen in die kommenden Spiele.

Es war die Leistung über volle 90 Minuten, die Mut machte für den Endspurt. „Wenn wir den Rest der Saison so spielen, dann werden wir okay sein. Im Moment sind wir in guter Form und das haben wir heute gezeigt“, betonte Smith und wiederholte, was er vor einer Woche im MOPO-Interview gesagt hatte: Wenn die Kiezkicker in den verbleibenden Spielen das abrufen, was sie draufhaben, dann halten sie die Klasse. Wer den Auftritt gegen Gladbach gesehen hat, kann nicht widersprechen.
Qualität, Mentalität und Moral stimmen. Denn die Gastgeber steckten auch den extrem bitteren Rückstand weg, der aus dem heiteren Himmel über Hamburg gekommen war. Der Kopfballtreffer des von Manolis Saliakas allein gelassene Itakura nach einer Ecke in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit, nach dem Schiedsrichter Dingert direkt zur Pause pfiff, war brutal – aber er haute die Kiezkicker nicht um. Mit Volldampf kamen die Braun-Weißen aus der Kabine, machten direkt wieder Dampf und hatten gleich zwei Chancen durch Saliakas und Sinani. „Es war es einfach unfassbar wichtig, dass wir eine Reaktion zeigen und in der zweiten Hälfte genauso weitermachen. Und das ist uns gelungen, von der ersten Sekunde an“, betonte Wahl.
Irvine lobt St. Paulis Joker: „Haben uns stärker gemacht“
Die lange Zeit beste Chance zum Ausgleich hatte Elias Saad, der nach einer Stunde nach einer gefährlichen Flanke von Saliakas völlig freistehend mit einem verunglückten Kopfballaufsetzer das Tor verfehlte und das Millerntor kollektiv aufstöhnen ließ. Bereits in der ersten Halbzeit hatte der Flügelflitzer eine Großchance gehabt, war aber nach einem im Gladbacher Strafraum herumflippernden Ball etwas überraschend an die Pille gekommen und aus vier Metern mit seinem unplatzierten Schluss an Keeper Cardoso gescheitert (30.).
Die St. Paulianer blieben auch im zweiten Durchgang die spielbestimmende Mannschaft – und setzten alles auf eine Karte, besser gesagt: alles auf Angriff. Blessin brachte zunächst nach einer Stunde Stürmer Morgan Guilavogui, der sein Comeback nach langer Verletzungspause gab, für Linksverteidiger Lars Ritzka (nebst Umstellung auf eine Viererkette), später kamen Oladapo Afolayan für Noah Weißhaupt (74.) und Johannes Eggestein für Danel Sinani (83.). „Alle Jungs, die reingekommen sind, haben es richtig gut und uns noch mal stärker gemacht“, sagte Irvine. „Der Glaube war heute immer vorhanden.“

Es war Joker Afolayan, der stach. Mit einem wuchtigen Schuss aus 22 Metern ins rechte Eck des Gladacher Gehäuses ließ er die Kollegen jubeln und das Millerntor beben (85.). „Es war ein toller Moment für mich, aber es geht hauptsächlich ums Team“, betonte der Brite, der in den vergangenen Wochen mit seiner Reservistenrolle gehadert hatte. „Es geht darum, der Mannschaft zu helfen und alles zu tun, damit wir in der Liga bleiben.“ Eggestein lobte die „brutale Qualität von Dapo. Den Schuss aus der Distanz so zu setzen, mit der Wucht – es war schon ein sehr, sehr gutes Tor“.
Gegen Kiel: Jetzt wartet ein „wahnsinnig wichtiges Spiel“
Ein enorm wichtiges dazu. Nicht auszudenken, St. Pauli hätte dieses Spiel verloren. Es wäre ein – um sich aus Eggesteins Vokabular zu bedienen – brutaler Tiefschlag gewesen, der die Mannschaft im Endspurt empfindlich getroffen hätte, womöglich nachhaltig. So aber sorgte das Remis für Zuversicht. „Darauf können wir aufbauen und wenn wir so weiterspielen, dann holen wir noch ganz viele Punkte“, ist Treu überzeugt. Ein Dreier kommendes Wochenende bei Schlusslicht Kiel wäre enorm wichtig, fast schön notwendig.
„Natürlich ist das ein wahnsinnig wichtiges Spiel für uns“, weiß Ex-Kieler Wahl um die Bedeutung des Duells an seiner alten Wirkungsstätte. „Gegen Kiel wäre es dann natürlich ein riesiger Schritt in Richtung Klassenerhalt, wenn man da gewinnen würde. Dessen sind wir uns natürlich auch bewusst.“ Dann gehe man „auch mit einer breiten Brust und mit Selbstvertrauen in die letzten Spiele rein und hat dann, glaube ich, sehr, sehr gute Chancen, den Klassenerhalt direkt zu schaffen.“
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Wenn man Leistungen wie jene gegen eine Klassemannschaft wie Borussia Mönchengladbach sieht, dann ist das nicht nur möglich, sondern es wäre auf die gesamte Saison gesehen auch verdient. Aber dafür muss St. Pauli nachlegen – mit Leistung und Resultaten.
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