Haaland, ein geplatzter Traum und viele Abschiede: St. Paulis besonderes 2022
Vor exakt 365 Tagen, beim Jahreswechsel von 2021 auf 2022, war der FC St. Pauli Tabellenführer der zweiten Liga mit fünf Punkten Vorsprung auf einen Nicht-Aufstiegsplatz. Ein Jahr später spielt der Kiezklub immer noch in der zweiten Liga, steht nun aber dem Abgrund fast so nahe wie damals der Spitze. Was Rückschlüsse zulässt darauf, welch ein Jahr hinter St. Pauli liegt: ein schwieriges. Ein Jahr mit vielen Tiefschlägen. Und immerhin zwei Höhepunkten.
Es begann schon ungewiss. Würde die Mannschaft wirklich ins Trainingslager nach Spanien fliegen können? Dorthin, wo die Omikron-Variante des Coronavirus für unvorstellbar hohe Inzidenzen sorgte (ja, die waren damals noch Thema)? Sie konnte. Und schwärmte von den Bedingungen in Benidorm, alles dufte.
Auf St. Paulis Pokaltriumph gegen Dortmund folgt
die Derby-Niederlage gegen den HSV
Noch. Erstmal blieb das auch so, weil St. Pauli zum Jahresauftakt mit Müh und Amenyido ein spätes 2:2 gegen Aue erzwang. Und drei Tage später eine Darbietung folgte, wie man sie lange nicht gesehen hatte am Millerntor. St. Pauli zwei, Borussia Dortmund eins. Diese simple Information gab die Anzeigetafel bei Spielschluss des DFB-Pokal-Achtelfinals gegen den Titelverteidiger preis. Dahinter steckte ein Fußball-Kampf der ersten Klasse, an dessen Ende der Kiezklub die Giganten Hummels, Haaland und Co. niedergerungen hatte.
Das Aus folgte eine Runde später bei Union Berlin. Zuvor aber ging es schon in der Liga danieder. Nach dem Triumph gegen den BVB setzte es eine 1:2-Niederlage im Volkspark – nach eigener Führung und ohne Daniel-Kofi Kyereh, der mit einer Oberschenkelverletzung vom Afrika-Cup heimgekehrt war. Stadtmeister-Titel verloren, auch die Tabellenführung futsch – so schnell kann’s gehen.
Lange dagegen dauerte es, bis St. Pauli sich vollends stabilisierte. Zu lange. Jedenfalls, um am Ende noch aufzusteigen. Schon damals begann, was bis heute andauert: die Auswärts-Misere. Der letzte Sieg auf fremdem Platz datiert von einem grauen Februarnachmittag beim späteren Absteiger Ingolstadt.
Im Sommer verabschieden sich Kyereh, Burgstaller, Hain und Co. von St. Pauli
So etwas wie der emotionale Tiefschlag war das 2:3 auf Schalke. Auch, weil die Fallhöhe so groß war. Von letzten Aufstiegshoffnungen und einer frühen 2:0-Führung hin zu einer Niederlage samt zweier Platzverweise. Vom Ende der eigenen Träume zum wahr werden derer der Schalker – die zu allem Überfluss ein gewisser Rodrigo Zalazar, ehemals St. Paulianer, zum Aufstieg schoss (gekrönt vom Kuss aufs S04-Wappen).
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Im Sommer musste Torwarttrainer Mathias Hain nach elf Jahren gehen, sein Vertrag wurde nicht verlängert. Es verließen Offensiv-Größen wie Kyereh und Guido Burgstaller den Verein, auch Kapitän Philipp Ziereis und Christopher Buchtmann, Rico Benatelli und James Lawrence sowie Eigengewächs Finn Ole Becker gingen. Nicht alle ohne Störgeräusche. Störgeräusche, die bis in die neue Saison nachhallten.
Ach ja, die neue Saison… Begann mit neuem und jungem Personal wie Innenverteidiger David Nemeth und Stürmer Johannes Eggestein ordentlich, die Spiele oft ansehnlich. Wie auch beim zweiten Höhepunkt, dem 3:0-Derbysieg, der Timo Schultz Luft verschaffte, die zuvor immer dünner geworden war. Am Ende reichte auch das nicht mehr. Ein 4:4 in Karlsruhe, diesmal ob all der Pyrotechnik vor Anpfiff mit dicker Luft, war sein letztes Spiel als St. Paulis Trainer nach 17 Jahren im Verein.
Die Kritik an seiner Entlassung und der von Co-Trainer Loic Favé war groß auf Seiten der Fans. Und groß ist auch die Verantwortung, die sein Nachfolger, der bisherige Assistent Fabian Hürzeler, trägt. Vielleicht kann er 2023 für mehr Höhepunkte bei St. Pauli sorgen. Und ein paar Tiefschläge weniger.