Trainer-Beben beim FC St. Pauli: Das wurde Timo Schultz zum Verhängnis
In den vergangenen Tagen herrschte Ruhe beim FC St. Pauli, jedenfalls nach außen. Im Verein fand eine Gremiumssitzung nach der anderen statt. Es ging um die Frage, ob Timo Schultz bleibt. Seit Dienstagmittag ist das Ergebnis bekannt: Schultz ist nicht länger Trainer des FC St. Pauli. Mit ihm muss auch Co-Trainer Loic Favé gehen. Die Mannschaft führt vorerst Assistent Fabian Hürzeler. Die Gründe für den Schultz-K.o.
Dazu gehört offensichtlich die sportliche Lage: St. Pauli steht nach 17 Spielen mit 17 Punkten einen Zähler vor einem direkten Abstiegsplatz. Eine tabellarisch ähnliche Situation wie die, aus der sich die Mannschaft unter Schultz vor zwei Jahren befreite und ein herausragendes Kalenderjahr 2021 spielte. Dass dies erneut gelingen würde, traute die Führung um Präsident Oke Göttlich und Sportchef Andreas Bornemann dem 45-Jährigen nicht zu.
Bornemann fehlten bei Schultz die Lösungsansätze
„Die Gespräche nach dem Ende der Hinrunde haben keine ausreichenden Ansatzpunkte für neue Konzepte gebracht“, benannte Bornemann, was letztlich den Ausschlag gegen Schultz gab. Insbesondere hinsichtlich der Auswärtsschwäche – St. Pauli siegte letztmals auf anderem Platz im Februar – soll Schultz mit seinem Trainerteam keine hinreichenden Lösungsansätze dargelegt haben.
Selbiges galt laut Bornemann für die „eine fehlende Balance zwischen Defensive und Offensive, mangelnde Weiterentwicklung, aber auch die fehlende Fähigkeit, Spiele nach Rückstand zu drehen“ (letztmals am 16.10.21, d. Red.).
Als Beispiel für die besagte fehlende Balance gilt vereinsintern das 4:4 in Karlsruhe. Trotz vier selbst erzielter Tore habe man nicht gewonnen, so die Kritik. In dem Spiel war die defensive Stabilität, die St. Pauli zu Beginn der Saison fehlte und die es sich dann auch durch eine Systemumstellung erarbeitet hatte, wieder abhandengekommen.
Die Vereinsführung vermisste bei Schultz die Konsequenz in Entscheidungen
Diese strukturellen Probleme, so die Auffassung in der Vereinsführung, ließen sich allein mit neuen Spielern im Winter nicht lösen. Vor diesem Hintergrund folgte am Wochenende das Präsidium der Empfehlung von Sportchef Bornemann und votierte laut Verein einstimmig ebenso wie der (nicht zustimmungspflichtige) Aufsichtsrat für Schultz’ Freistellung. „Wir müssen das Gesamtwohl des FC St. Pauli immer im Blick haben“, erklärte Präsident Göttlich und nannte die sportliche Bilanz im Kalenderjahr 2022 „die eines Absteigers“.
Bis auf Weiteres wird Co-Trainer Fabian Hürzeler die Mannschaft betreuen. Bornemann bescheinigte Hürzeler „Fachwissen“ und „Konsequenz“. Nach Meinung der Vereinsführung hatte es Schultz an eben dieser Konsequenz und auch Klarheit bei Personalentscheidungen gemangelt. Als Beispiel gilt die Kapitänsrolle, die sich Leart Paqarada und Jackson Irvine teilen.
Innerhalb der Mannschaft war Schultz allerdings beliebt. Dass das Team gegen den Trainer spielte, war zu keinem Zeitpunkt festzustellen. Es folgte seinem Plan, wenngleich dieser zunehmend seltener aufging. „Ich habe ein paar Trainer mitgemacht und ich kann sagen, dass Schulle und sein Trainerteam wirklich eine unglaubliche Arbeit leisten“, hatte Leart Paqarada vor zwei Monaten gesagt. Gestern schrieb er auf Instagram, die Spieler nähmen die Entlassung auf ihre Kappe. Und Eric Smith hatte noch noch vor dem Karlsruhe-Spiel betont: „Wir haben einen sehr guten Trainer, der weiß, was wir tun müssen.“
St. Paulis Spieler bedauern die Entlassung von Timo Schultz
Zwischen Trainer und Klubführung dagegen sollen sich in den vergangenen Monaten atmosphärische Probleme eingestellt haben. Ein zwischen Schultz, Göttlich und Bornemann ausgemachter regelmäßiger Austausch soll nicht in der Frequenz und Zuverlässigkeit wie ursprünglich angedacht stattgefunden haben.
Die Entscheidung, Schultz nach 17 Jahren im Verein (zuerst als Spieler, dann im Nachwuchs und schließlich als Cheftrainer) zu entlassen, stößt bei vielen Fans auf Unverständnis und Proteste. Auch der frühere St. Pauli-Profi und heutige Freiburger Co-Trainer Florian Bruns kritisierte sie als „verdammt schlecht“ und „sehr, sehr bedauerlich“. Sportsenator Andy Grote (SPD) sagte: „Timo Schultz war ein Trainer, der stark für den Verein und die Identität des Klubs gestanden hat.“
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In der Vereinsführung war man sich bewusst, wie unpopulär die Freistellung sein würde. Einige Anhänger halten insbesondere Sportchef Bornemann Fehler bei der Kaderplanung vor und argumentieren, für die sportliche Lage sei deshalb nicht (nur) Schultz verantwortlich. In der Mitteilung des Vereins finden solche Umstände, die außerhalb Schultz’ Verantwortung liegen und ebenfalls Einfluss auf die sportliche Situation haben, keine Erwähnung. Schultz selbst kommt in der Mitteilung nicht zu Wort. Sein Vorgänger Jos Luhukay hatte bei seiner Entlassung ausführlich Stellung bezogen.