Mit Frankreich wurde Thuram 1998 Welt- und 2000 Europameister.
  • Mit Frankreich wurde Lilian Thuram 1998 Welt- und 2000 Europameister.
  • Foto: imago/WEREK

Weltmeister zu Gast am Millerntor: Wie Lilian Thuram gegen Rassismus kämpft

Die Bühne ist klein, 20 Quadratmeter vielleicht, und der Gast groß. Körperlich nicht unbedingt, aber von seinem Wirken. Als Fußballer. Als Mensch. Lilian Thuram entfaltet ein Poster mit einer Weltkarte. So groß, dass er es kaum halten kann, er hat ja auch noch ein Mikrofon in der Hand. Das Poster verdeckt sein Gesicht, Thuram hält es falschherum, die Welt steht Kopf. Oder? 

Doch, schon. Meinen viele, die an diesem Mittwochabend ins St. Pauli-Museum am Millerntor gekommen sind. Thuram dreht das Poster. „So besser?“ Zustimmung aus dem Publikum, ein paar Daumen gehen hoch. Und Thuram hat den Effekt erzielt, den er fast immer erzielt, wenn er die Sache mit dem Poster macht. „Die Erde ist rund wie ein Fußball, bei dem gibt es auch kein oben und kein unten“, sagt der französische Rekordnationalspieler und Weltmeister von 1998, geboren in Frankreichs früherer Kolonie Guadeloupe. Er ist gekommen, um zu sprechen. Ein bisschen über Fußball. Vor allem aber über Rassismus. 

Lilian Thuram auf Lesereise mit Buch „Das weiße Denken“

Es fällt noch etwas auf an der Weltkarte: Afrika ist viel größer als bei den Karten, die man im Schulatlas zu sehen bekommt. Eben so groß, wie es den echten Proportionen entspricht. Die Geschichte wurde nur anders geschrieben, Europa steht üblicherweise im Mittelpunkt, Europa ist am größten. So war das, so ist das. Immer noch. Und wann ändert sich das (endlich)? So genau weiß Lilian Thuram das freilich nicht, wie auch. Zumal er das alleine nicht ändern kann, aber er gibt alles dafür. „Die Idee des Buches ist es, die Perspektive zu wechseln“, sagt er. 

Lilian Thuram am Millerntor mit seinem Buch „Das weiße Denken“, erschienen im Nautilus-Verlag WITTERS
Lilian Thuram am Millerntor mit seinem Buch „Das weiße Denken“, erschienen im Nautilus-Verlag
Lilian Thuram am Millerntor mit seinem Buch „Das weiße Denken“, erschienen im Nautilus-Verlag

Womit auch der Anlass des Abends umrissen wäre: Thuram hat auf gut 260 Seiten niedergeschrieben, warum Weiße denken, wie sie – in der Mehrzahl – denken. Über Menschen, die anders aussehen als sie, ganz automatisch. Wie sie mit Privilegien leben und sich derer nicht bewusst sind. So war das doch immer, so ist das halt. Das Buch heißt „Das weiße Denken“ und selbst wenn man meint, man sei aufgeklärt, bereitet einem die Klarheit und Detailversessenheit, mit der Thuram basierend auf historischen Quellen die Brutalität des Kolonialismus und der Sklaverei analysiert, mitunter physische Schmerzen. Genau wie das, was ihmzufolge daraus resultiert: das weiße Denken, Hautfarben als Kategorien.

Thuram geht an Schulen und spricht mit Kindern über Rassismus

„Wir sind alle ein Resultat von Erzählungen“, sagt Thuram. Zum Beispiel von dieser: Christopher Kolumbus habe Amerika entdeckt. Wie das denn bitteschön, wenn dort längst Menschen lebten? Die dominierende Erzählung ist eben die europäische, wie bei der Weltkarte. Daraus ergibt sich, schlussfolgert Thuram, das weiße Denken. Wir sind mehr wert als die. Denken die Weißen. Die sind mehr wert als wir. Denken die Nicht-Weißen. Denn, das betont 50-Jährige auch: „Das weiße Denken ist eines, das eine Minderheit auf die Mehrheit übertragen hat.“ Auch auf Nicht-Weiße. Thuram erzählt aus der Fußball-Kabine, in der seine Kollegen ihre Haut verglichen. Je heller, desto schöner. Das war das Kriterium. Als ihm Italien Affenlaute von den Rängen entgegenschallten und Thuram sich öffentlich dagegen wehrte, da habe seine Mutter zu ihm gesagt: „Lilian, hör auf damit.“ Sie habe es als normal betrachtet, dass Menschen rassistisch sind. 

Damit sich die Erzählungen, die das weiße Denken etablieren, gar nicht verfestigen, geht Thuram – er führt auch eine Stiftung – an Schulen. Müssen Kinder sich wirklich mit Rassismus beschäftigen, mag mancher fragen. Thuram verweist da auf eine Studie, nach der Kinder im Angesicht einer weißen und einer schwarzen Puppe fast alle negativen Attribute der schwarzen zuschreiben. 

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In Ruhe miteinander zu sprechen, andere Perspektiven aufzuzeigen, das ist Thurams Ansinnen. „Denn wir können nicht in Richtungen denken, die wir nicht kennen.“ Thuram will niemanden belehren, er will erklären statt verklären, zum Beispiel den Kolonialismus mit seinen bis heute währenden Folgen. Wer sein Buch liest, der merkt, wie tief die Probleme liegen. Der schöpft aber auch ein bisschen Hoffnung. „Die Dinge ändern sich“, schreibt Thuram. „Rassismus ist kein unabwendbares Schicksal.“

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