Ex-HSV-Trainer: Ungarn-Experte Thomas Doll setzt auf DFB – und ist auf Jobsuche
Sein Urteil hat Gewicht. Wenn Deutschland und Ungarn aufeinandertreffen, dann ist es für Thomas Doll das Spiel seiner beiden Welten. Der Ex-HSV-Trainer wurde 1992 mit dem DFB-Team Vize-Europameister, lebt aber in Budapest. Vor dem Duell am Mittwoch (21 Uhr, live im ZDF) steht für Doll fest: „Deutschland kommt sicher weiter, die Ungarn werden sich von der EM verabschieden müssen.“
Der Wanderer zwischen den Welten ist mal wieder auf Tour. Am Montag schwebte Doll in Hamburg ein und verbringt die Woche bei seinen Eltern in Heide. Richtig nett wird es, auch Ex-Nationalspieler Andreas Thom (55) hat sich angesagt und will ein paar Tage vorbeischauen. Klar, dass sich da viele Gespräche um die EM und das Auftreten des DFB-Teams drehen werden.
Doll wurde als Trainer in Ungarn Meister und Pokalsieger
Was aber erwartet das DFB-Team gegen die Ungarn? Kaum jemand weiß das besser als Doll. Der 55-Jährige kennt den deutschen Gegner in- und auswendig. Fünf Jahre lang trainierte er Ferencvaros Budapest (2013 bis 2018), machte den Verein zum Meister und dreifachen Pokalsieger. Mehrere Spieler des Nationalteams, wie Adam Nagy oder der Ex-Bremer Laszlo Kleinheisler, gingen durch Dolls Schule. „In Ungarn hat sich einiges getan“, sagt frühere HSV-Trainer. „Das liegt auch daran, dass zahlreiche Spieler wie Peter Gulacsi, Willi Orban oder Adam Szalai in der Bundesliga spielen und ihre Erfahrungen weitergeben. Aber gegen Deutschland werden sie eigentlich keine Chance haben.“
Das sehen sie in Budapest ein wenig anders, nach dem 1:1 gegen Frankreich schöpfen die Magyaren Mut. Dem Weltmeister zeigten sie, wozu sie im Stande sind. „Man darf aber nicht vergessen, dass der Heimvorteil in Budapest mit den mehr als 60.000 Fans eine große Rolle gespielt hat“, meint Doll. „Ungarn hat ja in erster Linie verteidigt. Das ist der leichtere Job als anzugreifen – vor allem, wenn du von den Fans so gepusht wirst. Diese Unterstützung wird in München aber wegfallen.“
Doll beurteilt das Stadion-Konzept der UEFA kritisch
Doll selbst verzichtete auf einen Besuch der Spiele in seiner Wahlheimat. „Ich finde, dass die Zeit dafür in diesem Rahmen nicht reif war“, stellt er klar. „Man muss bedenken, dass wir die Corona-Pandemie noch immer nicht hinter uns haben. Ob es dann wirklich ein prall gefülltes Stadion braucht, wage ich zu bezweifeln. Grundsätzlich werden die Konzepte in Ungarn aber gut umgesetzt.“
Doll, der seit zwei Jahren mit seiner Edina verheiratet ist, liebt das Leben in Ungarn. „Im Moment bin ich viel am Balaton, wo das Wasser ist“, sagt er. Alle vier bis sechs Wochen schaut er in Heide vorbei, oft fuhr er die 1300 Kilometer wegen der Flugeinschränkungen in Corona-Zeiten mit dem Auto.
Es kribbelt! Doll will wieder als Trainer arbeiten
Nur eines vermisst das HSV-Idol dann doch. „Mir fehlt der Wochenendrhythmus mit Spielen“, erzählt Doll, der nach seinem Weggang bei APOEL Nikosia im Dezember 2019 auf eine neue Aufgabe wartet. Zwar gingen mehrere Anfragen ein, das Richtige war aber nicht dabei. Noch nicht. Dolls großer Vorteil: Er ist flexibel, arbeitete schon in der Türkei und Saudi-Arabien, in Ungarn, auf Zypern und in der Bundesliga (HSV, Dortmund, zuletzt 2019 Hannover). Bald will er das nächste Karriere-Kapitel schreiben. Soviel aber ist klar: „Budapest bleibt meine Wahlheimat.“ Auch wenn Doll manchmal nur Bahnhof versteht, wie er zugibt: „Ungarisch ist nach Chinesisch die schwerste Sprache der Welt …“