Heftige Fan-Kritik: Corona macht Missmanagement im Fußball erst sichtbar
Köln –
Geisterspiele, um die Vereine der 1. und 2. Liga vor dem finanziellen Kollaps zu retten und tausende Tests, um Profis, Trainer und Funktionäre vor Corona zu schützen – die Fußballszene kämpft mit aller Macht dafür, den Spielbetrieb so schnell es geht wieder aufzunehmen.
Viele Anhänger stehen dahinter, wollen den Ball endlich wieder rollen sehen. Doch es gibt auch zahlreiche kritische Stimmen.
Die Sprecherin der Fangemeinschaft „Unsere Kurve“, Helen Breit, sieht in der derzeitigen Coronavirus-Pandemie nicht den einzigen Grund für die große Not von Profi-Fußballklubs in Deutschland. „Im Fußball werden jedes Jahr Umsatzrekorde verkündet. Jetzt bringen neun Spieltage, die auszufallen drohen, nicht wenige Vereine in eine existenzbedrohende Situation. Die Vereine sind gefragt, offen zuzugeben, dass nicht Corona sie in eine prekäre Situation gebracht hat – durch Corona wurde die Situation erst sichtbar“, sagte Breit der „Süddeutschen Zeitung“.
Fußball-Szene muss umdenken und Rücklagen bilden
Sprecherin Breit fordert die Profifußballer zum Umdenken auf: „Es braucht nicht nur Eingeständnisse, es braucht Schritte, die fixiert werden. Man könnte eine gerechtere Verteilung der Fernsehgelder anstreben. Und die Vereine könnten in den Lizenzierungsbedingungen dazu angehalten werden, Rücklagen zu bilden.“
Die Möglichkeit, Statuten im Fußball zu ändern, geht für sie „in der Debatte zu sehr unter“. Breit, selbst Fan vom SC Freiburg, erklärte, sie wisse nicht, ob sie die Spiele überhaupt anschauen werde. „Fußball Club findet für mich immer im Stadion statt“, sagte sie. Ein Spiel im Fernsehen sei für sie keine Alternative.
Bayern-Fan-Organisation zu Corona-Tests von Profis: Es ist eine moralische Frage
Mehrere Fanorganisationen hatten sich zuvor bereits gegen Geisterspiele ausgesprochen. Darunter auch die Bayern-Organisation „Club Nr 12“ als Dachverband der aktiven Fans des FC Bayern München. Am Samstag wurde ein Statement abgegeben. Darin heißt es unter anderem zu den vom Fußball beanspruchten Corona-Tests:
„Es wurde in den letzten Tagen viel über die ominösen 20.000 Tests für die Bundesligaspieler diskutiert. Nun sind wir natürlich keine Virologen. Wir können nicht abschließend beurteilen, ob die rechnerischen Testkapazitäten ausreichen oder nicht. Für uns ist dabei aber die moralische Frage entscheidender. Es kann für eine solidarische Gesellschaft keine Option sein, dass Geld oder eifrige Lobbyarbeit darüber entscheiden, einen Corona-Test zu bekommen oder nicht! Anscheinend werden beim FC Bayern aber schon jetzt Spieler und Trainerpersonal mehrmals wöchentlich getestet. Dies ist jedenfalls den Kommentaren von Karl-Heinz Rummenigge und Joshua Zirkzee zu entnehmen. Während eine privilegierte Auswahl an Menschen somit mehrmals (wohlgemerkt ohne Symptome und/oder Kontakt zu positiv Getesteten) und wie selbstverständlich einen Test nach dem anderen beansprucht, wissen teilweise beruflich mit Risikogruppen in Kontakt stehende Personen nicht einmal, ob sie unwissentlich als Überträger des Virus fungieren. Grotesk und heuchlerisch wirkt hierbei die gebetsmühlenartige Betonung der Funktionäre, die wahlweise vorgeben, „keine Sonderrolle zu beanspruchen“ (DFB-Präsident Fritz Keller) oder „keine Sonderrechte zu erwarten“ (DFL-Vorsitzender Christian Seifert).
Gerade in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Altersheimen und anderen sensiblen Bereichen wären regelmäßige Tests für alle dort lebenden bzw. arbeitenden Personen sinnvoll und wichtig. Erst wenn dies irgendwann auch einmal in der Realität gewährleistet sein sollte und danach immer noch Kapazitäten frei sind, stellt sich die Frage, ob eine Sonderrolle für den Fußball angebracht erscheint.“
Bayern-Fans zu wirtschaftlicher Not der Vereine: Geht um Rettung von achtstelliger Gehaltsstruktur
Auch die wirtschaftliche Schieflage des deutschen Profifußballs können die Fans nicht nachvollziehen. Hierzu heißt es von den Bayern-Fans:
„Für uns stellt sich hier insbesondere die Frage, ob es wirklich um die Rettung der Vereine und damit einem wichtigen Ort gesellschaftlichen Miteinanders oder vielmehr um die Rettung sechs- bis siebenstelliger (teilweise gar achtstelliger) Gehaltsstrukturen geht.
Während man öffentlich Solidarität propagiert, bleiben tatsächliche Ergebnisse weiterhin aus. In krassem Widerspruch zur angeblich bevorstehenden Masseninsolvenz stehen die allenfalls zur Symbolik taugenden Gehaltsverzichte von 15 oder 20 Prozent, bei denen es sich wohl teils gar nur um Stundungen handelt. Schaut man nach Spanien, verzichten die Spieler (nicht nur) des FC Barcelona auf 70 Prozent ihres Gehalts. Ähnlich verhält es sich in Italien. Dort verzichtet beispielsweise die Mannschaft des AS Rom bereits jetzt auf vier volle Monatsgehälter (März, April, Mai, Juni) und übernimmt zugleich die Gehaltszahlungen der nicht auf dem Platz stehenden Angestellten.“
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Die rund 56.000 Arbeitsplätze, die unmittelbar von der Bundesliga abhängen, könnten auch mit Geisterspielen nicht gerettet werden, da weit über 34.000 Arbeitsplätze eben von Zuschauern und Fans abhängig sind, wie Gastwirte oder Bratwurstverkäufer. (ubo/dpa)