„Geht um mehr als drei Punkte“: Die Trainer laufen schon vor dem Derby heiß
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Montagabend. Millerntor. Flutlicht. Derby. Eines der etwas anderen Art. Mit Schalldämpfer. Kein Fan wird auf den Tribünen sitzen, aber es steht verdammt viel auf dem Spiel bei der 105. Auflage dieses Duells der Erzrivalen: Für den FC St. Pauli die Hamburger Stadtmeisterschaft und die Fortsetzung der Siegesserie. Für den HSV geht es um den Aufstieg und die Auswirkungen des Stadtduells auf die kommenden Wochen sowie das Selbstverständnis.
Die Tabelle? Spielt angeblich keine große Rolle, sobald angepfiffen ist und der Ball rollt. Ein Derby sei ein Spiel, das für sich stehe, herausgehoben aus dem Kontext einer Saison, quasi ein eigener Wettbewerb, so hört man es aus beiden Lagern. Was davor war, sei nicht maßgeblich. Doch gerade Letzteres stimmt in diesem Fall nur bedingt.
St. Pauli vor dem Derby in Topform
Der HSV steht im Zweitliga-Ranking zwar oben und St. Pauli im Vergleich dazu unten, aber die Differenz von 14 Punkten dürfte tatsächlich in den 90 Minuten unsichtbar werden. Nicht zuletzt, weil die vergangenen Wochen durchaus für das Derby relevant sind, Stichwort Formtabelle. Aktuell sind die Kiezkicker auf Höhenflug, während die Rothosen zuletzt einen kleinen Abwärtstrend zeigen.
Mit dem Rückenwind aus zuletzt vier Siegen in Serie, sechs Dreiern aus den vergangenen sieben Spielen und insgesamt 20 Punkten in diesem Jahr gehen die Gastgeber in die Partie – und wer Rückenwind hat, der macht sich gerade und drückt das Kreuz durch.
St. Pauli-Trainer Schultz ist optimistisch
„Wir gehen mit breiter Brust ins Derby“, sagt St. Pauli-Trainer Timo Schultz, der am Tag vor dem Duell Selbstbewusstsein demonstrierte, ohne aber die Hosenträger zu spannen oder Kampfansagen vom Stapel zu lassen.
Der HSV wiederum war vor diesem Spieltag Spitzenreiter, ist nach den Siegen der Aufstiegskonkurrenten auf Rang vier zurückgefallen, und will Platz eins mit einem Sieg am Millerntor zurückerobern. Aber: Aus den letzten drei Spielen gab es nur zwei Punkte und jüngst die bittere Pleite bei Schlusslicht Würzburg.
Wer ist also der Favorit? Wer der Außenseiter?
HSV-Trainer Thioune nimmt die Favoritenrolle an
„Wir werden jede Woche diese Favoritenrolle bekommen. Die schieben uns alle 17 Trainer zu“, sagt HSV-Trainer Daniel Thioune gelassen – und macht die Rechnung ohne Schultz, den er respektiert und schätzt, was auf Gegenseitigkeit beruht.
Der Coach der Kiezkicker geht davon aus, dass das Derby „ein Duell auf Augenhöhe wird und es nicht wirklich einen Favoriten gibt“.
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Den größeren Druck sieht Schultz allerdings beim HSV – und liegt damit objektiv richtig. Die Gäste müssen nachlegen, „damit sie oben dranbleiben und ihr Ziel vom Aufstieg verwirklichen“, so Schultz. Thioune macht keinen Hehl daraus. Es gebe für den HSV „was zu tun und Boden gutzumachen“.
Eine weitere Niederlage, noch dazu im Derby, und das Wort „Krise“ wäre zurück im Volkspark.
Schießt St. Pauli den HSV in die Krise?
St. Pauli kann eigentlich nur gewinnen, nachdem sich die Kiezkicker in den vergangenen Wochen aus dem Keller und vom brutalen Punkte-Druck befreit haben.
Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch, dass es für St. Pauli auf die gesamte Saison gesehen auch nicht so viel zu gewinnen gibt wie für den HSV, der (mal wieder) um den Aufstieg spielt, während die Kiezkicker dies seit Jahren vergeblich versuchen.
Der große Preis für Braun-Weiß ist die sogenannte Stadtmeisterschaft und St. Pauli und seine Fans sehen sich nach den beiden 2:0-Siegen in den Derbys der Vorsaison und dem Remis im Hinspiel immer noch als Titelträger, während viele HSV-Anhänger darauf beharren, dass dieser Titel jede Saison neu ausgespielt wird. Anderen ist das schnurz. Für sie zählt nur der Aufstieg.
Die Stadtmeisterschaft ist immer für denjenigen angeblich nicht so wichtig, der sie nicht gewinnt.
Thioune macht gar nicht erst den Versuch, das Spiel kleiner zu reden, als es ist und fordert „Gier“, „Freude“ und „Lust“ von seinen Spielern. „Es geht um mehr als drei Punkte, sondern darum, wieder die Nummer eins der Stadt zu sein.“ Das ist der HSV in der Derby-Sonderwertung nämlich nicht, wie Thioune damit einräumt. Das nagt am größeren Klub.
„St. Pauli ist St. Pauli, aber der HSV ist Hamburg“, formuliert Thioune das kollektive Rauten-Selbstverständnis. „Die, die es mit unseren Farben halten, wollen einfach mit einem guten Gefühl am Dienstag wieder zur Arbeit gehen.“
St. Pauli ist der amtierende Stadtmeister
Für den Kiezklub und seine Fans gilt dagegen seit fast eineinhalb Jahren, seit dem 2:0 im Hinspiel der vergangenen Saison am 16. September 2019 durchgängig: „Hamburg ist braun-weiß.“
Nicht wenigen Fans der „Boys in Brown“ ist es zudem wichtig, dem Erzrivalen im Aufstiegskampf ein Bein zu stellen, ihn stolpern zu sehen und vielleicht entscheidend vom Kurs Bundesliga abzubringen.
Das sei nicht der Antrieb der Mannschaft, sagt Sportchef Andreas Bornemann zur MOPO. „Wir spielen das Derby nicht, um dem HSV etwas Schlechtes anzutun, sondern in erster Linie, um uns etwas Gutes zu tun. Wir wollen unsere Serie unbedingt fortsetzen.“
Es spielt keine Rolle, wer heute Abend als Favorit oder Außenseiter den Rasen des Millerntor-Stadions betritt, wenn die „Hells Bells“ erklingen. Entscheidend is’ auf’m Platz – und wer ihn als Sieger verlässt. Als Nummer eins der Stadt.