Historische Pressekonferenz bei St. Pauli: Luhukays letzter Kampf um Job und Ruf
Mit einem denkwürdigen, emotionalen, impulsiven Auftritt hat Jos Luhukay vor dem Heimspiel gegen Jahn Regensburg am Sonntag (15.30 Uhr/Liveticker bei mopo.de) am Millerntor noch einmal alles in die Waagschale geworfen. Es war ein nicht enden wollendender Monolog zwischen Erklärung, Rechtfertigung, Bilanzierung und Beschwerde. Ein Mix aus Selbstverteidigung und Frontalangriff. Der Trainer kämpft um die Deutungshoheit der enttäuschenden Saison, um seinen Job – und auch um seine Reputation.
Es war ein Wort zum Sonntag, wie man es in der 110-jährigen Geschichte des FC St. Pauli noch nicht erlebt hat, und es zeigt, wie sehr der Chefcoach mit dem Rücken zur Wand steht. Die obligatorische Pressekonferenz vor dem Heimspiel begann mit einer recht harmlosen Frage der MOPO: „Wie erklären Sie sich mit etwas Abstand den schwachen Auftritt in Hannover?“
Die Kritik der vergangenen Tage, nach seiner öffentlichen Tirade gegen Henk Veerman beim Spiel gegen Aue sowie nach der 0:4-Klatsche am Mittwoch, hat Spuren hinterlassen beim 57-Jährigen. Es muss sich eine Menge aufgestaut haben.
14 Minuten dauerte der Monolog, in dem der Coach über weite Strecken mit erhobener Stimme sprach und mehrfach richtig laut wurde.
Jos Luhukay zieht eine Bilanz seiner Zeit beim FC St. Pauli
In Sekundenschnelle geriet Luhukays Antwort zur Grundsatzrede, indem er „in die Tiefe“ schaute. Im vergangenen April sei er mit „unheimlich viel Ambitionen nach St. Pauli“ gekommen, weil „der Verein für mich fantastisch ist, mit fantastischen Fans“. Gemeinsam habe man den „Fußball verändern“ wollen. Das sei auch gelungen – gerade in den Heimspielen. Und auch die Mentalität habe man zu einem echten Leistungsprinzip und totalem Ehrgeiz entwickeln wollen. Den Schritt zum FC St. Pauli „habe ich auch nie bereut“.
Den Hauptgrund für die schwache Punktausbeute seien die schlechten Leistungen bei Auswärtsspielen, sagt Luhukay. „Mich nervt die Situation.“ Dass die unterirdische Auswärtsbilanz jedoch keine unbeeinflussbare Widrigkeit ist, sondern eine Schwäche, die er als Trainer mindestens mitverantwortet, scheint er außer Acht zu lassen.
Jos Luhukay über Streit mit Henk Veerman: „Vielleicht ein Fehler“
„Vielleicht bin ich der größte Selbstkritiker“, urteilte Luhukay, dem zuletzt auch verstärkt aus den eigenen Reihen mangelnde Einsicht und Selbstkritik attestiert wurden. Gegen seine These spricht, dass er selbst fünf Tage nach seiner öffentlichen Schelte von Henk Veerman in der Halbzeit des Heimspiels gegen Aue, von einer Situation spricht, „wo ich vielleicht persönlich einen Fehler gemacht habe“, anstatt einzugestehen, dass es nicht vielleicht, sondern definitiv ein Fehler war, womöglich der entscheidende letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Ein klares Bekenntnis zu Luhukay (Vertrag bis 2021) oder demonstrative Rückendeckung aus dem Verein gibt es nicht. Das liegt daran, dass derzeit die Überzeugung fehlt, dass es in dieser Kombination erfolgversprechend weitergehen kann. Und auch aus der Mannschaft gibt es keine Stimmen, die sich öffentlich und demonstrativ für den Trainer stark machen.
Vor der Corona-Unterbrechung habe St. Pauli seiner Meinung nach „eine fantastische Serie“ gespielt und „alles war eigentlich total gut und positiv“. Die aktuelle Trainerdiskussion sei „ohne Fakten“.
Jos Luhukay ist der Trainer mit dem schlechtesten Punkteschnitt
Kein Wort davon, dass der Kiezklub bei allen Ambitionen nach 32 Spieltagen den Klassenerhalt noch nicht sicher hat. Dass St. Pauli bis zum sehr glücklichen Sieg gegen Aue fünf Spiele sieglos war und seit Wochen kaum Tore schießt. Dass Luhukay fast so viele Spieler eingesetzt hat (36) wie St. Pauli Punkte hat (38). Dass er kein stabiles, funktionierendes Mannschaftsgebilde entwickeln konnte. Dass er ein gestörtes Verhältnis zu einer nicht unerheblichen Anzahl von Spielern hat. Dass er von allen Trainern, die bei mindestens 20 Spielen auf der St. Pauli-Bank saßen, derjenige mit dem schlechtesten Punkteschnitt in der Vereinsgeschichte ist.
Luhukay wehrte sich gegen die Kritik, er schaffe es nicht, die Mannschaft zu begeistern, mitzunehmen, mitzureißen, weil er zu oft öffentlich Qualität und Mentalität der Spieler in Frage stelle. „Ich bin kein Kritiker, der nur kritisiert und Dinge negativ sieht. Alles, was ich mit der Mannschaft bespreche ist ehrlich, geradlinig“, versicherte er. „Ich ende immer mit Positivismus.“
Jos Luhukay attackiert erneut die Medien
Anstatt tatsächlich Selbstkritik zu üben, attackierte Luhukay erneut die Medien, die seiner Meinung nach „mit Giftpfeilen auf den Trainer schießen“. Vieles werde „nicht fair transportiert“ und „beeinflusst meine Mannschaft, aber noch mehr unsere Fans“. Man könne „den Trainer nicht so niedermachen“.
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Mehr noch: Die kritische Berichterstattung sei in der aktuellen Situation eine Gefahr. Die Medien, so Luhukay, richten „die Pfeile auf die Mannschaft, das muss man verhindern“. Dabei war er es, der sich nach der Klatsche in Hannover beklagt hatte, dass bei St. Pauli angeblich immer die Trainer und nie die Mannschaft für Misserfolg verantwortlich gemacht werde.
Luhukay sei „mit sich im Reinen“ und lasse sich „nicht verunsichern“, versicherte er. „Ich bin verantwortlich und ich tue alles für meine Mannschaft, meine Spieler und diesen Verein St. Pauli.“
Jos Luhukay wird wohl am Saisonende St. Pauli verlassen müssen
Wie lange noch? Das ist die große Frage. Nach allem, was zu hören ist: Noch zwei Spiele. Wichtig scheint Luhukay seine Reputation zu sein. Was er mit seinem Stab leiste, lasse er sich „nicht kaputt machen“. Längst geht es auch um seinen Ruf und künftige Job-Optionen.
Fast schon verzweifelt zählte Luhukay Erfolge wie die zweifellos begeisternden Derbysiege auf, erzählte von Lobeshymnen von Fans für seinen Spielstil, und nannte einzelne Spieler, die unter seiner Regie erst richtig aufgeblüht (Möller Daehli, Sobota, Buballa, Miyaichi) oder kometenhaft aufgestiegen seien (Östigard).
Vertrauen Göttlich und Bornemann Luhukay noch? „Darum geht es nicht“
Auf die Nachfrage der MOPO, ob er noch die volle Rückendeckung der Vereinsführung spüre, antwortete Luhukay: „Darum geht es doch gar nicht. Es geht doch nicht um meine Person. Ich bin total unwichtig!“ Es wäre „ganz schlecht, wenn ich Angst hätte.“
Luhukay verweist auf das Polster von fünf Punkten auf Relegationsplatz 16. „Wir haben alles in der eigenen Hand und wenn wir Sonntag gewinnen, dann bleiben wir sowieso in der Liga und haben unser Ziel für die Saison erreicht.“ Nach dem letzten Spiel bei Wehen Wiesbaden, so Luhukay, „analysieren wir die Saison offen und ehrlich“.
Dass der Klassenerhalt das Ziel des FC St. Pauli für diese Spielzeit war, wäre allerdings neu.