Miro Muheim, Ludovit Reis und Jonas Meffert stehen enttäuscht vor der Nordtribüne
  • Miro Muheim, Ludovit Reis und Jonas Meffert ließen sich von den HSV-Fans trösten.
  • Foto: WITTERS

„Das war zu passiv“: HSV wird ganz spät bestraft – und schiebt Frust

Zwei Spiele, zwei namhafte Gegner – sechs Punkte? Bis zur 86. Minute deutete am Samstagabend nicht alles, aber vieles auf einen Traumstart des HSV in die neue Saison hin. Nach dem Auftaktsieg in Köln mussten die Hamburger gegen Hertha BSC aber einen späten 1:1-Gegentreffer schlucken – und dahin war der erhoffte Heimsieg. Spektakulär war es wieder nicht. Und diesmal führte Pragmatismus im eigenen Spiel nicht zum Erfolg, sondern zum Verlust von zwei Zählern und viel Frust im Volkspark. Die Passivität wurde bestraft.

Die Fans versuchten es nach Abpfiff mit Aufbauarbeit, spendeten den HSV-Profis Applaus und sangen: „Immer wieder, immer wieder, immer wieeeder HSV.“ Die Spieler hörten sich das an, es tat ihnen gut, trotz des Ärgers über das späte Remis, das sich der HSV selbst zuzuschreiben hat. „Die erste Halbzeit war gut, da hat es noch gepasst“, hielt Daniel Heuer Fernandes treffend fest. „Die zweite war aber zu passiv, da haben wir nicht mehr die Momente erwischt nach vorne hin.“ Und so war es die Hertha, die spät jubelte und deren Fans fröhlicher nach Hause gingen.

Wieder bringt Königsdörffer den HSV früh in Führung

Stefan Kuntz ließ die Wucht des Volksparkstadions schon 15 Minuten vor Anpfiff auf sich wirken. Für ihn war es das erste Heimspiel als Sportvorstand, also stand er mit mit verschränkten Armen und Blick auf die feiernde Nordtribüne vor dem Spielertunnel und genoss die letzten Züge des Aufwärmens. Und spätestens, als die „Abschlach!“-Hymne „Mein Hamburg lieb’ ich sehr“ seine Premiere als Einlauf-Song feierte, waren alle 57.000 Anhänger entzückt. „Ich glaube, die Fans sind heiß“, ahnte dann auch der verletzte Stürmer Robert Glatzel am Sky-Mikrofon, ehe es losging.

Der HSV startete mit exakt jener Startelf, die den 1. FC Köln mit 2:1 geschlagen hatte. Und wieder lag er früh in Front – weil wieder Ransford Königsdörffer genau richtig stand. Bakery Jatta ließ Ex-HSV-Profi Jeremy Dudziak stehen und fand den blank stehenden Deutsch-Ghanaer, der mit seinem dritten Saison-Tor zur Führung einköpfte (11.). Sie war verdient, dieser Eindruck verfestigte sich im Verlauf der ersten Hälfte. Ein abgefälschter Distanzschuss von Sebastian Schonlau ging vorbei (18.), auch Ludovit Reis vergab nach Querpass von Miro Muheim das 2:0 (26.).

HSV vergibt in der ersten Hälfte die Chancen auf das 2:0

„Über die Torchancen, die wir haben, musst du das 2:0 machen“, sollte Schonlau später bemängeln. Der HSV stand vor allem zu Beginn defensiv erneut sehr kompakt, verteidigte im 5-4-1-System mit Jonas Meffert als zusätzlichem Innenverteidiger und Jatta als Rechtsverteidiger, wenn die Hertha das Hamburger Pressing mal überspielen konnte. Defensive Wackler blieben nicht aus, aber Steffen Baumgarts Mannen waren vor allem in letzter Linie sehr wach und wussten in der defensiven Umschaltbewegung zu gefallen. Und sie blieben offensiv zunächst deutlich gefährlicher.

Adam Karabec zeigte bei seinem Heim-Debüt viel Spielwitz, probierte es per direktem Freistoß aus spitzem Winkel (36.), per Nachschuss, der geblockt wurde (37.), und per gelupfter Hereingabe, die fast ins Tor fiel (42.). Neun zu vier Torschüsse und 56 zu 44 Prozent Ballbesitz pro HSV waren Zeugnis einer verdienten, wenn auch knappen, Halbzeitführung. Die Berliner näherten sich dem Hamburger Tor nur zweimal halbwegs an über Ibrahim Maza (3.) und Dudziak (40.). Der HSV kontrollierte das Spiel – seriös, souverän, sicher, zwar eher seltener mit Begeisterung. „Unsere erste Halbzeit war top“, hatte aber auch Meffert verspürt und beobachtet. „Das war sehr ordentlich.“

HSV baut nach der Pause ab – verteidigt aber lange gut

So hatte sich Baumgart das vorgestellt. „Wir wollen natürlich das Feuer entfachen“, hatte er vor dem Spiel angekündigt. Und er dachte auch noch mal an die zweite Halbzeit von Köln: „Diesmal wollen wir nicht abwartend agieren – denn wir spielen heute zu Hause.“ Deshalb ging der Offensivdrang nach der Pause zunächst weiter: Miro Muheims strammer Schuss strich nur knapp am langen Pfosten vorbei (50.). Dann aber wurde Hertha besser: Torjäger Haris Tabakovic sendete per Fernschuss ein Lebenszeichen (53.), die Direktabnahme von Linus Gechter nach einem Standard landete sogar am Außenpfosten (58.). Und Muheim köpfte rettend fast ins eigene Tor (64.).

Trainer Steffen Baumgart verhalf Silvan Hefti (M.) zu seinem HSV-Debüt. WITTERS
Silvan Hefti, Trainer Steffen Baumgart
Trainer Steffen Baumgart verhalf Silvan Hefti (M.) zu seinem HSV-Debüt.

Der HSV verlor also doch an Spielkontrolle, genau das, was Baumgart eigentlich am zweiten Durchgang in Köln bemängelt hatte. Auch die Berliner hatten jetzt mehr Ballbesitz – sie drückten den HSV nicht wie der „Effzeh“ dauerhaft hinten rein, aber immer wieder. Die Gastgeber wurden also erneut passiver, kamen seltener nach vorne. „Wir haben uns vielleicht ein bisschen zu weit nach hinten fallen gelassen und Chancen zugelassen“, kritisierte im Nachgang des Spiels Neuzugang Silvan Hefti, der in der 67. Minute als Joker kam und sein HSV-Debüt feierte.

Kenny schockt den passiv werdenden HSV ganz spät

„Wir dürfen auch Phasen haben, wo wir mehr Kontrolle in der Tiefe haben“, beschrieb Hefti, haderte aber: „Da müssen wir dann auch Kontrolle haben.“ Er, Schonlau, Dennis Hadzikadunic und Co. bereinigten lange vieles. Und Keeper Heuer Fernandes konnte sich dann noch gegen Hertha-Joker Jan-Luca Schuler auszeichnen (82.). „Das war eigentlich nicht gewollt“, sagte Heuer Fernandes jedoch zur Berliner Dominanz. „Wir wollten schon dranbleiben, wollten Druck entwickeln.“ Das gelang dem HSV nicht. Die Parallelen zur Vorwoche häuften sich, auch wenn es, wie Schonlau richtig sagte, „nicht ganz so dramatisch“ war. Wenig Glanz, viel Arbeit, aber erneut maximale Punktzahl?

Dieses Erfolgsrezept ging diesmal nicht auf. Weil der eingewechselte Immanuel Pherai einen Freistoß nur an den Innenpfosten schlenzte (85.) – und Hertha-Profi Jonjoe Kenny quast im Gegenzug davon profitierte, dass Schonlau, Muheim und der ebenfalls als Joker gekommene Guilherme Ramos nicht klären konnten. Der Ausgleich aus dem Gewusel heraus (86.). Und Ekstase im Gästeblock. „Wir sind in der Szene irgendwo leider ein bisschen hektisch geworden“, bedauerte Schonlau. Von diesem späten Schock erholte sich der HSV nicht mehr. Es blieb beim 1:1.

Heuer Fernandes: „Wir bauen auf dem einen Punkt auf“

„Du musst das 1:0 irgendwie über die Bühne bringen. Das haben wir leider nicht geschafft“, ärgerte sich Heuer Fernandes, nachdem er und seine Kollegen sich nach Spielende von den Fans hatten aufbauen lassen. „Aber“, hielt der Torwart dann am späten Samstagabend auch fest: „Wir haben einen Punkt und darauf bauen wir auf.“ Denn der HSV wurde an diesem Samstagabend zwar bestraft – anders als noch in der Vorwoche. Aber nach dem 2:1-Sieg gegen Köln können sie mit dem einen Punkt gegen einen anderen Aufstiegskandidaten dann irgendwie doch leben.

Das könnte Sie auch interessieren: HSV-Noten gegen Hertha: Wer überzeugte – und wer nicht

„Vier Punkte sind ordentlich. Das ist der Zweier-Schnitt, den musst du über die Saison haben“, meinte Schonlau. „Die erste Halbzeit ging klar an uns, die zweite klar an Hertha BSC“, resümierte Baumgart. „Ich bin mit den vier Punkten aus den zwei Spielen zufrieden.“ Kuntz hörte sich die Ausführungen des Trainers im Pressekonferenz-Raum gelassen an, diesmal mit seinen Händen in den Hosentaschen. Er nickte – und ging mit Baumgart in den Feierabend.

Email
Share on facebook
Share on twitter
Share on whatsapp