Der HSV schickte ihn weg – jetzt spielt er als Meister-Torwart gegen Chelsea
Leon Pöhls‘ Weg zum Profi ist alles andere als gewöhnlich. Vom Nachwuchstalent beim HSV über Umwege in die USA und nach England hat er sich mit harter Arbeit und viel Mut in den Profifußball gekämpft. Heute ist der 27-Jährige die Nummer eins bei den Shamrock Rovers in Irland und lebt Kindheitsträume aus – so wie jetzt ein Spiel gegen den FC Chelsea in der UEFA Conference League. Mit der MOPO hat der Hamburger Jung über seine aufregenden Jahre gesprochen. Er erzählt, was ihn antreibt, wer sein Idol ist und welches Ritual ihm hilft.
Pöhls‘ Karriere beginnt an einem Ort, der für ihn nicht besser sein könnte, um sein Ziel, Profi zu werden, zu verfolgen: Mit sechs Jahren wird er vom HSV entdeckt und durchläuft in den folgenden Jahren die Jugendmannschaften der Rothosen. Es geht steil bergauf, auch mit seiner Körperlänge. Mit neun Jahren zieht es Pöhls ins Tor. Die Ausdauer reicht nicht mehr, die Größe schon. Doch ein Jahr später ist es dann vorbei mit seiner Zeit beim HSV. Im Alter von zehn Jahren will ihn sein Lieblingsverein nicht mehr – eine bittere Erfahrung.
Über den ETV und Norderstedt nach New York
„Als mir mein Trainer Pit Reimers das sagte, war ich gebrochen. Ich war einfach nicht gut genug“, erinnert sich Pöhls, der dennoch Verständnis für diese Entscheidung hatte. Doch seine Mutter machte ihm Mut, sagte: „Du wirst deinen Weg finden.“ Worte, die seine Karriere prägen sollten.
Der vorgezeichnete Weg zum Profi ist für Pöhls vorerst nicht mehr begehbar – er muss einen ersten Umweg einschlagen. Über den ETV landet er bei Eintracht Norderstedt und spielt dort bis zur U17. Dann, mit dem Realschulabschluss in der Tasche, bekommt der gerade 17-jährige Pöhls die Chance, mit einem Stipendium in die USA zu gehen. „Ich habe keine Sekunde gezögert.“ Und obwohl er keine Zweifel hat, gibt es doch eine Hürde, die er vor dem Sprung ins große Unbekannte nehmen muss. Pöhls: „Meine Note in Englisch war eigentlich eine Fünf und ich brauchte unbedingt eine Vier minus. Also habe ich meine Lehrerin angefleht.“
In New York: Pöhls lernt seine zukünftige Frau kennen
Mit Erfolg – Pöhls darf nach New York. Und auch wenn es fußballerisch ein Rückschritt an der Storm Kings School ist, wird er den Big Apple aus einem besonderen Grund in Erinnerung behalten. „An meinem ersten Tag in New York ging das Gerücht um, dass noch zwei weitere Schülerinnen kommen würden. Ich habe sie dann in der Kantine gesehen und gedacht: Die kläre ich mir“, erzählt Pöhls von der ersten Begegnung mit seiner zukünftigen Frau Kristina.
Das könnte Sie auch interessieren: Vom College-Kicker zum Rekordjäger: Die ungewöhnliche Karriere des Altona-Stürmers
Doch gerade, weil das Niveau beim Fußball „überschaubar“ ist, sehnt sich Pöhls nach Veränderung. Nach einem Jahr in New York legt der Hamburger für wenige Monate einen Zwischenstopp in New Jersey ein, ehe es ihn nach Florida an die IMG Academy zieht, wo Pöhls schließlich seinen High-School-Abschluss macht. Dort trifft er auf einen englischen Trainer, der ihm die Türen nach Europa öffnet.
Im Testpiel gegen die Rovers: Pöhls wird endeckt
Über die neu gegründete i2i Soccer Academy in York kommt Pöhls nach England. Sie bietet amerikanischen High-School-Absolventen eine Kombination aus Studium und Fußball. Pöhls entscheidet sich für ein Studium der internationalen Finanzwirtschaft und spielt gleichzeitig in der achten englischen Liga. Das Besondere: Dank der Kontakte der Gründer der Academy spielt die Mannschaft um Pöhls immer mal wieder gegen die Akademien von Top-Klubs.
Bei einem dieser Testspiele geht es dann also gegen den irischen Rekordmeister. Pöhls macht auf sich aufmerksam, wird zu einem einwöchigen Probetraining bei den Shamrock Rovers eingeladen und erhält anschließend ein Vertragsangebot. Zwei Semester vor Ende seines Studiums steht Pöhls erneut vor der Wahl, welchen Weg er einschlagen will.
Harter Start in Irland – 50 Euro die Woche als Ersatz-Torwart
„Alle haben mir davon abgeraten, nur meine Mutter, meine jetzige Frau und mein Bruder haben gesagt, ich soll es machen. Ich habe auf mein Bauchgefühl gehört.“ Er selbst denkt in diesem Moment an seine Zeit beim HSV zurück. „An dem Abend, als ich entlassen wurde, haben die Trainer zu mir gesagt: ,Leon, du bist Genie und Wahnsinn zugleich‘. Und das hat mich mein Leben lang verfolgt.“ Und so ist es auch bei dieser Entscheidung: „Wahnsinn und irgendwie auch Genie“, denkt sich Pöhls, nachdem er den Entschluss gefasst hat, 2019 nach Irland zu gehen.
Das könnte Sie auch interessieren: Über Barmbek nach Amerika: Wie sich Hamburger ihren Traum erfüllen
Der Start in Dublin ist alles andere als glamourös: 50 Euro die Woche und ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft. „Ich habe nicht verhandelt, sondern einfach genommen, was man mir gab“, so Pöhls, der seinen Trainer fragt, ob er sich im Supermarkt etwas dazuverdienen könne. Der lehnt ab, weil er will, dass sich sein Torwart ganz auf den Fußball konzentriert. Drei Jahre lang ist er zweiter Keeper und kommt nur sporadisch zum Einsatz. Keine leichte Zeit für Pöhls, der aber immer auf die Unterstützung einer besonderen Person zählen kann. „Meine Mutter hat für mich Berge bewegt, hart gearbeitet und sich teilweise für mich vernachlässigt, um mir alles zu ermöglichen. Insbesondere in der Zeit, als ich nach Irland gekommen bin.“ Pöhls hält durch und wird schließlich belohnt – in einer Woche, die sein Leben verändert.
Hochzeit und gehaltener Elfmeter: Pöhls besondere Woche
Am 24. April 2023 heiratet er seine Kristina. Sieben Tage später der sportliche Wendepunkt: Bei einem Auswärtsspiel verletzt sich der Stammtorhüter und Pöhls muss einspringen. An seinem Geburtstag, dem 1. Mai, hält er einen Elfmeter und sichert den Sieg für die Rovers. „Das Momentum ging los. Danach spielte ich 15 Spiele am Stück und hatte neun weiße Westen“, erzählt Pöhls stolz. Geholfen hat dabei ein besonderes Ritual des 1,94 Meter großen Torhüters. „Ich schaue mir ein zehnminütiges Highlight-Video von Manuel Neuer an, seine besten Szenen“, verrät Pöhls. „Für mich ist er der Beste.“
Seit der Saison 2024 ist Pöhls die klare Nummer eins. Und auch wenn er in diesem Jahr mit den Shamrock Rovers die fünfte Meisterschaft in Serie knapp verpasst hat, steht das Highlight des Jahres noch bevor: Denn zum ersten Mal steht eine irische Mannschaft in einem internationalen Wettbewerb in der Hauptrunde. Ihr letzter Gegner in der neuen Conference-League-Gruppenphase ist kein Geringerer als der FC Chelsea – für Pöhls ein absoluter Kindheitstraum. „Ich bin direkt vor Euphorie im Bett aufgesprungen. Ich bekomme eine Gänsehaut, wenn ich jetzt daran denke. Das wird eine verrückte Erfahrung“, freut sich Pöhls auf das bislang größte Spiel seiner Karriere am 19. Dezember beim sechsmaligen Premier-League-Champion und Europapokalsieger.
Pöhls will nach Deutschland: „Nur nicht zum FC St. Pauli“
Sein Weg zum Profi ist alles andere als normal, aber noch lange nicht zu Ende. Sobald für Pöhls nach dem Chelsea-Spiel die Winterpause ansteht, blickt er mit mindestens einem Auge auf das kommende Transferfenster. „Wenn sich irgendwo eine Option anbietet, dann ist es kein Wunschkonzert. In Deutschland würde ich in der Ersten oder Zweiten Liga überall hingehen – nur nicht zum FC St. Pauli“, sagt er und lacht.