St. Pauli und der HSV im Check: Wachablösung in Hamburg?
Geht es nach den Derbysiegen, ist Hamburg fest in braun-weißer Hand. Seit 2018 entschied der aktuelle Spitzenreiter FC St. Pauli vier von sieben Duellen gegen den HSV (derzeit Siebter) für sich. Und auch im Kalenderjahr 2021 liegen die Kiezkicker punktetechnisch deutlich vor dem Stadtrivalen. Erlebt Hamburg also gerade die Wachablösung im Fußball? Die MOPO vergleicht die Kontrahenten.
Kontinuität: Beim HSV oft gewollt, blieb sie zumindest in der Trainerfrage zuletzt ein frommer Wunsch. Tim Walter ist der sechste Trainer seit dem Abstieg im Jahr 2018, Interimscoach Horst Hrubesch mit eingerechnet. Zuletzt verlor Daniel Thioune nach starkem Start den Rückhalt in der Mannschaft. Jetzt also Walter. Der 45-Jährige arbeitet eng mit Sportvorstand Jonas Boldt und Sportdirektor Michael Mutzel zusammen – beide sind immerhin schon seit 2019 beziehungsweise 2018 im Amt. Auch bei St. Pauli waren in den vergangenen Jahren sehr unterschiedliche Trainertypen gefragt. Auf Markus Kauczinski, der an den Wünschen der Vereinsführung nach attraktivem Fußball scheiterte, folgte der impulsive Jos Luhukay. Bei seinem Auftrag, alles umzukrempeln, rannte er am Ende mit dem Kopf gegen jede Wand. Ein verlorenes Jahr, das Timo Schultz geduldig abwartete, nachdem seine Wechselpläne zu Holstein Kiel unterbunden worden waren. Im Gegenzug stärkte ihm die Vereinsführung im Abstiegskampf den Rücken, sodass das braun-weiße Urgestein (seit 16 Jahren im Klub!) seine Vorstellungen umsetzen konnte.
HSV gab alle „Säulenspieler“ ab
Transfers: Die „Säulenspieler” des HSV aus der Vorsaison sind alle weg. Mit den erfahrenen Spielern wie Simon Terodde, Sven Ulreich, Klaus Gjasula und Toni Leistner wollten die Hamburger den Aufstieg 2021 erzwingen. Ein Vorhaben, das krachend scheiterte. Auf die großen Namen baut man beim HSV nicht mehr. In diesem Sommer kamen mit Sebastian Schonlau ein Zweitliga-erprobter Abwehrchef, mit Robert Glatzel ein neuer Stürmer. Jonas Meffert ist der verlängerte Arm von Walter, beide kennen sich schon aus Kiel. Die restlichen Sommerzugänge blieben bislang ohne die ganz große Wirkung, wenngleich bei Ludovit Reis und Tommy Doyle erste Ansätze zu sehen waren.
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St. Pauli-Sportchef Andreas Bornemann lag mit der Verpflichtung des Ex-Schalkers Guido Burgstaller ebenso richtig wie mit Daniel-Kofi Kyereh, Leart Paqarada, Max Dittgen und Lukas Daschner. Afeez Aremu schlägt nach längerer Anlaufzeit ein, Winter-Zugang Eric Smith und die meisten aktuellen Sommerfänge fügen sich ebenso in das Bild eines gelungenen Kaderaufbaus. Beim jüngsten 3.0 gegen Dresden standen mit Christopher Buchtmann, Luca Zander und Philipp Ziereis nur noch drei Spieler in der Startelf, die länger am Millerntor verweilen als das Gespann Bornemann/Schultz.
FC St. Pauli: Transfers saßen
Taktik/System/Kader: Die Handschrift von Tim Walter wurde direkt sichtbar. Die HSV-Profis sind während der 90 Minuten durchgehend in Bewegung, der Torwart wird stets ins Aufbauspiel eingebunden. In Aue (1:1) gab es zuletzt einen Rückschritt – was Walter knallhart ansprach. Erfreulich: Im Kader ist nur einen Spieler über 30 Jahre alt – der dritte Torwart Tom Mickel (32). Entwicklungspotenzial für die Zukunft ist also gegeben. Mit Jonas David, Anssi Suhonen und den zurzeit verletzten Josha Vagnoman und Stephan Ambrosius setzt der HSV auf so viele Eigengewächse wie lange nicht. St. Pauli ist auf den Schlüsselstellen mittlerweile stark und doppelt besetzt, das ermöglicht Flexibilität. Das Sturmduo Burgstaller/Kyereh kann durch den kantigen Simon Makienok und den talentierten Igor Matanovic ergänzt werden. Buchtmanns Startelf-Comeback gegen Dresden vergrößert die Optionen im Mittelfeld, wo für die Offensiv-Raute auch nach dem Abschied von Rodrigo Zalazar und Omar Marmoush genügend Akteure bereitstehen. Zugang Jakov Medic ist ein Glücksgriff für eine ohnehin starke Abwehr.
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Fazit: Die Saison ist noch jung. Tabellen sind einerseits Momentaufnahmen, wurden andererseits aber auch noch nie der glatten Lüge überführt. Nummer eins in Hamburg war der FC St. Pauli zuletzt im April 1954 – kurz bevor Uwe Seeler sein erstes Pflichtspiel bestritt. Den richtigen Weg für eine Wachablösung hat der Kiezklub zweifelsohne eingeschlagen.