„Fest für ganz Deutschland!“ HSV-Frauen trauern – und erobern doch alle Herzen
Das DFB-Pokal-Finale in Köln findet am 1. Mai ohne den HSV statt. Das, was am 23. März 2025 im Hamburger Volksparkstadion stattfand, war aber historisch. Emotional ging es zu. Leidenschaftlich. Maximal energievoll. Am Ende wurde es aber maximal bitter. Die HSV-Frauen haben das Halbfinal-Nordderby gegen Werder Bremen mit 1:3 (0:0) verloren, einen riesigen Fight nicht belohnen können. Was am ganzen Nachmittag und besonders um 17.17 Uhr in der HSV-Arena geschah, wird aber definitiv in den Köpfen und Herzen der Spielerinnen bleiben.
Der Volkspark explodierte. Nicht, weil Davie Selke, Robert Glatzel oder ein anderer männlicher HSV-Star soeben getroffen hatte. Sondern wegen Sarah Stöckmann. Die 31-Jährige war zur Stelle, als Lisa Baums abgefälschter Freistoß von der Latte des Werder-Tores zurückflog, und erzielte kurz vor Schluss per Kopf den 1:1-Ausgleich (90.). Es folgte der komplette Gefühlsausbruch der Spielerinnen, die schreiend zur Eckfahne stürmten, und dem Gros der 57.000 Fans. „Es war eine absolute Explosion an Emotionen“, beschrieb Stöckmann nach dem Abpfiff. „Ich würde es gerne noch mal in Bildern sehen, weil in dem Moment alles rauskam.“ Sie habe eine „absolute Gänsehaut“ verspürt.
HSV-Idol Hrubesch: „Meine Enttäuschung ist nicht groß“
Stöckmann war damit nicht allein. Überwältigt war vermutlich jeder, der an diesem Sonntag in den Volkspark kam – trotz der Niederlage. „Meine Enttäuschung ist nicht groß“, sagte Nachwuchsdirektor Horst Hrubesch. „Wir hätten ins Finale kommen können und hatten die Möglichkeiten, aber ich bin stolz auf die Mädels – vor allem auf die Art und Weise, wie sie sich verkauft haben.“ 120 Minuten lang mussten sie durchhalten, alles deutete darauf hin, dass der Pokal-Krimi in einem Elfmeterschießen enden würde. Doch dann traf Werder doch noch zweimal spät zum Sieg.

Dennoch: „Es ist ein Erlebnis, das wir nicht so schnell vergessen werden. Ein Riesen-Dankeschön an alle Leute, die das heute zu dem gemacht haben, was es war – nämlich ein Fußball-Fest für ganz Deutschland und für uns“, hielt Stöckmann fest. Christin Meyer fiel es schwer, das Geschehene sofort passend einzuordnen. „Auf der einen Seite ist es einfach immens, was für eine Unterstützung wir heute bekommen haben“, betonte die HSV-Stürmerin. „Auf der anderen Seite haben wir am Ende bitter verloren. Und von daher fließen jetzt mal ein paar Tränen und es ist einfach traurig, wie es am Ende gekommen ist.“ Statt dem HSV tritt Nordrivale Werder im Endspiel gegen den FC Bayern an.
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Wie die Kräfteverhältnisse im Volkspark verteilt sind, bekamen die Werder-Spielerinnen spätestens um 15.13 Uhr zu spüren. Da ertönte im Stadion ein von den HSV-Fans ausgehendes, gellendes Pfeifkonzert, als sich die Bremerinnen den letzten Applaus vor der Gästekurve abholten. Nordderby eben. Mit allem, was dazugehört. Um 15.10 Uhr gab es bereits „Hier regiert der HSV“-Gesänge auf der Nordtribüne, fünf Minuten später wehten beim „Abschlach!“-Song „Mein Hamburg lieb‘ ich sehr“ blaue Fahnen auf den Rängen. Der SVW-Anhang hielt mit einem Banner mit der Aufschrift „Die einzig wahre Raute“ dagegen. Drei Minuten vor Anpfiff aber: die „Scheiß Werder Bremen“-Melodie.
HSV-Frauen verdienen sich früh den Beifall der Zuscheuer
Der Rahmen stimmte, die Rivalität war auch in Abwesenheit der aktiven Fanszenen der beiden Männerklubs spür- und hörbar. Bei jedem Schlachtruf aus der SVW-Kurve pfiffen die Hamburger Anhänger, von denen es auf der Nordtribüne keinen durchgehenden Gesang gab – aber sehr regelmäßigen. Die paar Minuten Pause mit Getrommel und Co., die es immer mal wieder gab, taten der Stimmung keinen Abbruch. Und auch die gute Leistung der HSV-Kickerinnen war von Beginn an zuträglich: Der erste Aufschrei ließ zwei Minuten auf sich warten, als Baum ein erfolgreiches Dribbling hinlegte. Die Hamburgerinnen verdienten sich in Hälfte eins Szenenapplaus im Minutentakt.
Es war zunächst ein eher abwartendes, aber trotzdem zweikampfbetontes Spiel. Der SV Werder hatte die erste gute Chance, Maja Sternad schoss vorbei (6.), nach einem lauten „Steht auf für den HSV“ in der 12. Minute waren dann die Gastgeberinnen an der Reihe: Kapitänin Stöckmann erreichte eine Kopfball-Vorlage von Angreiferin Meyer nicht ganz (15.), kurz darauf schoss Vildan Kardesler nach gewonnenem Laufduell freistehend vorbei (16.). Und die amüsante „Wer nicht hüpft, der ist ein Bremer“-Aktion durch die ganze Arena um 15.52 Uhr schien den HSV noch zu beflügeln: Baum schoss aus 14 Metern drüber (25.). Hinten stand das Team von Marwin Bolz weitgehend sicher, einmal musste Stöckmann in großer Not klären (29.) und einmal fiel Bremens Sternad beim Schussversuch hin (37.).
Kein Klassenunterschied beim HSV-Derby gegen Werder
Kurz: Ein Klassenunterschied war schon im ersten Durchgang nicht zu erkennen. Die Zweitliga-Kickerinnen hatten gegen den Bundesligisten bisweilen sogar leichte Vorteile. Und apropos Vorteil: Einen großen sicherte sich der HSV nach der Pause und einem Fernschuss von Pauline Machtens (52.), weil Werder-Mittelfeldspielerin Saskia Matheis wegen eines Fouls an Baum die Gelb-Rote Karte sah (54.). Das feierten die HSV-Fans dann fast so enthusiastisch wie ein Tor. Und richtig laut wurde es wenig später noch einmal, als Stadionsprecher Christian Stübinger um 16.48 Uhr die Zuschauerzahl verkündete: 57.000. Rekord im deutschen Frauen-Fußball auf Vereinsebene – mit Abstand.

Ex-HSV-Torjägerin Larissa Mühlhaus, die im Sommer aus Hamburg zum Rivalen gewechselt war, agierte übrigens unauffällig und musste bei ihrer Auswechslung ein paar Pfiffe über sich ergehen lassen (72.). Höhepunkte gab es in der zweiten Hälfte aber generell weniger als in der ersten, die HSV-Frauen konnten ihre personelle Überzahl nur bedingt ausnutzen. Die Konzentration war auf beiden Seiten groß, beim HSV verteidigten vor allem die beiden Außenverteidigerinnen Stöckmann und Jobina Lahr sehr gut, entscheidende Fehler begingen beide Abwehrreihen lange nicht – bis zur 81. Minute. Da schätzte HSV-Keeperin Inga Schuldt einen Rückpass von Emilia Hirche falsch ein, sodass Werder-Stürmerin Sophie Weidauer ihr den Ball vom Fuß klaute und diesen ins leere Tor zum 0:1 schob.
HSV-Keeperin Schuldt patzt – aber Stöckmann gleicht aus
Im Gästeblock war dann Party gesagt. Die Heim-Fans versuchten es mit Aufmunterung und „HSV-Rufen“, Schuldt wurde von den Kolleginen getröstet und Coach Bolz wechselte noch mal offensiv. Gemessen daran, dass der HSV ab der 54. Minute mit einer Frau mehr spielte, sprang offensiv wohl zu wenig heraus – eigentlich. Denn das 1:1 von Stöckmann kam ja noch und ließ das Stadion explodieren (90.). Das Momentum war plötzlich wieder beim HSV und es passte irgendwie zu diesem Spiel, dass Schuldt ihren großen Fehler wiedergutmachen konnte: Die 27-Jährige verhinderte per Hechtsprung ein Eigentor von Hirche (90.+1) und schrie ihre Erleichterung heraus. Verlängerung.

Was man nicht vergessen darf: Es spricht für die Qualität und Reife eines Bundesliga-Teams, dass Bremen den Platzverweis gut wegsteckte und sich auch nach der 90. Minute nicht anmerken ließ. SVW-Kapitänin Lisa Hausicke traf sogar zur vermeintlichen erneuten Führung, stand bei ihrem Kopfball nach einem Freistoß aber im Abseits (96.). Der Rest der Verlängerung war zäh, die Kräfte schwanden. Die eingewechselte Carla Morich bekam das Leder bei ihrem Kopfball nicht in Richtung des Werder-Tores gedrückt (106.). Melina Krüger, eine andere HSV-Jokerin, schoss aus spitzem Winkel vorbei (112.). Hirche verteidigte als letzte HSV-Spielerin top gegen Tuana Mahmoud (113.) und Abwehrkollegin Jaqueline Drönges tat selbiges gegen Verena Wieder (116.). Doch der Kampf wurde nicht belohnt.
„Hier regiert der SVW“: Weidauer lässt die Bremer jubeln
Mahmoud steckte in einem Moment der HSV-Unaufmerksamkeit durch auf Weidauer, die im Eins-gegen-eins mit Schuldt ihren Doppelpack schnürte (117.). Dem hatten die Hamburgerinnen nichts mehr entgegenzusetzen. Wieder erzielte nach einem Lupfer an den Pfosten per Abstauber noch das 1:3 (120.+1). „Hier regiert der SVW“, war nur noch zu hören. Und: „Die Nummer 1 im Norden sind wir.“ Am Ende jubelte nur Werder, Stöckmann und Co. sackten mit Abpfiff um 18.03 Uhr zu Boden, sie wurden aber mit einem riesigen Applaus und Standing Ovations bedacht. Die Belohnung blieb aus, der Traum vom Finale ist geplatzt – aber: Der Auftritt war dennoch groß. Und das würdigten die HSV-Fans. Es flossen Tränen, aber der Stolz auf diesen historischen Tag im Volksparkstadion wird kommen.

„Mein Hamburg lieb‘ ich sehr“ ertönte noch ein zweites Mal, HSV-Nachwuchsdirektor Hrubesch gesellte sich in den Teamkreis und Trainer Bolz richtete Worte an seine Spielerinnen. Die anschließende Ehrenrunde durch die noch gut besetzte Arena hatten sie sich vollkommen verdient. „57.000 Fans – Danke Hamburg“, stand auf einem Banner, das erst Hirche, Morich und Stöckmann und dann alle beim Abschiedsmarsch über den Rasen in ihren Händen hielten.
Bremen-Trainer Horsch zollt Respekt: „Ein tolles Erlebnis“
„Ich bin zehn Jahre gealtert in dem Spiel heute“, atmete Werders Coach Thomas Horsch durch. „Wir haben uns von der Atmosphäre in der ersten Halbzeit doch beeindrucken lassen.“ Ein indirektes Lob für die Hamburger Anhänger. „Ich muss dem HSV ein Riesen-Lob zollen“, ergänzte Horsch sogar. „Das war ein richtig, richtig tolles Erlebnis.“
Bolz analysierte: „Es macht mich stolz, dass wir unsere Art und Weise, Fußball zu spielen, immer wieder gezeigt haben und teilweise dominant waren.“ Atmosphärisch sei „eine Symbiose entstanden zwischen dem Team und dem Stadion“, umschrieb der 27-jährige HSV-Coach. Die Sekunden nach dem emotionalen Ausgleich durch Stöckmann hätten auch ihn besonders beeindruckt – denn das sei ein Stückweit „Fußball-Romantik“ gewesen, sagte Bolz.
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„Heute hat jede alles auf dem Platz gelassen und von daher können wir stolz auf uns sein“, befand Stürmerin Meyer. „Wir saugen auf jeden Fall alle Emotionen und Impressionen von den Fans auf, nutzen das für die kommenden Bundesligaspiele.“ Ihre Schlussworte: „Für den Frauenfußball ist es einfach ein tolles Event und ein tolles Statement.“ Dieser einfache Satz beschreibt den geschichtsträchtigen HSV-Sonntag im Volksparkstadion wohl am allerbesten.
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