Hauch von Walter? Was der Taktik-Kniff von HSV-Trainer Polzin bedeutet
Obwohl der HSV im Sommer in Lucas Perrin und Silvan Hefti ein neues Abwehr-Duo geholt hatte, bestand die Viererkette gegen Darmstadt 98 aus: William Mikelbrencis, Dennis Hadzikadunic, Sebastian Schonlau und Miro Muheim. Vier Profis, die in dieser Besetzung schon unter Tim Walter mal zusammen in der Startelf gestanden hatten. Und als Merlin Polzin am Sonntag zur Pause umstellte, konnte man im ersten Moment wirklich denken: Ist das ein Hauch von Walter? Der Taktik-Kniff des jetzigen HSV-Trainers ist aber differenzierter einzuordnen.
Miro Muheim war gegen die „Lilien“ mal wieder der Hamburger mit den meisten Ballkontakten (80). Das ist nicht ungewöhnlich, denn der Schweizer führt die diesjährige Tabelle aller Zweitliga-Spieler in dieser Statistik an. Dass Muheim in der zweiten Halbzeit der Sonntags-Partie aber besonders zum Dreh- und Angelpunkt des HSV-Spiels wurde, lag daran, dass Polzin nach 45 Minuten, in denen der SVD das bessere Team war, Korrekturbedarf sah.
Mit Miro Muheim wollte der HSV „das Zentrum überladen“
Ja, es stand zur Pause 2:1 für den HSV. Aber auch nur dank einer starken offensiven Effizienz. Ansonsten stimmte zunächst zu wenig. „Wir sind in der ersten Halbzeit nicht so in unser Spiel mit dem Ball gekommen“, gab Sebastian Schonlau zu. Daniel Elfadli räumte ein: „Wir wollten schon dominanter sein, vor allem in der ersten Halbzeit haben wir oft zu viele Räume gelassen.“ Und auch Polzin, der im Laufe des ersten Abschnitts bereits das offensive Pressing des HSV „ein bisschen anpassen“ musste, erkannte die Probleme im eigenen Ballbesitz – und reagierte deshalb.
„Wir haben ein paar Anpassungen vorgenommen zur Pause“, berichtete der 34-Jährige hinterher. Konkret: „Wir haben versucht, das Zentrum mit dem Ball zu überladen.“ Wie der HSV dieses Vorhaben anging, erklärte Kapitän Schonlau: „Miro ist dann zum Teil auf die Sechs gegangen und dadurch hatten wir deutlich bessere Ballaktionen.“ Im Fokus stand also Muheim, der seine angestammte Linksverteidiger-Position nach der Pause immer wieder verließ – entweder, um mit der Pille am Fuß ins Zentrum zu dribbeln, oder, um sich im Ballbesitz des HSV zentral freizulaufen.
Positionswechsel wie bei Walter? Polzin erklärt Umstellung
Zumindest ein bisschen konnte man sich erinnert fühlen an den Spielstil von Ex-Coach Walter, der seine Verteidiger zu ständigen Positionsrochaden aufgefordert hatte, um das Pressing der Gegner zu knacken – begleitet von dem ständigen Risiko, die Bälle in der eigenen Hälfte zu verlieren und in gefährliche Situationen zu geraten. Tatsächlich beschränkte sich die dynamische Positionsgestaltung gegen Darmstadt allerdings auf Muheim und betraf nicht die gesamte Viererkette. Mehr als ein Hauch von Walter war also nicht zu erkennen. Aber: Die Maßnahme fruchtete.
„Wir haben versucht, unsere Stärken noch besser einzusetzen. Das ist gut gelungen“, urteilte Polzin nach Abpfiff. „Wir konnten dann in der Folge des Spiels immer wieder weiter für Torgefahr sorgen.“ Nach der Ansprache in der Pause habe es der HSV „sichtbar besser gemacht“, fand auch Elfadli. „Da haben wir uns auch gute Torchancen rausgespielt.“ So war es etwa Muheim, der den Latten-Kopfball von Elfadli in der 75. Minute vorbereitet hatte.
HSV-Trainer reagiert richtig – aber Matchplan nicht ideal
Der Taktik-Kniff mit dem Linksverteidiger ging also auf, er tat dem offensiven Spiel des HSV gut und zeigt: Polzin ist in der Lage, auch während einer Partie zu reagieren; er kann bei allen Emotionen, die als Chef an der Seitenlinie des Volksparkstadions durch seinen Körper strömen, fokussiert analysieren und richtig handeln. Zur Wahrheit gehört aber auch, denn sonst wären die Umstellungen gegen starke Darmstädter ja gar nicht erforderlich gewesen: Der Vorab-Matchplan war nicht ideal. Und das, obwohl man beim HSV um die Stärken der Gäste wusste: „Darmstadt ist eine gute Truppe. Die haben schon gute Ideen, überladen beispielsweise viel das Zentrum“, sagte etwa Schonlau. Auch Abräumer Elfadli hob hervor „Darmstadt ist eine spielstarke Mannschaft, sehr, sehr variabel in den Positionen.“
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Unter dem Strich steht außerdem, dass der HSV die zweite Hälfte bei aller Steigerung und bei allen Chancen auf den Siegtreffer doch mit 0:1 verloren hat: Nach einem Fehler von William Mikelbrencis erzielte Killian Corredor den einzigen Treffer nach der Pause (63.). Die taktischen Eingriffe sprechen also für Polzins Auffassungsgabe – und sie machen deutlich, wieso Stefan Kuntz in dem Bramfelder „ein großes Trainer-Talent“ sieht. In den beiden Partien vor der Winterpause aber müssen Aufstellung, Anpassungen und Tricks nicht nur zu weiterer Verbesserung führen – sondern auch zu bestenfalls sechs Punkten. Denn nur die würden Polzin in der offenen Trainerfrage richtig stärken.