HSV-Trainer Tim Walter: „Und dann flogen die Kisten durch die Kabine“
Als wäre diese Partie nicht schon prickelnd genug. Für HSV-Trainer Tim Walter hat das Derby bei Werder Bremen einen ganz speziellen Reiz, erstmals überhaupt tritt er in seiner Karriere im Weserstadion an.
Doch wenngleich der 45-Jährige den Nord-Kracher bislang nur aus dem Fernsehen kannte, weiß er, was am Samstag auf dem Spiel steht. Die MOPO traf ihn vorab zum Interview.
MOPO: Herr Walter, vor der Saison bekamen Sie und Ihre Profis Besuch von einigen HSV-Ultras. Die Anhänger sollen ziemlich deutlich darauf hingewiesen haben, dass in dieser Saison Erfolge gegen St. Pauli und Werder Bremen über allem stehen.
Tim Walter: Sagen wir mal so: Die Ansprache war recht HSV-lastig (lacht). Ich fand den Besuch damals gut. Die Stimmung und der Tenor waren positiv. Da merkst du, wie sehr Menschen den Verein leben und lieben. Und du kannst dir ausmalen, wie verärgert sie sind, wenn du so ein Derby verlierst.
Das erste große Derby gegen St. Pauli verloren Sie Mitte August mit 2:3. Werden Sie Ihre Profis nun nochmal an die Worte der Ultras erinnern?
Das muss ich nicht. Die Jungs wissen schon Bescheid.
Aber kaum einer Ihrer Profis hat dieses Derby gegen Werder schon mal gespielt. Ex-HSV-Kapitän David Jarolim, der mit Hamburg 18 Mal auf die Bremer traf, meint, es könnte schwierig sein, die besondere Emotionalität für diese Partie aus den Profis heraus zu kitzeln.
Eventuell würde es helfen, wenn einige dieses Derby schon öfter gespielt hätten, da hat David vielleicht recht. Aber manchmal ist es auch gar nicht so schlecht, solche Erfahrungen das erste Mal zu sammeln, unbefleckt ins Spiel zu gehen. Daran wächst du, es ist ein weiterer Entwicklungsschritt, dieses Kribbeln kennenzulernen.
Sind Sie denn schon in Derby-Stimmung?
Das beginnt so richtig, wenn du wenige Tage vorm Spiel den Jungs TV-Bilder des Gegners zeigst.
HSV-Trainer Walter im MOPO-Interview: „Die Jungs wissen fürs Derby Bescheid“
Und dann natürlich am Spieltag, wenn wir mit dem Bus zum Stadion fahren und sehen, was da los ist. Dann geht’s los, dann geht die Post ab. Dann weißt du: Es ist Derby.
Schauen wir ein wenig zurück. Was waren die ersten Derby-Erfahrungen Ihres Lebens?
Die sammelte ich in Spöck, einem Dorf in der Nähe von Karlsruhe. Da gab es zwei Vereine, den FC und den TV. Das war DAS Derby im Dorf! Da kamen bis zu 800 Zuschauer in der Bezirksliga.
Für wen schlug Ihr Herz?
Für den FC, ganz klar. Da wurde ich reingeboren. Mein Papa hat da gespielt, ich auch. Den TV mussten wir schlagen, das war klar.
Später ging mein Blick dann weiter Richtung Süden, zu den Münchner Derbys, Bayern gegen 1860. Da hatte ich dann eher die rote Brille auf (lacht). Die Derbys zwischen dem KSC und Stuttgart habe ich dann als Trainer von beiden Seiten erlebt.
Nach den Süd-Duellen steht nun das größte Duell des Nordens an.
Wir wissen: Es wird ein geiles Spiel. Und um zu dem Punkt Erfahrung zurückzukommen: Ich denke, dass das verlorene Derby bei St. Pauli uns diesmal sogar helfen kann.
HSV-Trainer Walter: Niederlage gegen St. Pauli könnte in Bremen sogar helfen
Weil die Jungs da gesehen haben, wie so ein Derby funktioniert und worauf es ankommen kann. Daran müssen sie wachsen, das können sie in Bremen zeigen.
Wie beurteilen Sie Ihren Gegner?
Werder kommt von oben, sie sind gerade abgestiegen und wollen gleich wieder hoch, haben den höchsten Marktwert. Wir hingegen sind seit drei Jahren in der Zweiten Liga. Manch einer würde sagen: Wir fahren als Außenseiter nach Bremen.
Allerdings haben die Bremer einen großen Umbruch hinter sich. 18 Spieler verließen den Verein.
Dennoch haben sie noch reichlich Erfahrung. Wenn ich an Spieler wie Toprak, Füllkrug oder Friedl denke, da kommt schon einiges zusammen. So viel Bundesliga-Erfahrung haben wir nicht im Kader. Deswegen ist Werder auf dem Papier für einige Favorit.
Macht das die Sache für Sie etwas angenehmer?
Vielleicht, kann sein. Unterm Strich ist unsere Ambition aber die gleiche wie immer: Wir wollen dieses Spiel gewinnen.
Wissen Sie schon, was Sie Ihren Spielern vor der Partie mit auf den Weg geben werden?
Nein.
Aber die Ansprache dürfte diesmal eine andere sein.
Ich weiß es noch nicht.
Es fällt uns schwer zu glauben, dass ein so emotionaler Trainer wie Sie vor einem Derby dieser Art keine besondere Ansprache wählt.
Aber auch ich muss ja aufpassen, dass ich nicht überdrehe. Das nutzt ja niemandem. Fakt ist, dass bei mir diesbezüglich alles aus dem Bauch heraus passiert. Ich plane da nichts. Ich muss in dem Moment spüren, was die Jungs brauchen.
Kollegen von Ihnen griffen in besonderen Momenten zu sehr krassen Mitteln. Ralf Rangnick zündete als Trainer von Hannover 96 mal einen Knallfrosch in der Kabine, Klaus Toppmöller brachte einen Adler mit in die Frankfurter Kabine. Haben Sie mal etwas Ähnliches veranstaltet?
Nicht so krass. Ich bin ja schon ein paar Jahre Trainer, es gab Momente, da war ich richtig sauer. Und dann flogen die Kisten durch die Kabine. Das kann natürlich immer mal wieder passieren, wenn die Gäule mit mir durchgehen (lacht).
Nehmen Sie uns mit in Ihren Derby-Tag. Wie steht es um Ihre Nachtruhe vor solchen Spielen?
Nicht anders als sonst. Ich schlafe immer gut, das wird diesmal auch so sein. Ich gehe zwischen halb elf und elf ins Bett und stehe gegen halb sieben auf.
Haben Sie am Spieltag Rituale?
Das habe ich mir abgewöhnt. Früher gab’s das sicher, da habe ich zum Spiel immer dieselben Boxershorts oder Socken getragen. Aber irgendwann kommt man dahinter, dass es eh nichts bringt.
Rituale hin oder her: Eine weitere Derby-Niederlage wäre für die Fans schwer zu verkraften.
Ich kann nur versprechen, dass wir alles investieren werden, um zu gewinnen. Das machen wir immer – und gegen Sandhausen haben wir uns für diesen Willen auch zum ersten Mal mit dem späten Tor belohnt.
Unterm Strich zählen sowohl Werder als auch der HSV zu den Aufstiegskandidaten. Gehen Sie da mit?
Aus meiner Sicht bewegen sich beide Klubs fußballerisch in der Liga auf einem Top-Level. Wer genau am Ende oben steht, kann immer noch niemand sagen.
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Die Tabelle ist so eng, von Platz zwei bis zehn sind es zwei Punkte Unterschied. Deswegen macht es uns auch nicht nervös, dass wir gerade Neunter sind. Das sagt noch gar nichts aus, da sind momentan andere Dinge noch wichtiger.
Nämlich?
Die Art und Weise, wie wir uns entwickeln. Wie die Jungs immer mehr den Mund aufmachen, aus sich rauskommen. Und glauben Sie mir: Das sehe ich. Jeden Tag, in jedem Training. Bei aller Kritik, die wir schon einstecken mussten: Da sollte man jetzt ruhig mal dem Spezialisten vertrauen.