Kampf um die Stimmung: Was Baumgart am HSV wundert – und stört
Steffen Baumgart war beim HSV erst eineinhalb Wochen im Amt, als ihm öffentlich der erste große Appell entfuhr: „Wir sollten mal aufhören, an unserem Standort immer von klein und groß zu reden.“ Vier Wochen, zwei Pleiten, zuletzt aber auch einen Sieg und ein Remis ist diese Warnung her. Und mit Coach Baumgart kämpft der gesamte Verein vor dem Saisonfinale schon wieder oder weiter um die Stimmung, die mit dem Verlust von Platz drei automatisch ins Wanken geriet. Abermals. Und zum Unverständnis der verantwortlichen Personen.
Sie reden die tabellarische Situation sieben Spieltage vorm Saisonende und die Ergebnisse an sich überhaupt nicht schön. Weil es angesichts eines Punkte-Durchschnitts von 1,45 Zählern aus den letzten 22 Liga-Partien nichts schönzureden gibt. „Es ist ein Rückschlag“, hielt Matheo Raab nach dem 1:1 in Fürth fest. „Wir sind nicht zufrieden mit dem einen Punkt“, sagte Baumgart am Sonntag. Und Jonas Boldt gab tags darauf offen zu: „Wir stehen nicht da, wo wir stehen wollen.“
Der Sportvorstand war es dann aber auch, der im Kampf um die öffentliche Stimmung den Anfang machte, indem er sagte: „Wenn man die Spiele in den letzten Wochen sieht, dann wehre ich mich dagegen, von einem schlechten Spiel zu reden.“ Fraglos hätte der HSV die sehr harmlose SpVgg Greuther Fürth, die von den letzten acht Partien nur eine gewann, schlagen müssen – in einer anderen Tabellenlage hätte man mit einem Remis bei einem Gegner, der vor zwei Monaten Zweiter war, aber wohl gut leben können.
Baumgart und Boldt stört die öffentliche Wahrnehmung
Ohne Zweifel hätte mehr als nur einer von 16 Torschüssen den Weg in den Kasten des Gegners finden müssen – vor zwei Wochen hatte aber noch die offensive, nach der Ära Tim Walter plötzliche Ungefährlichkeit generell die Alarmglocken schrillen lassen. „Ich sehe keine Offensivkrise“, betonte Boldt daher. Und auch Baumgart hat sich im Nachgang über manche Wahrnehmungen gewundert.
Dass dem HSV Unentschieden als gefühlte Pleite ausgelegt werden, ist kein neues Phänomen – vor allem nicht, wenn sie in so einer Saisonphase passieren und das Remis im jüngsten Fall mit dem erstmaligen Abrutschen auf Platz vier seit neun Wochen verbunden ist. Baumgarts interner Ansatz ist ein anderer. Weil er in Fürth erneut Fortschritte gesehen hat, was Tiefe im eigenen Spiel und Genauigkeit angeht. Und weil der Trainer erkannt hat, dass seine Maßnahmen langsam, aber sicher Wirkung zeigen.
Das Problem des Trainers und mitursächlich für den Kampf um die Stimmung ist allerdings der Faktor Zeit. Und der könnte am Saisonende gegen den HSV sprechen, weil die Entwicklung im von Baumgart erhofften Fußball zwar voranschreiten kann und wohl auch weiter wird, weil die spielerischen Fortschritte über einen längeren Zeitraum jedoch keine Garantie auf den Aufstieg geben.
HSV noch heißeres Pflaster als Köln?
Dass Stimmung und Kritik von Ergebnissen abhängig sind, weiß Baumgart aus sieben Jahren als Profi-Trainer. Selbst beim 1. FC Köln, einem Klub, bei dem Rückschläge öffentlich ähnlich hohe Welle schlagen, soll Baumgart eine solch grundsätzliche Negativität auch im Erfolgsfall aber nicht erfahren haben. Das Anspruchsdenken im Volkspark ist und bleibt eben ein hohes – weil nichts weniger als das erneut Aufstiegs-Scheitern droht. Boldt weiß das. Und auch Baumgart muss den Kampf um die Stimmung beim HSV meistern.