Kommentar: Baumgart als HSV-Trainer – es blieb ein großes Missverständnis
Neun Monate und vier Tage dauerte sie, die Beziehung zwischen Steffen Baumgart und seinem HSV. Von sehr vielen Fans war damals Ende Februar die Unterschrift der allgemeinen Wunschlösung auf dem Chefcoach-Posten herbeigesehnt worden, ähnlich groß ist die Gruppe, die nun aufatmet. Weil das, was eine Liebesbeziehung werden sollte, ein großes Missverständnis blieb.
Seit Kindheitstagen war oder ist Steffen Baumgart HSV-Fan. In der Zeit, als der Verein noch eine ganz große Nummer in Europa war, fieberte der gebürtige Rostocker schon mit den Hamburgern mit. Und schon in den Jahren vor seiner Unterschrift war es so, dass Baumgart und der HSV mehrfach umeinander herum tänzelten, aber nicht zueinander fanden. Im Sommer 2021 zum Beispiel war der 1. FC Köln ein bisschen schneller. Beim HSV wich man damals auf Tim Walter aus, der fast drei Jahre bleiben sollte, bis Baumgart tatsächlich kam.
Baumgart überrascht über Erwartungshaltung beim HSV
Er kam, schaute sich kurz um – und siegte direkt. Ein 1:0 gegen Elversberg reichte aus, um die Fans zu verzücken. So aber ging es nicht weiter. Es folgten zwei Niederlagen gegen Osnabrück und Düsseldorf und spätestens, als man Ende März auch in Fürth nicht gewinnen konnte, begann Baumgart zu fremdeln mit seinem Verein und der Erwartungshaltung in Hamburg.
In Köln sei ein Unentschieden ein Unentschieden gewesen, grummelte er. In Hamburg hingegen würden Unentschieden wie Niederlagen gewertet. Dass ihm, dem Kult-Trainer, keine bedingungslose Liebe entgegengebracht wurde, schien Baumgart zu verletzen.
Außendarstellung von Baumgart wirkte unglücklich
Viele nüchterne Fragen empfand der 52-Jährige, den Außenstehende in Köln noch als Medien-Profi wahrgenommen hatten, als Kritik an der eigenen Arbeit, manchmal sogar als ehrabschneidend. Die Coolness, die er andernorts auszustrahlen schien, beschränkte sich während seiner HSV-Zeit darauf, dass er auch bei Eiseskälte im T-Shirt an der Seitenlinie stand und brüllte.
Die missglückte Kommunikationsstrategie des HSV-Trainers gipfelte am Samstagabend in einem unterhaltsamen TV-Streitgespräch mit dem früheren HSV-Stürmer Simon Terodde. Der unterstellte Baumgart, dass er taktisch nicht die richtige Strategie gewählt habe. Beim 2:2 gegen Schalke hätte man eher auf lange Bälle auf Stürmer Davie Selke setzen sollen. Es gibt Trainer, die die Vorschläge des Sky-Experten elegant gekontert hätten. Man hätte aus der vermeintlichen Überlegenheit in taktischen Dingen Kapital schlagen und Argumente entkräften können.
Baumgart wollte den Negativlauf mit Pech erklären
Baumgart aber tat sich erkennbar schwer damit, die eigene Spielweise argumentativ zu verteidigen. „Man muss auch mal ganz ehrlich sagen, dass wir im Moment einfach irgendwie Scheiße am Hacken haben“, versuchte der Trainer den Negativlauf (fünf sieglose Pflichtspiele in Folge) mit Pech zu erklären. Baumgart hatte gar einen über weite Strecken „sehr guten“ Auftritt gesehen, sprach von einem „Teilerfolg“ und raunzte dem Moderatoren-Duo von Sky zum Ende des Gesprächs entgegen, dass er am liebsten solche Interviews gar nicht führen würde, sondern ihnen einfach zurufen möchte: „Ihr könnt mich mal.“
Das Interview war ebenso wie der anschließende Vortrag auf der Pressekonferenz ein Zeichen, dass Baumgart jegliche Souveränität in seinen neun Monaten beim HSV eingebüßt hatte. Der Coach struggelte damit, dass er mit seinen Spielideen nicht in die Mannschaft vordrang. Er schaffte es zwar zeitweise in Ansätzen, die Defensive zu stabilisieren, sah insbesondere bei Rückschlägen die Schuld aber bei den Spielern, die es seiner Meinung nach auch nach der Sommerpause nicht schafften, den „Walter-Ball“ seines Vorgängers aus den Köpfen zu bekommen.
Kuntz musste das Missverständnis beenden
Tim Walter hatte es zuvor geschafft, eine Wagenburg-Mentalität beim HSV zu errichten. Viele Vorwürfe, die auf seine riskante Spielweise abzielten, prallten an ihm ab. Mit breitem Kreuz stellte er sich vor die Mannschaft, aus der kaum ein kritisches Wort über den Coach zu vernehmen war. Baumgart schien daran zu verzweifeln, dass ihm diese Liebe von seinen Spielern kaum entgegengebracht wurde. Davie Selke, der schon in Köln unter seinem „Baumi“ gespielt hatte, bildete eine rare Ausnahme. Ansonsten waren meist neutrale Statements zu vernehmen.
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Und so blieb die Beziehung zwischen Baumgart und dem HSV vor allem eines: ein großes Missverständnis. Eines, das Sportvorstand Stefan Kuntz beenden musste. Viele hatten schon bei dessen Amtsantritt erwartet, dass er einen neuen Trainer mitbringen werde. Kuntz aber wollte Baumgart eine Chance geben. Das war ehrenhaft, am Ende aber auch ein Fehler, den es zu korrigieren galt, um den vermeintlich besten Kader der 2. Bundesliga vielleicht doch noch zum Aufstieg zu führen.