Steffen Baumgart ballt vor der HSV-Bank die Faust
  • Sieger an alter Wirkungsstätte: HSV-Trainer Steffen Baumgart konnte am Freitag die Faust ballen.
  • Foto: imago images/Team 2

Kritik trotz Sieg, Taktik-Kniff, neue Rollen: Ist das der HSV der Zukunft?

In den Sekunden des Genießens über den ergebnismäßig perfekten Start in die neue Zweitliga-Saison dachte Jonas Meffert an die Vergangenheit. „Zur Wahrheit gehört, dass wir in den letzten Jahren auch die Auftakt-Spiele gewonnen haben“, erinnerte der Abräumer. „Wir waren immer sehr weit oben, aber nicht da, wo wir hin wollten.“ Der alte HSV kam nie über Platz drei hinaus, wurde viermal Vierter. Gibt es jetzt einen neuen HSV? Es gab Selbstkritik trotz des 2:1-Siegs, einen überraschenden Taktik-Kniff und neue Rollen. Zukunftsmodelle?

Steffen Baumgart, der sich mit Silvan Hefti auf einen neuen Rechtsverteidiger freuen darf, stützte nach 90 intensiven Minuten auf und neben dem Platz die Arme in die Knie. Durchpusten. Geschafft. Die ersten drei Punkte im Sack. Noch dazu in Köln, an alter Wirkungsstätte. Und mit einer gehörigen Portion Glück. „Wir haben erst nach 15 Minuten mit dem Fußball angefangen“, monierte der HSV-Trainer einerseits. Und andererseits: „Wir haben in der zweiten Halbzeit wieder aufgehört, Fußball zu spielen. Das ärgert mich.“ Aber, und das kam überraschend: Die Spielweise des HSV war teils durchaus geplant. Baumgart griff in die Trick-Kiste.

„Andere Facette“: HSV stand in Köln überraschend sehr tief

„Wir haben gezeigt, dass wir dieses Jahr eine andere Facette reinbringen wollen“, berichtete Sebastian Schonlau und meinte: einen unerwartet tief stehenden HSV. „Um die Stärken von Köln im Gegenpressing herauszunehmen, haben wir ihnen einfach mal den Ball gegeben“, erklärte der Kapitän. Die Folge dieses Ansatzes, mit der man auch beim „Effzeh“ gar nicht gerechnet hatte: Der HSV stand defensiv sehr kompakt, lief nicht in gefährliche Konter, wie sie Kölns Cheftrainer Gerhard Struber gefallen. Nur bei etlichen Kölner Flanken wurde es ein ums andere mal brenzlig.

„Aber das war okay für uns“, befand Schonlau, „dass Köln viel auf den Außen den Ball hatte, dass die eine oder andere Flanke kam.“ Denn bis auf die Hereingabe, die Linton Maina zum 1:2-Anschlusstreffer verwertete (78.), konnte der defensivstarke HSV alles bereinigen. „Wir wussten, wie wir defensiv arbeiten wollen“, sagte Schonlau. „Von ganz vorne bis ganz hinten. Dann kannst du auch so eine zweite Halbzeit bestehen.“ Aber auch mit Fortune.

Schonlau und Meffert kritisieren HSV-Spiel nach der Pause

Baumgarts überraschende Taktik (O-Ton des Trainers: „Das Spiel ist ein bisschen anders geworden als jeder erwartet hat.“) ging am Ende auf, das Ergebnis stimmte und stellte zufrieden. Nicht aber die Art und Weise, wie der HSV besonders nach der Pause mit dem Ball agierte. „Wir haben die Bälle relativ leicht hergeben“, bemängelte Schonlau. „So haben wir es verpasst, Verschnaufpausen zu kriegen.“ Meffert stimmte dem zu: „In der zweiten Halbzeit hätten wir ein bisschen mutiger spielen können, spielen sollen. Es gibt viel Verbesserungspotenzial.“

Diese Selbsterkenntnis, die alle HSV-Profis, die vor die Mikrofone schritten, äußerten, macht Hoffnung, dass sich das Spiel der Hamburger wirklich noch weiterentwickeln wird. Und einige Maßnahmen fruchteten bereits: Bakery Jatta spulte als rechter Schienenspieler ein hohes Pensum ab; der Gambier ließ aus der Dreierkette, mit der der HSV im Spielaufbau agierte, gegen den Ball eine Fünferkette werden – gemeinsam mit Meffert, der sich in der Defensive zwischen die Innenverteidiger Schonlau und Dennis Hadzikadunic fallen ließ. Diese Variante hatte sich angedeutet.

Neue Meffert-Position: „Matchplan komplett aufgegangen“

„Es war definitiv was anderes, vielleicht nicht meine absolute Lieblingsposition“, räumte Meffert ein, lobte aber auch seinen in Köln überzeugenden Sechser-Kollegen Daniel Elfadli: „Fadli hat es mir sehr leicht gemacht, teilweise auch die Rolle übernommen. Ich finde, wir haben uns sehr gut ergänzt heute.“

Das Fazit des gebürtigen Kölners fiel bei allem Bewusstsein über noch vorhandene Schwächen positiv aus: „Der Matchplan vom Trainerteam ist zu 100 Prozent aufgegangen.“ Bleibt noch die Frage: Wird dieser neue HSV in Zukunft noch öfter taktisch überraschen?

Sebastian Schonlau (r.) sah Verbesserungspotenzial – freute sich aber vor allem über einen aufgegangenen Matchplan des HSV in Köln. WITTERS
Sebastian Schonlau feiert mit den HSV-Fans in Köln.
Sebastian Schonlau (r.) sah Verbesserungspotenzial – freute sich aber vor allem über einen aufgegangenen Matchplan des HSV in Köln.

„Wir wollen schon variabel sein“, verriet Schonlau, sagte am Freitagabend aber auch: „Wir haben das jetzt heute so gemacht. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass wir über die Saison gesehen sicherlich einen dominierenden Spielstil pflegen, viel den Ball haben wollen.“ Zumal sich andere Gegner als der FC ihrerseits tief hinten reinstellen dürften gegen den HSV. Dann braucht es andere Lösungen als die in Köln gezeigten. Und bessere als in der Vorsaison.

HSV hatte auch Glück: Wie variabel bleibt die Idee künftig?

Baumgart ist sich dessen bewusst – und spielte die Wichtigkeit des erstellten Matchplans herunter, nachdem sich seine Anspannung etwas gelöst hatte. „Wir hatten auch die Aktionen, die du brauchst, um in so einem Spiel erfolgreich zu sein“, gestand er. „Sonst wäre der Plan vielleicht nicht aufgegangen.“ Unter dem Strich tat er es aber.

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„Das war komplett gewollt“, unterstrich Baumgart noch mal. „Im 5-4-1 zu verteidigen und den Gegner auflaufen zu lassen, ihnen nicht in die Karten zu spielen.“ Besagter Plan mit einer am Freitagabend ungewöhnlich defensiven Spielweise spricht für einen teils neuen, weil variableren HSV. Aber nicht nur Meffert weiß zu gut, dass die positiven Eindrücke aus dem Auftaktspiel bestätigt werden müssen – um dahin zu kommen, wo der HSV endlich hin will.

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