„Mitten in die Fresse“: Heidenheim versetzt den HSV in die Schockstarre
Seit fast 136 Jahren gibt es den HSV schon, er hat in dieser Zeit fast alles gewonnen und auch sehr vieles verloren. Doch was der Verein und seine Anhänger an diesem Sonntag in Sandhausen durchlebten, war neu und an emotionaler Grausamkeit kaum zu überbieten. Sie feierten nach dem 1:0-Erfolg schon den Aufstieg, wurden bereits vom Stadionsprecher beglückwünscht – und erlebten dann an den Smartphones, wie ihr Traum (vorerst) doch noch zerplatzte. Heidenheim steigt auf. Der HSV aber muss am Donnerstag (auswärts) und vier Tage später in die Relegation gegen den VfB Stuttgart.
Die Schar der HSV-Fans, die sich wie eine riesengroße Schlange in blauen, weißen und roten Trikots in Richtung des zwei Kilometer entfernten Bahnhofs machte, konnte es genau so wenig fassen, wie die Profis, die sich kurz zuvor in den Mannschaftsbus begeben hatten. Fassungslosigkeit allerorten. Nach einem Tag, an dem der HSV schon aufgestiegen war. Ausgelassen feierte. Bis tief in die Nachspielzeit. Bis Heidenheim in Regensburg noch zwei Mal traf und 3:2 gewann. 90.+3 und 90.+9. Die Zahlen des Grauens, die einen Fan auf dem Weg zum Bahnhof zu einem Urteil veranlasste, das treffender nicht sein konnte: „Es gibt Regen und es gibt Sonnenschein. Das hier war Blitzgewitter, mitten in die Fresse.”
Ein unfassbarer Tag, in all seinen Facetten. Spätestens mit dem Abpfiff in Sandhausen brachen alle Dämme und vernebelten ganz offensichtlich auch den Sinn für die Realität. Bereits weit vor dem Abpfiff hatte Sandhausens Stadionsprecher angekündigt, dass der Verein die Stadiontore für alle HSV-Fans öffnen werde, „um gebührend feiern zu können”. Da führte Regensburg gegen HSV-Konkurrent Heidenheim noch mit 2:1. Schon ein Remis des FCH hätte dem HSV zum Aufstieg gereicht.
HSV-Traum platzt in der Nachspielzeit
Schwer zu erklären, was dann passierte. Elf Minuten Nachspielzeit wurden in Regensburg angekündigt. Tim Walter aber stürmte bei Abpfiff des HSV-Spiels in Heidenheim trotzdem entfesselt auf den Rasen, warf eine Wasserflasche in die Luft und feierte für alle Fans ersichtlich den Aufstieg. Anders konnten sie diese Geste nicht deuten. Tausende der etwa 10.000 angereisten HSV-Fans fluteten den Platz. Wieso, warum und weshalb Walter so feierte, ist schwer zu erklären, er muss eigentlich gewusst haben, dass noch recht lange in Regensburg zu spielen sein würde. Erst nachdem Pressechef Philipp Langer ihn darauf aufmerksam machte, dass dort noch lange nicht Schluss sei, bremste sich Walter.
Besonders grotesk: Auch Sandhausens Stadionsprecher gratulierte dem HSV bereits, obwohl das Spiel in Regensburg noch lief. „Herzlichen Glückwunsch zum Aufstieg”, schrie er über die Stadion-Mikrofone. Da stand es in Regensburg 2:2.
HSV-Boss Boldt am Stadion-Mikro
Ein Tor später machte sich überall Schockstarre breit. Wie war das möglich? Wie konnte dem HSV der schon sicher geglaubte Aufstieg doch noch aus den Händen gleiten? HSV-Sportvorstand Jonas Boldt wusste um die emotionale Situation und schaltete sich per Stadion-Mikro ein. „Das ist bitter gelaufen heute”, ließ Boldt mit einem tiefen Seufzer wissen. „Leider gehört das zum Sport dazu.” Dann folgte sofort der Aufruf für die Relegation gegen den VfB: „Bündelt alle Kräfte. Das Ding ist noch nicht zu Ende. Wenn wir das alles noch mal in die Waagschale legen nächste Woche, dann ziehen wir das halt mit einer Extra-Runde durch.”
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Worte, die kaum richtig verarbeitet werden konnten an einem Tag, an dem der HSV eigentlich schon aufgestiegen war und seinen fünf Jahre währenden Zweitliga-Albtraum als beendet abgehakt hatte. Seine Hausaufgaben erfüllte Walters Team auch bei Absteiger Sandhausen. Bereits nach drei Minuten traf Jean-Luc Dompé nach Ransford Königsdörffers Flanke traumhaft volley zum 1:0. Es sollte bereits das spielentscheidende Tor des Tages sein.
Der Rest war hoffen, frohlocken und erstmal feiern. Beide Regensburger Treffer zur 2:0-Führung gegen Heidenheim verursachten einen Jubel-Orkan bei den entfesselten HSV-Fans, die den Ritt in Sandhausen zum Heimspiel machten. Am Ende freuten sie sich alle zu früh. Nicht wenige HSV-Fans und -Mitarbeiter hatten Tränen der tiefen Enttäuschung in den Augen. „Jeder Hamburger ist niedergeschlagen”, wusste Boldt. „Was willst du sagen? Es ist total verständlich, dass der Kopf jetzt unten ist.”
HSV muss in der Relegation gegen Stuttgart ran
Im Gegensatz zu Trainer Walter wusste Boldt jederzeit Bescheid, dass der Aufstieg noch nicht klar war. „Nach Abpfiff habe ich die Info bekommen, dass es in Regensburg elf Minuten Nachspielzeit gibt”, so der Vorstand. „Dann habe ich mir einen Weg durch das Stadion gesucht und wurde freundlicherweise von der Loge aufgenommen, wo der Fernseher lief. Da fiel gerade das 2:2. Dann guckst du auf die Uhr, willst überbrücken, aber das waren sehr lange Minuten und am Ende, wie es dann halt so ist, wird alles nach vorne geworfen.”
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Auch Walter hatte Mühe, das Geschehene zu verarbeiten. „Natürlich ärgern wir uns und sind sehr enttäuscht”, so der geschockte Trainer. „Aber wir haben in Hamburg schon so viel erlebt. Mit allen Wetterlagen kommen wir zurecht, weil meine Mannschaft total charakterstark ist. Wir werden die Chance, die wir jetzt noch haben, nutzen.”
Bis dahin aber ist erstmal Aufbauarbeit angesagt. Ja, der HSV kann immer noch aufsteigen. Der Tag in Sandhausen aber fühlte sich eher wie ein Abstieg an, den es nun bis Donnerstag zu verdauen gilt.