„Ohne mich überragend“: HSV bringt sich in Gefahr – und feiert mit Bier in Kabine
Das war ein Statement. Und es war eine Spitzenmannschaft, die da zu zehnt einen verdienten 3:1-Heimsieg feierte. Die Zuschauer im Volkspark standen, denn sie wussten, dass der HSV einen verrückten Spielverlauf positiv überstanden hatte – gegen den 1. FC Magdeburg, vorm Anpfiff Tabellenzweiter. Jetzt hat der HSV den FCM überholt und darf sich zu Recht feiern. Die Freude war so groß, dass Steffen Baumgart nach Schlusspfiff aufs Feld rannte und den Profis in die Arme fiel. Dann entschuldigte sich Sebastian Schonlau bei den Kollegen.
Der Kapitän hätte die tragische Figur des Sonntagnachmittags werden können. Das wusste er – und deshalb stand Schonlau bei der Feierei vor der Nordtribüne auch nur in der zweiten Reihe, neben den Staff-Mitgliedern und nicht bei seinen Mitspielern. „Ich glaube, mich heute in die erste Reihe zu stellen, wäre der falsche Ansatz gewesen“, sagte der Abwehrchef, der mit Rot vom Platz geschickt wurde, hinterher in der Mixed Zone. „Die Jungs haben das ohne mich überragend gemacht und da bin ich ihnen sehr dankbar für.“ Das sagte er auch so im Mannschaftskreis.
HSV-Kapitän Schonlau entschuldigt sich nach Roter Karte
Denn plötzlich hatte sich der HSV in einer Situation befunden, die sich nicht angedeutet hatte und die aufgrund ihres Zustandekommens nach einer rundum starken ersten Hälfte unnötig war. Ransford Königsdörffer hatte per Kopf nach Flanke von Miro Muheim getroffen (5.), Noah Katterbach nach einem wahnsinnigen Solo sein erstes Tor in Deutschland erzielt (42.) und Davie Selke nach einer Ecke per Volley eingenetzt (45.). Der HSV spielte reif und seriös, agierte ballsicher und kombinationsfreudig. Der FCM hingegen präsentierte sich anfällig, nicht wie ein Zweiter.
Bezeichnend: Die Magdeburger wechselten schon zur Pause dreifach. Weil der HSV alles im Griff hatte. Eigentlich. Dann versprang Schonlau der Ball plötzlich an der Mittellinie, ein technischer Fehler ohne Not. Der HSV-Kapitän, offenbar selbst überrascht von der Szene, die man von ihm nicht kennt, warf sich in FCM-Stürmer Martijn Kaars, der frei auf Keeper Daniel Heuer Fernandes, der ins HSV-Tor zurückkehrte, zugelaufen wäre.
Schiedsrichter Sven Jablonski zückte erst Gelb, entschied sich nach Ansicht der Videobilder aber zu Recht doch auf Rot. Schonlau diskutierte erst, marschierte dann mit gesenktem Kopf davon. Und auf einmal war der HSV zu zehnt.
Als Muheim dann noch viel zu spät gegen Livan Burcu kam und Martijn Kaars den fälligen Elfer zum 3:1 versenkte (63.), wandelte sich die Begeisterung auf den Heimtribünen zu noch mehr Unsicherheit. Denn das hatte sich nicht angedeutet. Der HSV, der die Gäste überraschend deutlich dominiert hatte – Marco Richter hatte unter anderem auch den Pfosten getroffen (32.) – und der die Partie clever zu Ende spielen wollte, musste sich zurückziehen, stand tief, während Magdeburg den Druck erhöhte. Da tat es besonders gut, als sich das Stadion in der 74. Minute erhob und zu „Super Hamburg olé“ sang. Heuer Fernandes parierte danach glänzend gegen Philipp Hercher (83.).
HSV agierte gegen Magdeburg in Unterzahl diszipliniert
Aus HSV-Sicht zum Glück: Ernsthaft in Gefahr geriet der Heimsieg nicht mehr, weil die Abwehrlinie stand und sich zehn Hamburger in die Zweikämpfe warfen. Nach der berauschenden ersten Hälfte war Disziplin gefordert – und die zeigte der HSV. Deshalb offenbarten nicht nur die ersten, sondern vor allem die zweiten 45 Minuten, dass da derzeit ein Zweitliga-Spitzenteam mit roten Hosen auf dem Rasen steht. Eine sehr gefestigte Mannschaft, die auch nach unerwarteten Rückschlägen nicht den Kopf verliert und die (schwierigen) Situationen so annimmt, wie sie kommen.
„Die Rote Karte kommt aus dem Nichts“, wusste Schonlau. „Damit bringe ich das ganze Spiel ins Wanken. Das muss man sagen.“ Im Nachhinein, gestand der Spielführer, hätte er Kaars lieber laufen lassen sollen. Dann hätte der HSV zwar vielleicht das 1:3 kassiert, wäre aber nicht in Unterzahl geraten. „Das war in der Sekunde einfach reflexmäßig, dass du es nicht mehr gutmachen kannst“, beschrieb Schonlau. „Aber es damit noch schlimmer zu machen, war sicherlich die schlechtere Alternative.“ Auf Wunsch von Baumgart hielt der 30-Jährige nach dem Abpfiff eine kleine Ansprache im Kreis: „Steffen hielt es für eine gute Idee, ich habe meine drei Worte gesagt.“
„Das zeigt unseren Weg“: HSV setzt das nächste Statement
Den selbstkritischen Worten des Kapitäns auf dem Rasen und in den Katakomben folgten dann aber auch lobende. Denn Schonlau durchlebte nach Abpfiff zwar ein Wechselbad der Gefühle, war bei allem persönlichen Frust aber stolz auf seine Mitspieler. Der Matchplan, gegen die hoch pressenden Magdeburger situativ auf lange Bälle von Heuer Fernandes auf Selke zu setzen, ging vor der Pause auf. Und anschließend, schwärmte Schonlau, „haben die Jungs das wahnsinnig gut gemacht – und darüber freue ich mich“. Die drei Punkte sind im Sack. Die Richtung passt.
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„Ich glaube, es zeigt einfach den Weg, den wir gehen wollen. Der ist sehr gut“, hielt Schonlau fest, ehe er sich in die Kabine verabschiedete. Von dort war wenige Minuten nach dem Spielende bereits ein großer Jubelschrei zu hören. Dann rollte ein kleiner Wagen mit einer Bierkiste in die Umkleide. Und Otto Stange, der 17-jährige Youngster, der auf der Tribüne mitgefiebert hatte, brachte auf einem Tablett noch einige frisch gezapfte Gerstensäfte nach. Es war der verdiente Lohn für die HSV-Profis, denen nach dem 3:0 in Düsseldorf das nächste große Statement geglückt ist.
„Wir nehmen den Sieg sehr gerne mit. Das war ein Gesicht in der ersten Halbzeit und eine Einstellung in der zweiten – so stelle ich mir das vor“, war Baumgart zufrieden. „Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg.“ Auch deshalb war der Trainer seinen Spielern unmittelbar nach dem Schlusspfiff in die Arme gefallen. „Ich hatte das Gefühl, dass eine komplette Truppe auf dem Platz stand, die sich gegenseitig unterstützt hat“, lobte ein glücklicher Baumgart. „Das war eine komplette Mannschaftsleistung. Dem war mein Jubel geschuldet.“ Die Freude war schlicht grenzenlos.