Ohne Walter-Spektakel: Kann der HSV jetzt nicht mal mehr Offensive?
Er war fehleranfällig, riskant und die Basis für eine nicht enden wollende Instabilität in der HSV-Abwehr, die Tim Walter am Ende seiner zweieinhalbjährigen Amtszeit auf die Füße fallen sollte. Wenn der sonderbare, vom Ex-Trainer geliebte Fußball auf der anderen, positiven Seite aber auch eines war, dann offensiv begeisternd – sehr zur Freude der eigenen Fans. Nun wäre es ganz und gar vermessen, die Spielphilosophie Walters im Nachhinein schönzureden, dafür waren die Mängel trotz eindringlicher Warnungen bis zuletzt zu eklatant. Es scheint aber auch kein Zufall zu sein, dass sich der HSV auch im dritten Spiel unter Steffen Baumgart nahe des gegnerischen Kastens erschreckend schwach präsentierte, beim 0:2 in Düsseldorf keinen einzigen (!) Torschuss zustande brachte und somit erstmals seit 30 Spielen (!) ohne eigenen Treffer blieb. Weshalb sich die Frage aufdrängt: Kann der HSV nun nicht mal mehr Offensive? Und warum?
Wie schon in der Vorwoche, nach dem 1:2 gegen den VfL Osnabrück, als der da schon harmlose HSV einzig durch ein Elfmeter-Tor von Robert Glatzel zum Erfolg gekommen war, taten sich Hamburgs Profis auch in der Mixed Zone der Merkur Spiel-Arena schwer mit dem Finden einer Antwort auf diese Frage. Die alarmierenden Symptome der offensiven Ungefährlichkeit wiederholten sich – und die Erklärungsansätze nach Abpfiff dann auch.
HSV fand gegen tief stehende Düsseldorfer keine Lücken
„Es ist schon das Schwerste, was du haben kannst, wenn ein Gegner so tief steht und mit allen Mann um die Box herum“, befand Sebastian Schonlau und hatte damit sicher Recht: Düsseldorf mauerte und setzte spätestens nach dem frühen 1:0 durch Felix Klaus, das den Gastgebern natürlich in die Karten spielte, aufs schnelle Umschaltspiel. Die Ausrichtung des Gegners hatte Baumgart vor der Partie aber genau so prognostiziert. Und der HSV, der in der ersten Hälfte fast 70 Prozent Ballbesitz hatte und reihenweise verzweifelt versuchte, vor dem Strafraum der Fortuna Lücken zu finden, hatte sich zudem selbst zuzuschreiben, dass er nach Ballverlusten mehrfach in Konter lief.
„Wir haben immer wieder versucht zu verlagern, waren dann aber vorne zu unpräzise. Wir hätten vielleicht zwei Kontakte haben müssen, anstatt direkt abzuspielen – oder zu viele Kontakte teilweise zu haben“, bemängelte Schonlau. „Dann haben wir es deshalb nicht geschafft, Chancen zu erspielen.“ Der Versuch von Robert Glatzel nach 30 Minuten war die einzige nennenswerte für den HSV nicht nur in der ersten Halbzeit – sondern im ganzen Spiel.
Baumgart stellt sich dem Problem: „Der Trainer ist gefragt“
Baumgart hatte vom Seitenrand aus sogar „nicht eine gefährliche Aktion“ seines HSV gesehen: „Und das mit einer Mannschaft mit dieser Offensiv-Qualität.“ Bei der Frage, warum ebendiese im dritten Spiel unter ihm allerdings fast überhaupt nicht mehr zu erkennen war, nahm sich der 52-Jährige in die Pflicht: „Jetzt ist der Trainer gefragt und der muss sich der Situation auch stellen.“ Weil die Art und Weise, wie der HSV bisher unter ihm spiele, weiterhin noch „nichts“ mit seiner „Idee von Fußball“ zu tun habe. Und das offensiv sowohl gegen als auch mit dem Ball.
„Es fängt beim Anlaufverhalten an. Wir wollten energisch anlaufen, weil Düsseldorf von hinten herausspielt. Davon habe ich nicht so viel gesehen“, vermisste Baumgart am Freitag das aggressive Pressing – also etwas, das er schon am Tag seiner Unterschrift als ein Kernmerkmal seiner Spielidee benannt hatte. Wie schon gegen Osnabrück lief der HSV in der Offensive teils mit einer Doppelspitze an, das Vorschieben von Immanuel Pherai in die vordere Reihe neben Mittelstürmer Robert Glatzel führte aber nicht zum erhofften Ertrag. Erneut, da Entschlossenheit beim vielmehr halbherzigen Pressing fehlte – während dem HSV im eigenen Ballbesitz jegliche Zielstrebigkeit abging.
HSV kann sich nicht mehr auf Offensiv-Stärke verlassen
Hatte es unter Walter nie einen Zweifel daran gegeben, dass der HSV immerzu in der Lage ist, offensiv noch etwas zu bewirken, sodass die eigene defensive Anfälligkeit im Endergebnis mitunter folgenlos blieb, war unter Baumgart bisher nicht einmal mehr auf die Fähigkeiten im eigenen Kombinationsspiel Verlass. „Vielleicht sollten wir einfach mal umsetzen, was vorher klar besprochen wurde“, macht der Coach deutlich, dass es natürlich sehr wohl einen Plan für die Offensive gegeben habe. Aber: „Wir haben diese Momente, auch mal tief zu gehen, regelmäßig verpasst. Wir wären in der Lage gewesen, in jeder Halbzeit drei, vier Situationen besser auszuspielen.“
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Was aber nicht gelang, weil laut László Bénes entweder „der letzte Pass wieder ungenau“ war oder weil ein „schlechter erster Kontakt“ vorgelegen habe. „Es war heute definitiv zu wenig. Wir waren nicht zielstrebig genug“, setzte Keeper Matheo Raab die Problemliste fort. „Unser Ballbesitz hat keinen Gewinn gebracht. Dann gewinnt man auswärts nicht.“ Und Bénes ergänzte noch: „Ich weiß nicht, wie oft wir im Sechzehner waren, vielleicht noch nie so oft wie heute. Aber da muss etwas rauskommen.“ Nur wie genau?
HSV-Trainer Baumgart deutete personelle Änderungen an
Im Detail monierte Baumgart, dass seine Profis, wenn sie über die Flügel mal durchkamen, noch einmal in die Mitte abkappten („Und dann kommt nochmal eine Idee, kommt nochmal ein Haken“), anstatt wie von ihm präferiert die Flanke als bewusstes Mittel einzusetzen. „Und da bin ich im Moment dabei und versuche, das auch für mich zu analysieren: Warum werden die Lösungen, die da sind, nicht umgesetzt?“ Genau dort will Baumgart ansetzen.
Für die genannte Umsetzung dessen, was er klar vorgebe, womit seine Spieler aber noch zu fremdeln scheinen, sei er verantwortlich. Der von der Harmlosigkeit des HSV überraschte Cheftrainer nimmt sich selbst in die Verantwortung – und deutete, weil er mit einigen Leistungen offenbar explizit nicht zufrieden war, auch personelle Veränderungen an: „Dann müssen die Jungs rauf, die das machen, was ich mir vorstelle, um es deutlich zu sagen.“ Damit der HSV schnellstmöglich auch wieder Offensive kann.