„Viele bittere Pillen“: Ex-Profi spricht über harte Erlebnisse in seiner HSV-Zeit
Für Bastian Reinhardt endet das Jahr 2023 positiv. Der Interimstrainer des VfB Lübeck hat mit dem Aufsteiger durch ein 2:1 (2:0) beim SV Sandhausen für ein Ausrufezeichen im Abstiegskampf der 3. Fußball-Liga gesorgt. „Das war für die Moral wichtig“, sagte Reinhardt der Deutschen Presse-Agentur.
Dass der frühere Sportvorstand des HSV wieder eine verantwortliche Rolle im deutschen Profifußball spielt, war weder zu Saisonbeginn geplant noch in den vergangenen Jahren abzusehen. „Es war nie mein Ziel, bis ins Renteneintrittsalter immer etwas im Fokus der Öffentlichkeit zu machen“, sagte der 48-Jährige. „Ich wollte eigentlich nur ein geregeltes, relativ normales Leben führen. Familie aufbauen, Kinder kriegen, das war die Idee.“
Reinhardt plante eine Karriere nach dem Fußball ohne Öffentlichkeit
Doch die Realität sah und sieht nun wieder anders aus. Reinhardt war fast 15 Jahre Fußballprofi – für Hannover 96, Arminia Bielefeld und vor allem von 2003 bis 2010 für den HSV. In seiner letzten Saison als Profi hatte der groß gewachsene Ludwigsluster mit vielen Verletzungen zu kämpfen. Die Rehaphase nutzte Reinhardt, um auf verschiedenen Geschäftsfeldern des HSV hinter die Kulissen zu schauen. „Dann habe ich einen Anruf bekommen“, erinnerte sich Reinhardt.
Die Hamburger waren damals noch ein Bundesligist mit Europapokal-Ambitionen und taten sich bei der Suche nach einem neuen Sportchef schwer. Schließlich fragten sie Reinhardt. „Das war eigentlich nicht das, was ich machen wollte. Aber ich dachte mir, dass ich so eine Chance nicht ausschlagen kann“, sagte er.
Reinhardt nach Siegenthaler-Absage schnell überfordert
Gemeinsam in einer Doppelspitze mit Urs Siegenthaler sollte Reinhardt den HSV gestalten – doch der damalige Chefscout der deutschen Nationalmannschaft sagte ab. „Dann war ich plötzlich der Einzige in der Verantwortung“, sagte Reinhardt. „Es war eine schwierige Phase: Geld war nicht da, die Hälfte der Mannschaft hatte auslaufende Verträge, die Mannschaft war strukturell überaltert und die Ansprüche waren beim HSV natürlich unendlich hoch.“
Der Ex-Profi war schnell überfordert: „Ich wurde ins eiskalte Wasser geworfen und war zu keinem Zeitpunkt darauf gut vorbereitet. Ich hatte keine Unterstützung und keine Erfahrung, auf die ich zurückgreifen konnte“, sagte er. Heute sieht Reinhardt die Zeit als lehrreich an, hält aber auch fest: „Ich musste viele bittere Pillen und Erniedrigungen ertragen. Das war schon echt hart.“ Besonders einige „sehr herablassende Kommentare“ von HSV-Legenden machten Reinhardt zu schaffen: „Da musste ich schon schlucken.“
Reinhardt reflektiert die Zeit beim HSV
Im Rückblick meinte Reinhardt: „Ich bin nicht laut genug für meine Dinge eingestanden. Diesen Konflikt habe ich damals gescheut.“ Heute würde ihm so etwas „nicht nochmal passieren. Ich würde auch nicht mehr einen Job antreten und dann schauen, wie die Umstände sind.“
Nach nur einem Jahr wurde Reinhardt 2011 durch den Dänen Frank Arnesen ersetzt und wechselte auf den Posten des Nachwuchsleiters. „Ich fand den Job okay. Ich habe aber gemerkt, dass mir auch das nicht die Freude macht“, sagte er und fasste einen wichtigen Entschluss: „Da dachte ich mir, dass ich noch einen Anlauf im Fußball nehme. Und da geht dann nur die Trainerschiene.“
Olivieira trainierte unter Reinhardt
Über den Hamburger Stadtteilverein Niendorfer TSV fand Reinhardt 2015 den Weg zurück zum HSV – als Trainer im Jugendbereich. Ein ehemaliger Spieler von ihm macht aktuell bei den Hamburger Profis auf sich aufmerksam: Nicolas Oliveira. Der 19-jährige Außenverteidiger wurde vor der Saison in den Zweitliga-Kader befördert.
ich der Werbevereinbarung zu.
„Insgesamt waren diese zwei Jahre sehr lehrreich für mich“, blickt Oliveira auf die Zeit unter Reinhardt zurück. „Vor allem durch das Individualtraining mit Bastian Reinhardt habe ich mich als Spieler extrem weiterentwickelt. In diesen Einheiten, die er vor dem Mannschaftstraining angeboten hat, habe ich gemeinsam mit ihm an meinen Stärken und Schwächen gearbeitet. Das hat mich weitergebracht und ist auch ein Grund dafür, dass ich mich aktuell immer besser im Profi-Bereich zurechtfinde.“
Trainer Reinhardt ist überzeugt, „dass es wichtig ist, jeden einzelnen Spieler weiterzubringen. Ich hatte in meiner Karriere leider wenig Trainer, die so waren.“
Reinhardt als Interimstrainer in Lübeck
Einer, dem genau diese individuelle Förderung wichtig ist, ist der Lübeck Aufstiegstrainer Lukas Pfeiffer. „Das war einer der Hauptgründe, warum ich den Job in Lübeck angenommen habe“, sagte Reinhardt, der unter Pfeiffer zunächst als Co-Trainer arbeitete und nun Mitte Dezember als Interimstrainer im Abstiegskampf einsprang.
„Selbst in Essen, wo wir verloren haben, hat es mir großen Spaß gemacht. Das hätte ich vorher vielleicht gar nicht so erwartet“, sagte Reinhardt. „Ich habe gemerkt, dass mir das liegt und vielleicht auch gefehlt hat.“
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Als Cheftrainer wird Reinhardt nicht beim VfB Lübeck weitermachen, da ihm die dafür erforderliche Fußballlehrer-Lizenz fehlt. Aber diese Ausbildung könnte für ihn ein nächster Schritt sein. „Ich habe mich noch nicht entschieden“, sagte Reinhardt. „Wenn sich das anbietet, kann ich mir das vorstellen.“ Es könnte Reinhardts Weg zurück auf die ganz große Bühne sein.