Uwe Seeler wird 85: „Wir wollen uns noch ein paar schöne Jahre machen“
„Uns Uwe“ Seeler wird heute 85 Jahre alt. In seiner Zeit als Fußball-Profi sorgte er ausschließlich für sportliche Schlagzeilen. Seit Jahren häufen sich die Sorgen um die Gesundheit des größten Hamburger Fußball-Idols. Schwerer Autounfall 2010, später bekam er einen Herzschrittmacher, brach sich bei einem Sturz im Mai 2020 die Hüfte und drei Rippen, zwischendurch musste der HSV-Gigant nach einem Schwächeanfall zur Überwachung ins Krankenhaus eingeliefert werden. Am 12. September stürzte der damals 84-Jährige erneut dramatisch, zog sich heftige Schnittwunden im Gesicht zu. Der langjährige MOPO-Redakteur Buttje Rosenfeld (64) begleitete den Ur-Mittelstürmer über Jahrzehnte, längst verbindet ihn mit Uwe und seiner Frau Ilka eine Freundschaft. Das Trio traf sich zum großen Geburtstags-Interview.
MOPO: Wie ist der Stand deiner Gesundheit, Uwe?
Uwe: Ich würde sagen: mittelmäßig!
Was macht dir am meisten Kummer?
Uwe: Die Schwäche!
Erzähle doch mal bitte, wie du das erlebst.
Uwe: Das spüre ich jeden Tag beim Gehen. Die Ärzte haben mir prophezeit, dass ich Geduld haben muss. Weil in meinem Alter die Muskulatur nicht mehr so schnell reagiert. Ich bin ja verwöhnt, weil ich früher immer wieder schnell gesund war. Aber jetzt geht gar nichts, weil ich schlapp bin. Im Alter dauert alles länger, daran muss ich mich gewöhnen, auch wenn es schwerfällt.
Die Energie wird weniger.
Uwe: Ja genau. Als ich meinem Arzt sagte, dass ich so schwach bin, hat er mich nur angeguckt und mich gefragt: Uwe, wie alt bist du? Das Alter ist entscheidend.
Ilka (augenzwinkernd): Vielleicht hast du ja zu viele Pfunde drauf.
Uwe (lacht): Bestimmt nicht – ich bin doch ein Leichtgewicht.
Was macht dir besonders zu schaffen – das Herz, dein Ohr, das seit dem Autounfall vor elf Jahren taub ist?
Uwe: Das Körperliche. Ob es das Gehen ist oder …
Ilka: Dicker, den ganzen Tag jammerst du rum, dass du keine Luft kriegst.
Uwe: Stimmt. Selbst bei Kleinigkeiten puste ich schnell, bin kurzatmig. Ich bin grad dabei, Tabletten dagegen zu nehmen.
Ilka: Es wird nie wieder, wie es einmal war, das schafft man nicht mehr im Alter. Damit muss man sich abfinden.
Wie oft hast du einen Physiotherapeuten zu Hause?
Uwe: Zweimal die Woche.
Er knetet dich durch?
Uwe: Ja und wir machen Übungen, sogar Konditionstraining. Treppe rauf, Treppe runter.
Ilka: Der Therapeut fordert, dass Uwe jeden Tag zehn Minuten raus soll an die Luft – und wenn es nur im Garten oder auf der Terrasse ist.
Und, kriegt er das hin?
Ilka: Er sagt immer: Ja, ja, das mache ich. Dann sage ich: Schade, dass Männer so lügen können.
Uwe: Buttje, du siehst, ich habe es nicht einfach zu Hause.
Du hast mit Ilka natürlich auch einen Terrier.
Uwe: Ilka, es ist ja auch gut, dass du auf mich aufpasst. Dafür liebe ich dich ja auch.
Ilka: Alles, was man tut, sollte man mit Freude machen. Das tut Uwe auch am Tag mit dem Schlafen.
Uwe: Ich schlafe viel, weil ich schlapp und müde bin.
Alt werden ist doof. Uwe, würdest du mir da zu zustimmen?
Uwe: So würde ich das nicht sagen. Es ist Pech, dass ich jetzt nochmal gestürzt bin. Aber im Alter sollte am besten nicht mehr so viel passieren. Dann kriegt man Probleme.
Wie seid ihr zwei bislang durch die Corona-Zeit gekommen?
Ilka: Wir haben uns an alles gehalten, was vorgegeben war, auch wenn es schwerfiel. Wir haben unsere Urenkelin nicht umarmt, nichts.
Uwe: Wir hatten Glück, dass wir uns in unserem Haus zurückziehen, uns relativ normal bewegen konnten. Mir tun Familien mit drei Kindern leid, die in einer kleinen Wohnung klarkommen mussten. Ich kann verstehen, dass einige durchgedreht sind.
Seid ihr schon zum dritten Mal geimpft?
Uwe: Es ist alles bestellt.
Ein unangenehmes Thema: Denkt ihr in eurem Alter über den Tod nach?
Uwe: Irgendwann ist Feierabend. Ich habe keine Angst, wir reden nicht darüber, lassen es auf uns zukommen. Wir wollen uns noch ein paar schöne Jahre machen.
Ilka: Ich rede nicht gern über dieses Thema.
Habt ihr euch Gedanken darüber gemacht, ob ihr beerdigt werden wollt?
Ilka: Auch damit will ich mich nicht befassen. Darüber ertrage ich lieber Kindergeschrei.
Uwe: Mir ist es egal – aber ich bin für eine normale Beerdigung.
Wie wird der Geburtstag gefeiert?
Uwe: Nur mit der Familie, die ist groß genug. Das reicht uns. Wir bleiben schön zu Hause.
Macht die Stadt Hamburg was?
Ilka: Der Bürgermeister hat schon was läuten lassen. Aber das wird nach dem Geburtstag passieren.
Macht denn der HSV auch was?
Ilka: Diesmal ist ja kein Spiel. Bei Uwes 80. Geburtstag gab es ja das Spiel gegen Dortmund. Ehe wir richtig Luft geholt hatten, stand es schon 0:4. Das wollen wir nicht nochmal.
Uwe: Jonas Boldt (Sportvorstand; Anm. d. Red.) und Jürgen Ahlert (Betreuer der HSV-Traditionsmannschaft) wollen an meinem Geburtstag kurz vorbeikommen, haben sich angemeldet.
Möchtest du heute nochmal 20 sein? Mit der ähnlich jungen Ilka, natürlich?
Uwe: Ja, ich wäre bereit.
Dann könntest du in den schönen neuen Stadien spielen.
Uwe: Das würde mir gefallen.
Was liebst du an deiner Ilka?
Uwe: Das sage ich nicht, sonst bildet sie sich was darauf ein.
Ilka: Ich bin glücklich, dass ich den richtigen Griff getan habe – oder dass ich von ihm gegriffen wurde. Beides ist schön.
Wollt ihr nochmal irgendwo hin, wo ihr noch nicht gewesen seid.
Ilka: Ich würde den Jakobs-Weg nochmal gehen – wenn wir vernünftig gehen könnten. Mäuschen, du hättest keinen Bock dazu, nä? Du sagst ja immer, dass du in deinem Leben genug gelaufen bist.
Uwe: Ich habe eine Laufsperre bekommen.
Heute sind die meisten Spieler tätowiert. Würdest du dir auch was stechen lassen, wenn du jetzt spielen würdest?
Uwe: Bestimmt nicht, das ist nicht mein Ding.
Ilka: Wie sehen die bloß aus mit 80 oder 90 und die Haut fällt ihnen vom Nacken? Aber lass die jungen Leute doch.
Und wenn Ilka das machen lassen würde?
Uwe: Dann würde ich sie zur Ordnung rufen.
Fußball-Deutschland diskutiert über einen klassischen Mittelstürmer, den es seit Miroslav Klose nicht mehr gibt.
Uwe: Tja, wenn die anderen Tore machen, ist es ja auch ohne okay. Aber meistens braucht man ja einen Brecher. Der HSV könnte zum Beispiel zwei gebrauchen.
Wie denkst du über Simon Terodde, der gerade für Schalke in der 2. Liga Tore schießt?
Uwe: Er hätte auch als Zweitligaspieler eine Chance verdient.
Wie siehst du den HSV?
Uwe: Ich kann mir im Moment noch kein Urteil erlauben, habe ihn zu wenig gesehen. Ich war zuletzt kurz vor meinem Unfall gegen Sandhausen im Stadion.
Der HSV spielt im vierten Jahr in der 2. Liga. Hast du dich daran gewöhnt?
Uwe: Daran möchte ich mich niemals gewöhnen, obwohl die 2. Liga in dieser Saison sehr interessant ist. Der HSV gehört in die Bundesliga.
Ist es richtig, auf Talente zu setzen?
Uwe: Ja, aber wenn man aufsteigen will, können es Talente allein nicht schaffen.
Was sagst du als Ur-HSVer zu St. Pauli? Der Kiezklub ist aktuell sieben Punkte vorm HSV.
Uwe: Wenn sie gut spielen und gewinnen, dann freue ich mich auch für sie. Wenn sie so weiterspielen wie zuletzt, dann haben sie es auch verdient aufzusteigen. Ich würde mir natürlich wünschen, dass der HSV ebenfalls aufsteigt. Danach sieht es im Moment nicht aus, dafür ist der HSV nicht dominant genug.
Letzte Frage, Uwe: Deiner Generation wirft man vor, langsamen Fußball gespielt zu haben. Wie würden Stars wie Franz Beckenbauer, Gerd Müller, Wolfgang Overath oder Günter Netzer heute aussehen?
Uwe: Auch wenn Generationen-Vergleiche im Sport immer schwierig sind – sie wären genauso überragend wie damals.