„Zum Glück haben wir das nicht gelesen“: HSV-Profis feiern neue Qualität
Den (nun besiegten) Auswärtsfluch bei den vermeintlichen Zwergen der Zweiten Liga hatte Merlin Polzin schon vor der Partie in Münster nicht groß kommentieren wollen. Deshalb überraschte es nicht, dass der HSV-Trainer nach dem erlösenden 2:1 nicht von einem riesigen Entwicklungsschritt sprechen wollte. „Wenn man das Spiel am Ende gewinnt, ist es einfach zu sagen, dass es ein Reifeprozess war“, ordnete Polzin ein. Ja, er lobte auch, viel sogar – genau wie seine Profis, die eine neue Qualität feierten. Aber Polzin wusste um die ganze Wahrheit.
Viel hätte nicht gefehlt, und der HSV hätte die Heimreise mit einem enttäuschenden 1:1 im Gepäck angetreten. Der Konjunktiv zählt am Ende freilich nicht – und es steht auch außer Frage, dass der späte Auswärtssieg verdient war. Diesen Erfolg schmälern zu wollen, noch dazu nach einem 0:1-Rückstand, auf einem rutschigen Geläuf und gegen einen tief stehenden Gegner, dem die frühe Führung (24.) daheim voll in die Karten spielte – darum geht es nicht.
HSV-Trainer Merlin Polzin: „Es zählt auch Spielglück dazu“
Aber es war eben auch Polzin selbst, der nach Abpfiff wusste: „Wenn man in der 94. Minute den Siegtreffer macht, zählt sicherlich auch ein bisschen Spielglück dazu. Das müssen wir an der Stelle betonen.“ Denn die komplette HSV-Wahrheit vom Freitagabend beinhaltete trotz des erarbeiteten Dreiers viele Aspekte, auch negative. „Die ersten 20, 25 Minuten sind wir noch nicht so reingekommen“, räumte etwa Jonas Meffert ein. Tatsächlich: Der HSV dominierte zwar sofort, hatte mehr Ballbesitz, erspielte sich vor der Pause aber kaum zwingende Chancen. So dünn wie etwa im ersten Durchgang beim 1:1 (0:1) in Ulm war es nicht – doch erneut tat sich der HSV bei einem Aufsteiger schwer.
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„Es ist unglücklich gelaufen mit dem Gegentor“, hatte Polzin dennoch Recht. „Bei Standardsituationen kann immer was passieren.“ Abgesehen vom Führungstor durch Lukas Frenkert nach einer Ecke ließ der HSV defensiv wenig bis nichts zu, weshalb Trainer Polzin befand: „Ich habe das Spiel in der ersten Halbzeit ehrlicherweise nicht so negativ gesehen.“ Es lief aber trotzdem gegen den HSV. „Es war extrem schwer“, befand Selke und sagte zum Gegner: „Sie sind auf Konter gegangen, haben gefühlt jeden Ball lang gekloppt, haben hinten auch gemauert.“ Der Spielverlauf ermöglichte Münster genau das. Umso wichtiger jedoch war es, dass der HSV nach dem 0:1 nicht den Kopf verlor.
Meffert verrät das HSV-Zauberwort für Münster: „Geduld“
„Wir wollten unbedingt geduldig bleiben“, beschrieb Meffert und verriet das Zauberwort: „Ich weiß nicht, wie oft ich ’Geduld’ diese Woche gehört habe.“ Sebastian Schonlau betonte ebenfalls, was das Hamburger Credo für die Reise nach Münster gewesen sei: „Wir wollten genau diese Geduld aufbringen, die du in diesen Spielen einfach brauchst.“ Es dauerte, bis sich das auszahlte. Selke glich erst in der Nachspielzeit der ersten Hälfte aus (45.+3) – eher aus dem Nichts, das galt zuvor allerdings auch für das 0:1. Und nach der Pause steigerte sich der HSV dann merklich.
„Viel verlagern, den Gegner müde spielen, dann vielleicht zu Chancen kommen“, sei das Motto gewesen, erklärte Meffert. Bezeichnend dafür waren zwei Angriffe über die linke Seite: Marco Richter traf die Latte (54.), das Foul an Adam Karabec (57.) führte dann erst zu einem Elfmeter-Pfiff, ehe sich Schiri Wolfgang Haslberger korrigierte. Der HSV hatte zwar Glück, dass David Kinsombi die Hausherren nicht erneut in Führung brachte (65.), danach aber ging es Preußen nur noch ums Absichern des 1:1. HSV-Joker Ransford Königsdörffer scheiterte noch doppelt (77./84.).
„Spricht für sich“: HSV-Punkteschnitt unter Polzin bei 2,25
Doch die Belohnung für einen wenig glanzvollen, aber sehr geduldigen und nicht kopflosen HSV-Auftritt sollte tief in der Nachspielzeit noch folgen. „Wir wussten, mit welcher Art und Weise Münster spielt – und dass es immer wieder extrem knappe Ergebnisse waren“, stellte Polzin fest und lobte: „Es war wichtig, dass wir uns nicht leiten lassen von dem Ergebnis zu einer gewissen Spielzeit – sondern dass wir bis zum Ende daran geglaubt haben und es mit unserer Art und Weise angegangen sind. Deswegen war Geduld, wie die Jungs schon sagten, ein wesentlicher Faktor für unser Spiel heute – ganz unabhängig vom Ergebnis.“ Das lautete dank Selkes Elfmeter-Tor (90.+4) 2:1.
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Der HSV hat von den letzten acht Zweitliga-Spielen nun fünf gewonnen, dazu gab es drei Remis. Bedeutet: keine Niederlage und einen Punkteschnitt von 2,25 unter Polzin. „Das spricht für sich“, fand Schonlau. „Keine Niederlage nach acht Spielen unter Merlin ist richtig, richtig gut. Das ist eine Serie, die wir jetzt haben.“ Und die will der HSV am kommenden Sonntag fortsetzen – wieder auswärts, wieder bei einem vermeintlich Kleinen, nur dann in Regensburg.
HSV macht weiter Schritte: Selke spricht von „Big Points“
„Merlin hat gerade gesagt, dass heute irgendwo stand, dass wir länger nicht in einem kleinen Stadion gewonnen haben“, verriet Meffert in der Mixed Zone des Preußenstadions. „Zum Glück haben wir das nicht alle vorher gelesen, weil wir heute sonst wahrscheinlich verloren hätten.“ Der HSV aber siegte und besiegte einen 20 Monate alten Fluch – der Widrigkeiten zum Trotz. „Es war das erwartete Drecksspiel“, wusste Selke um die Wahrheit, dass man für die Partie keinen Schönheitspreis gewann. Die erste Hälfte war wenig ansehnlich vom HSV, dann kam auch Spielglück hinzu und sorgte spät dafür, dass statt möglichen Frusts über ein 1:1 große Freude über einen 2:1-Sieg herrschte.
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Aber das verdienten sich Polzins Mannen. „Die Jungs haben sich mit allem, was sie hatten, gewehrt, weil es ein verdammt hartes Brett war heute“, lobte der Coach. „Das ist das, was wir mitnehmen. Reifeprozess hin oder her.“ Selke hingegen war es wichtig, genau diesen hervorzuheben: „Man sieht eine ganz deutliche Entwicklung“, sagte der Doppeltorschütze. „Es war ein Big Point. Wir nehmen solche Spiele jetzt an und geben weiter Gas auf unserem Weg zum großen Ziel.“ Aufstieg oder nicht – die Wahrheit erfolgt erst am Saisonende. Das Spiel in Münster hat aber aufgezeigt, welche zunächst wenig schmackhaft wirkende Zutat zum großen HSV-Sprung führen kann: Geduld.
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